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„Proud Boys“ in Washington

© Georg Ismar

Aufmarsch der militanten Trump-Fans: Wie „Proud Boys“ mit der Angst vor der Eskalation spielen

Beim Protest der Trump-Anhänger bilden die „Proud Boys“ den harten Kern. Mit Helm und schusssicherer Weste treten sie an – bleiben sie friedlich?

Und, werden sie nun zu den Waffen greifen? Über hundert martialisch aussehende „Proud Boys“ stehen in ihren gelb-schwarzen Shirts am Rand der Freedom Plaza in Washington, zwei Blocks vom Weißen Haus entfernt. Die meisten tragen schuss- oder stichsichere Westen und Helme, dunkle Sonnenbrillen dürfen auch nicht fehlen. 

Reden darf nur der Boss, Enrique Tarrio. Zu ihm vorzudringen ist nicht leicht, er hat mehrere Bodyguards dabei. Die „Proud Boys“ – also die stolzen Jungs – sind eine rechtsextreme Organisation, die 2016 gegründet wurde. 

US-Präsident Donald Trump stachelte ihre Kampfbereitschaft bereits an, als er im TV-Duell mit Joe Biden zu ihnen rief: „Stand back and stand by“ („Haltet euch zurück und haltet Euch bereit“). Am Samstag winkt er demonstrierenden Anhängern aus seiner Präsidenten-Limousine zu, darunter auch die „Proud Boys“. Auch deshalb stellt sich jetzt die Frage, wie sie mit dessen Abwahl umgehen werden. 

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Enrique Tarrio scheint sich anders als Trump schon abgefunden zu haben mit der Niederlage, auch wenn die Pro-Trump-Demonstration mit über 10.000 Teilnehmern wie eine Scheinwelt wirkt, in der Trump einfach ihr Präsident ist und bleibt.

Über 10.000 Trump-Anhänger in Washington

„Four more years“ wird immer wieder skandiert. Und was macht die rechtsextreme Organisation, wenn Trump das Weiße Haus verlassen muss? „Ein Bier trinken und rausgehen, protestieren“, sagt Tarrio im Gespräch mit dem „Tagesspiegel“. Er versucht, öffentlich die „Proud Boys“ als harmlose Truppe darzustellen. Werden sie auch auf Gewalt setzen? „Nein, definitiv immer friedlich. Friedlich, aber kraftvoll.“

Die Bewegung gehe weiter – er versucht die Gegenseite als die eigentlichen Brandstifter darzustellen, die jetzt die Trump-Anhänger nur deshalb in der demokratischen Hochburg Washington demonstrieren lassen würden, weil Joe Biden zum Wahlsieger ausgerufen worden sei. „Wenn man in einer so linken Stadt wie Washington eine so gewaltige Menge zusammenbringt, dann hätten sie doch vor einigen Monaten noch die Stadt abgebrannt.“

„Proud Boys“ setzen auf „Trump 2024“

Tarrio selbst ist kein Weißer, sondern Afrokubaner, er bezeichnet sich entsprechend nicht als „White Supremacist“, sondern als „American Supremacist“. Er ist auch einer der führenden Köpfe der „Latinos for Trump“ in Florida, vieles vermischt sich in der Trump-Bewegung. 

Im Wahlkampf habe er persönlich an 40.000 Türen für den Präsidenten geklopft, sagte Tarrio jüngst der „New York Times“. Auch dort bestritt er, ein Rassist zu sein. Gern mit breiten Beinen und Sonnenbrille posiert der Mitdreißiger, in Miami saß er weit vorne bei einer Trump-Rally in Trumps Rücken - und feierte ihn frenetisch.

Tarrio sagt im Gespräch mit dem Tagesspiegel auf die Frage, ob er mit einem Comeback Trumps 2024 rechnet: „Er soll auf jeden Fall noch mal antreten, wenn er dieses Mal verliert.“ Ob die Niederlage nicht längst feststehe? „Ich weiß es nicht, ich habe keine Antwort drauf.“ 

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Neben Tarrio steht ein kräftig gebauter „Proud Boy“, der einen Weimaraner mitgebracht hat, diese sehr groß gewachsene Hunderasse aus Deutschland. Einige fürchten ja auch in den USA nun mit dem Präsidenten Biden und seiner Vizepräsidentin Kamala Harris Weimarer Verhältnisse in den USA. 

