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Ein Hinweisschild mit Bundesadler und dem Schriftzug „Bundesverfassungsgericht“ vor dem Gericht in Karlsruhe.

© dpa/Uli Deck

Update

Auslieferung von Linksextremistin war unzulässig: Bundesverfassungsgericht rüffelt Berliner Justiz

Der übereilte Abtransport von Maja T. nach Ungarn verstieß gegen Grundrechte. Das Kammergericht hätte die dort zu erwartende Haftsituation besser aufklären müssen.

Stand:

Die Auslieferung einer mutmaßlich gewalttätigen Person aus dem linksextremen Milieu durch Berliner Behörden im vergangenen Jahr war unzulässig und verstieß gegen Grundrechte. Das hat das Bundesverfassungsgericht in einem am Donnerstag veröffentlichten Beschluss entschieden (Az.: 2 BvR 1103/24).

Das Berliner Kammergericht hätte im Auslieferungsverfahren genauer aufklären müssen, welche Haftumstände die nach Selbstauskunft non-binäre Person Maja T. in Ungarn erwarten, so das Gericht. Die Berliner Senatsjustizverwaltung erklärte dazu, Auswirkungen auf das damalige Verfahren habe die Entscheidung nicht, weil die Auslieferung mangels Rechtsgrundlage nicht rückgängig gemacht werden könne. Die Entscheidung, insbesondere die dort vorgegebenen Prüfschritte, würden nunmehr sorgfältig analysiert und auf ihre Auswirkung auf künftige Verfahren geprüft.

Maja T. wird vorgeworfen, im Februar 2023 in Budapest an Angriffen auf tatsächliche oder vermeintliche Rechtsextremisten beteiligt gewesen zu sein. Es geht um Übergriffe beim jährlich stattfindenden „Tag der Ehre“. In dem Zusammenhang laufen weitere Ermittlungsverfahren gegen mutmaßliche Linksextremisten.

Das Kammergericht hätte überdies prüfen müssen, ob ihr als non-binäre Person eine besondere Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung (. . .) drohe.

Das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss

Deutschland lieferte T. im vorigen Juni nach Ungarn aus, obwohl das Bundesverfassungsgericht dies in einem Eilbeschluss vorläufig untersagt hatte. Doch die einstweilige Anordnung aus Karlsruhe kam eine knappe Stunde zu spät, die Übergabe an die ungarischen Behörden war bereits erfolgt. Die Berliner Justiz hatte sich damals mit dem Argument verteidigt, das Kammergericht habe die Auslieferung wirksam beschlossen, und eine Anrufung des Bundesverfassungsgerichts sei nicht absehbar gewesen.

Prozess soll am 21. Februar in Budapest beginnen

Jetzt hat das Bundesverfassungsgericht über eine Verfassungsbeschwerde von Maja T. entschieden und einen Verstoß gegen Artikel 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCh) bestätigt, der ein Verbot unmenschlicher oder erniedrigender Haft umfasst.

Nach Ansicht des Gerichts hätte das Kammergericht genauer untersuchen müssen, in welche Haftbedingungen Maja T. zu überstellen war. Stattdessen habe man sich auf eine allgemeine Zusicherung verlassen, dass Rechtsvorschriften eingehalten werden.

Dem Kammergericht sei zudem bekannt gewesen, in welche Haftanstalt Maja T. in Ungarn eingewiesen werden sollte. „Insofern hätte es sich aufgedrängt, die dortigen Haftbedingungen näher aufzuklären.“

In einem weiteren Verfahren vor dem Kammergericht nach der Überstellung haben die Anwälte von Maja T. dargelegt, T. werde in der Zelle durchgehend videoüberwacht und habe nur einen einstündigen Aufenthalt außerhalb der Zelle allein im Hof. Zudem werde Maja T. mehrfach am ganzen Körper abgetastet, dreimal täglich werde der Haftraum durchsucht.

Still aus einem Video der ungarischen Polizei. Das Video zeigt die von Deutschland an Ungarn ausgelieferte Person Maja T.

© Screenshot Tagesspiegel; Ungarische Polizei

Die Karlsruher Entscheidung sei juristisch „ein großer Erfolg“, teilte Anwalt Sven Richwin mit. Tragischerweise werde sie „Maja“ aber nicht ohne Weiteres aus der Isolationszelle führen. Er hoffe, dass die ungarischen Behörden jetzt zumindest Hafterleichterungen gewähren.

Der Prozess solle am 21. Februar in Budapest beginnen. Gegen ein Geständnis ohne weitere Verhandlung seien Maja T. 14 Jahre Haft angeboten worden. Bei einer Verurteilung drohten sogar bis zu 24 Jahre Haft, weit mehr als in Deutschland möglich. Ungarn hat bereits zugesagt, dass Maja T. danach zurück nach Deutschland überstellt werde. Dann könnte die Person die Strafe in Deutschland verbüßen.

Im Zusammenhang mit den Angriffen in Budapest wird noch gegen weitere mutmaßliche Linksextremisten aus Deutschland ermittelt. Die Beschuldigten waren lange untergetaucht.

Demonstrierende aus dem linken Spektrum in Jena setzen sich für sieben mutmaßliche Linksextremisten ein, die sich der Polizei gestellt hatten.

© IMAGO/Paul-Philipp Braun/IMAGO/Paul-Philipp Braun

Im Januar hatten sich sieben Personen den deutschen Behörden gestellt. Laut einer Erklärung ihrer Anwälte erfolgte dies „freiwillig, trotz drohender Auslieferung“, um sich gegen die erhobenen Vorwürfe zu verteidigen.

„Der Beschluss hat eine starke Signalwirkung auf die Parallelverfahren von weiteren Beschuldigten im Budapest-Komplex, die aktuell von Auslieferung nach Ungarn bedroht sind“, erklärte Anwalt Richwin. Die Behörden dürften nun eventuellen Zusicherungen aus Ungarn nicht mehr so einfach folgen. (mit dpa)

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