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VW-Chef Herbert Diess neben einem VW ID Buggy Showcar

© dpa/Uli Deck

Auto-Industrie will Elektromobilität: Fast ein Crash, jetzt unter Strom

Der Systemwechsel zum Elektromotor könnte radikaler kommen als gedacht. Ausgerechnet der Diesel-Betrüger VW spricht dabei glaubwürdige Worte. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Henrik Mortsiefer

Das war knapp. Die deutschen Autobauer haben einen weiteren schweren Unfall der Branche in letzter Minute verhindert. Der von Volkswagen-Chef Herbert Diess angezettelte Disput über die Elektromobilität wurde im kleinen Kreis der Autobosse beigelegt. Der Autoverband hat sich nicht zerlegt. Die Bundesregierung blieb unversehrt. Es könnten nun weiter Autos gebaut werden.

Doch der Frieden trügt. Der verhinderte Crash hat allen vor Augen geführt, dass der Systemwechsel vom Verbrennungs- zum Elektromotor schneller und radikaler kommen könnte als gedacht. Weitere Erschütterungen sind wahrscheinlich. Die Festlegung des VW-Konzerns auf die Batterie, sein Bruch mit dem Credo der Technologieoffenheit und seine Forderungen an die Politik setzen Meilensteine. Volkswagen ist als größter Autohersteller der Welt systemrelevant. Diess redet nicht mit, sondern er gibt den Ton an. Es verwundert nicht, dass die selbstbewussten Wettbewerber aus Stuttgart und München zunächst auf Kollisionskurs gingen.

Diess hat einen Nerv getroffen

Aber was ist eigentlich passiert? Wollen nicht alle in der deutschen Autoindustrie die Elektromobilität? Längst ist bekannt, dass Milliarden in die Entwicklung von E-Autos und Ladeinfrastruktur investiert werden. Auch vom dramatischen Wandel der Industrie haben alle schon gehört, von der Notwendigkeit, klimaschädliche Abgase zu reduzieren, vom drohenden Verlust der Marktposition, vom Vorsprung anderer, von der Angst um Arbeitsplätze und Wertschöpfung, von den Antreibern aus China.

Doch allein das Wissen um die großen Aufgaben der Schlüsselindustrie hat den öffentlichen Diskurs nicht nach vorne gebracht. Es schien, als hätten sich alle damit abgefunden, dass die deutschen Autobauer viel von Veränderung reden, aber lieber mit dem Bestehenden ihr Geld verdienen. Ein klares Wort war nötig, um deutlich zu machen, dass man es ernst meint mit der Mobilitätswende „Made in Germany“. Dass Nachhaltigkeit, diese abgenutzte Vokabel, nur Sinn macht, wenn sich alle in der Wertschöpfungskette darauf verständigen – vom Rohstofflieferanten über den Energieversorger bis zum Recyclinghof. Bemerkenswert: Ausgerechnet Volkswagen, der Diesel-Betrüger, spricht dieses klare Wort – und ist sogar glaubwürdig dabei.

Die Reaktionen zeigen, dass Herbert Diess einen Nerv getroffen hat. Im Finanzministerium wird ein Ausbau der Förderkulisse für die Elektromobilität geprüft, der Wirtschaftsminister setzt bei der Batterie Prioritäten, selbst der Verkehrsminister wird ungeduldig, wenn er sich anschaut, was die deutschen Autobauer bislang elektrisch auf die Straße gebracht haben. Spannend bleibt, ob sich auch die zerstrittene Nationale Plattform Mobilität, die Maßnahmen erarbeiten soll, wie der Verkehrssektor seine Klimabilanz verbessert, von der neuen Entschlossenheit leiten lässt.

Überzeugungsarbeit innerhalb von VW nötig

Täuschen darf man sich indes nicht. Es werden nicht ab morgen Umweltverbände und Autolobby an einer Front kämpfen. Nicht purer Altruismus und ökologische Überzeugungstäterschaft treiben die Volkswagen-Führung an. Der Autokonzern mit seinen zwölf Marken ist wie alle seine Wettbewerber gezwungen, überall auf der Welt scharfe Klimavorschriften einzuhalten. Sonst drohen hohe Strafen. Im eigenen Unternehmen hat Herbert Diess dabei womöglich noch die größte Überzeugungsarbeit bei seinem mächtigen Betriebsrat zu leisten.

Zudem ist der Ruf von VW nach dem Staat bemerkenswert: Wollten die Unternehmen nicht Subventionen auf Dauer verhindern? Galt die technologische Freiheit der Ingenieure nicht als Lebenselexier der Branche?
Die aktuelle Diskussion schärft den Blick auf das, was jetzt wichtig ist: Entschlossenheit. Der Rahmen, der die Transformation zu einer nachhaltigen Mobilität der Zukunft beschleunigt, muss stehen – sei es die stärkere Förderung für die Elektromobilität oder schärfere Sanktionen für Verbrennungsmotoren. Dann erledigen die Unternehmen den Rest.

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