Der Hund trägt ein grünes Armee-Korsett, darauf steht als Antwort auf die „Black Lives Matter“-Bewegung: „Dogs Lives Matter.“

Hass, Hetze und Wahlbetrug?

Trucker for Trump, Cowboys for Trump, Bikers for Trump, Black People for Trump, Latinos for Trump, Women for Trump – und dazwischen die Proud Boys for Trump. Hier wächst eine große, teils etwas sektenhaft anmutende außerparlamentarische Organisation heran, die die Spaltungen noch weiter verschärfen könnte. 

Die Demonstration in Washington, die Gespräche mit Trump-Anhängern zeigen zweierlei: Auch sehr intelligente, erfolgreiche Wähler des früheren Geschäftsmanns glauben dessen ohne jede gerichtsfesten Beweise aufgestellte These vom Wahlbetrug. 

Und ein Großteil der 72,7 Millionen Trump-Wähler wird den Sieg von Joe Biden (78 Millionen Stimmen), Vizepräsidentin Kamals Harris niemals akzeptieren. 

Demokraten planen nun den harten Bruch

Zur Wahrheit gehört auch, dass die meisten der Demokraten die Trump-Regierung ebenfalls vier Jahre erbittert bekämpft haben, im Kongress, aber auch mit Protesten auf der Straße. 

US-Medien berichten zudem über Pläne, dass in dem riesigen Regierungsapparat durch das massenhafte Austauschen von Leuten ein möglichst harter Bruch mit der Trump-Zeit vollzogen werden soll. 

Die Geschichte zeigt, das haben die letzten vier Jahre in den USA bewiesen, aus Worten können schnell Taten werden. Und hier könnte eine gefährliche Wirkung auch der „Proud Boys“-Truppe liegen, sie sind letztlich vor allem eines: Multiplikatoren von Hass und Hetze.

„It’s a drinking club“

Rund 12.000 bis 15.000 Mitglieder in allen Bundesstaaten hätten die Proud Boys inzwischen, sagt ihr Boss Tarrio. Sie marschieren nun gemeinsam rüber zur Freedom Plaza, immer wieder wird mit einem Megafon gefragt, ob alle Chapter anwesend seien: „Michigan, are you here?“. Einige halten die Hand auf die Schulter des Vormanns. 

„Thank you Proud Boys“, ruft eine Dame. Auch Mike ist aus Seattle angereist, der „Proud Boy“ war drei Jahre in Afghanistan, hatte viel Kontakt zu Soldaten vom deutschen Kommando Spezialkräfte (KSK), daher kann er auch ein paar Brocken deutsch. Es gehe bei der Organisation um „Stolz auf unser Land, ein Patriot zu sein.“ Und die Mitgliedsvoraussetzung? „Ganz einfach: Du muss einen Penis haben.“ 

Auch er versucht die von den Demokraten geschürten Sorgen vor Gewalteskalationen durch die Proud Boys runterzudimmen: „It’s a drinking club.“ Gegründet wurden sie vor vier Jahren von Gavin McInnes, der auch das Vice-Magazin mitbegründet hat.

Die Männertruppe steht beispielhaft für das radikale Spektrum der Trump-Unterstützer, das längst nicht geschlagen wirkt. So wie die wachsende Anhängerzahl der QAnon-Verschwörungstheorie, die bei den Demokraten Netzwerke wittern, die Kinder töten lassen, um aus dem Blut Verjüngungsdrogen zu gewinnen, berufen sich auch die „Proud Boys“ auf ein Sammelsurium eigener "Ideologien" und alternativer Fakten. 

Sie sehen Trump als eine Art Erlöser

Auch sie sehen in Trump eine Art Erlöser, sie verehren ihn besonders für den MAGA-Anspruch, "make America great again". "Ihr" Amerika sahen sie nicht erst durch den ersten Schwarzen im Weißen Haus, Barack Obama, gefährdet, die schwarze Bevölkerung und die Gruppe der Latinos wächst beständig, es geht um Überfremdungsängste und Jobverluste durch die Globalisierung. 

Aber Trump konnte sogar bis in Migrantengruppen hinein zulegen - sei es, weil schwarze Aufsteiger von ihm eine harte Hand gegen Chaos oder zu viel Einwanderung wollen oder weil in die USA geflohene Kubaner und Venezolaner hier neue linke Experimente fürchten. 

Und die sehr diverse Bewegung eint in Zeiten nachlassender Bindungen in westlichen Gesellschaften vor allem das Gemeinschaftsgefühl, das zeigt sich deutlich. Das Widersprüchliche spiegelt sich gerade in den "Proud Boys", in einem sind sie ihrem Idol Donald Trump ganz ähnlich: in der Großspurigkeit. Sie sehen sich als "größte Brüder-Organisation der Welt“, als Männerbund, der den Westen verteidigt. 

Schläge, um das nächste Level zu erreichen

In einer Studie für das International Center for Counter-Terrorism schreibt Samantha Kutner, es gebe vier Level der Mitgliedschaft: Zu allererst muss man eine Art Glaubensbekenntnis zu der Brüdergemeinschaft ablegen, dann werde man so lange geschlagen, „bis man fünf Frühstücksgetreideflocken benennen könnte“ – „Proud Boy“ Mike aus Seattle nennt das eher ein Spaßritual, ein „joke“. 

Der weitere Aufstieg sei durch das Eintätowieren von Proud-Boys-Symbolen und Botschaften möglich, so Kutner. Das vierte Level sei bei Beteiligung an gewaltsamen Auseinandersetzungen erreicht. Es geht viel um Zusammenhalt und Trinkspiele. Das zeigt auch die Demo-Teilnahme, es wirkt wie ein Inszenieren von Stärke und Macht, eine Show, wie Trump sie mag.  

Welche Gefahr geht von Proud Boys aus?

Erstmals größer von sich reden machte die Organisation durch Beteiligung an den rechtsextremen Krawallen in Charlottesville 2017. Damals steuerte ein Rechtsextremist in eine Menschenmenge, eine Frau starb, es gab 19 Verletzte.

Die Ideologie ähnelt der vieler rechter US-Gruppen: Das Recht auf Waffenbesitz ist ebenso ein wichtiger Faktor wie klassische Frauen- und Familienbilder, Islamfeindlichkeit und Homophobie. Ein einigendes Band ist für viele die Angst vor der vermeintlichen Auslöschung des weißen Mannes. 

Die Zeit für Entschuldigungen sei vorbei, tönen die „Proud Boys“ in ihrer Selbstdarstellung. „Ich bin ein westlicher Chauvinist und ich lehne es ab, mich für die Schaffung der modernen Welt zu entschuldigen. Der Westen ist das Beste!“

„Did nothing wrong“: Zweifelhafte Geschäfte

Alles eher harmlos? Tarrio nutzt die durch Trumps „Stand back and stand by“-Aussage gestiegene Aufmerksamkeit auch geschäftlich. Tarrio verweist in sozialen Medien immer wieder auf seinen Online-Shop "1776" - das Jahr der Unabhängigkeitserklärung der USA.

Slogan des Shops, hinter dem er selbst zu stecken scheint: "Die Revolution beginnt hier". Dort kann man zum Beispiel für 30 US-Dollar das Shirt „Stars and Guns“ bestellen, die roten Streifen der US-Flagge sind hier durch Gewehre und Revolver ersetzt. 

Ein Renner ist die „Did nothing wrong“-Serie, so hat aus Sicht der Verkäufer Chiles Diktator Augusto Pinochet nicht falsches getan und gilt als Vorkämpfer gegen den Sozialismus, so wie sie es heute bei Trump sehen. In den USA sehen viele, auch die Republikaner, eine moderat sozialdemokratische Politik, wie eine Krankenversicherung für alle, schon als Sozialismus und Untergang des amerikanischen Freiheits-Versprechens. 

Verherrlichung eines Massenmörders

Aktuell wirbt ein gut gebauter Mann in dem Internetshop für ein Shirt mit der Aufschrift: „Rittenhouse did nothing wrong.“ Das sei reserviert für „die Mutigsten“. Es ist aber die Verherrlichung eines Massenmörders: Kyle Rittenhouse, ein junger weißer Mann, hatte im August bei Unruhen in Kenosha drei Demonstranten erschossen. 

Die Stadt im Bundesstaat Wisconsin war nach Polizeischüssen auf einen Schwarzen von Krawallen erschüttert worden. Trump besuchte die Stadt, nannte die Protestbewegung von „Black lives matter“ „inländischen Terrorismus“ und verteidigte Rittenhouse‘ Tat als Notwehr.

Viele rechte Netzwerke werden fortbestehen

Tarrio rühmt sich in gemeinsamen Videos seiner Unterstützung durch den Trump-Berater Roger Stone. Dem wiederum wird vorgeworfen, bei der russischen Einmischung und der E-Mail-Affäre um die damalige Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton 2016 eine entscheidende Rolle gespielt zu haben. Trump ersparte ihm durch seine Intervention eine mehrjährige Haftstrafe. 

Es sind also viele Netzwerke in der Szene, die fortbestehen. Die Frage ist, was aus ihrem Idol Trump werden wird. Wenn er tatsächlich – auch aus Wut über den aus seiner Sicht abtrünnigen bisherigen Haussender Fox News – „Trump TV“ gründen sollte, würde ihm das einerseits ein großes Geschäft versprechen und könnte andererseits Millionen Menschen weiter radikalisieren.

Parler, das neue Twitter der Trump-Jünger

Eine große Zahl von Trump-Anhängern ist inzwischen auf der Social-Media-Plattform "Parler" (vom französischen Wort für sprechen abgeleitet) aktiv. Eine ähnlich wie Twitter funktionierende, 2018 in Nevada gegründete Internet-Plattform, die sich als einer der letzten Ort der freien Rede beschreibt. 

Anders als bei Twitter oder Facebook werden dort falsche Informationen und Lügen nicht mit Warnhinweisen versehen. Binnen Wochen hat sich die Zahl der Parler-Nutzer mehr als verdoppelt, auf rund acht Millionen. 

[Behalten Sie den Überblick: Jeden Morgen ab 6 Uhr berichten Chefredakteur Lorenz Maroldt und sein Team im Tagesspiegel-Newsletter Checkpoint über die aktuellsten Entwicklungen rund um das Coronavirus. Jetzt kostenlos anmelden: checkpoint.tagesspiegel.de.]

Neben Protagonisten der rechten Szene, wie „Proud Boys“-Chef Tarrio und wichtigen Republikanern wie Ted Cruz oder Trumps Anwalt Rudy Giuliani, ist hier auch Martin Sellner, Kopf der rechtsextremen identitären Bewegung in Österreich, aktiv. 

Wo es auf Twitter zumindest Widerspruch und Debatten gibt, entsteht hier eine neue gewaltige Blase der Trump-Jünger. Hier hat Trump die Wahl klar gewonnen. Trump geht, der Trumpismus wird bleiben und vielleicht noch stärker werden.

Die rechte Welle könnte mit aller Macht zurückkommen

Kenner der US-Politik warnen bereits vor einem Effekt wie bei einem Tsunami: Die Welle mag sich zurückziehen, könnte aber mit aller Macht zurückkommen, vor allem, wenn ein neuer Populist auf den Plan treten sollte, der vielleicht mehr strategisches Geschick als Trump hat. 

Es wirkt wie eine schwer zu greifende – und zu erreichende - Glaubensgemeinschaft. Vieles lässt sich noch nicht absehen. Letztlich zeigt die Geschichte, dass es nach Wendepunkten und Niederlagen auch innerhalb von Bewegungen zu Spaltungen kommen kann, beim Streiten über den weiteren Weg. 

Es gab in den letzten Tagen bereits Berichte über Putschversuche innerhalb der „Proud Boys“, da Tarrio nicht radikal genug agiere. Er wischte diese Putschgerüchte erst einmal mit einer Trumpschen Taktik weg, das seien schlicht Fake news, behauptet er: „Das ist ein Informationskrieg gegen die Proud Boys.“

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