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Bärbel Bas im Gespräch: „Ich kenne Rentner, die Pfandflaschen sammeln“
Wird die Koalition an der Rentenfrage zerbrechen? Arbeitsministerin Bärbel Bas (SPD) warnt vor den Folgen des Streits um ein „technisches Detail“. Unionsfraktionschef Jens Spahn müsse jetzt für Ordnung sorgen.
Stand:
Frau Ministerin, Ihr Gesetzentwurf zur Rente hat das Zeug, die große Koalition zu sprengen; mehr als ein Dutzend Unionsabgeordnete wollen nicht zustimmen. Ist es das wert in diesen instabilen Zeiten?
Das ist nicht nur mein Gesetzentwurf, das ist der Gesetzentwurf der gesamten Bundesregierung, und er wurde einstimmig im Kabinett verabschiedet. Die Behauptung aus Unionskreisen, ich hätte der Koalition etwas untergejubelt, ist falsch. Deswegen gibt es auch keinen Anlass, die Koalition infrage zu stellen. Mich erschreckt, was da gerade passiert.
Was passiert denn Ihrer Meinung nach in der Union?
Denjenigen, die sich gegen den Gesetzentwurf stellen, geht es nicht um die Sache. Sie lehnen einen Teil aus einem verabredeten Gesamtpaket mit sechs Elementen ab, zu dem unter anderem die Mütter- und Frühstartrente gehört. Sie inszenieren einen Generationenkampf.
Die Geschichte, die die Junge Gruppe der Union erzählt, stimmt nicht. Vielleicht liegt es daran, dass niemand von denen direkt an den Koalitionsverhandlungen teilgenommen hat. Aber allen, die am Tisch saßen, war sehr klar, was die Verabredung ist.
Nämlich?
Die Stabilisierung des Rentenniveaus mit der sogenannten Haltelinie bis 2031, indem wir die vorhandene Haltelinie verlängern. Und dann den Nachhaltigkeitsfaktor ausgehend von 48 Prozent wieder einsetzen. Es war auch allen klar, was das kosten wird. Deshalb stehen, neben der SPD, auch Friedrich Merz, Markus Söder und Jens Spahn klar hinter unserem Gesetzentwurf. Denn so war es verabredet.
Sie wollen das Rentenniveau bis zum Jahr 2031 bei 48 Prozent festschreiben, da geht die Junge Gruppe in der Union noch mit. Nach Ihrem Gesetz sind diese 48 Prozent ab 2031 auch der Startpunkt für die weitere Entwicklung des Rentenniveaus. Dagegen richtet sich der Widerstand. Sind Sie zu Zugeständnissen bereit?
Die Regelung ist eine total logische Folge einer Stabilisierung. Ich kann doch auch nicht den Tempomat so einstellen, dass beim Bremsen von jetzt auf gleich auf die Ursprungsgeschwindigkeit abgebremst wird, das kann doch nur einen Unfall geben! Dass sich das Rentenniveau nach der Stabilisierung auf der gehaltenen Basis weiterentwickelt, ist nur fair und war übrigens bei den letzten Stabilisierungsentscheidungen, die wir auch in großer Koalition getroffen haben, genau so! Wir verlängern hier nur den schon vorhandenen Mechanismus.
Soll ich den Babyboomern sagen: Ihr habt eingezahlt, aber tut mir leid, wir müssen bei euch einsparen?
Bärbel Bas, Bundesarbeitsministerin und SPD-Vorsitzende
Die Junge Gruppe fordert stattdessen eine harte Abbruchkante ab 2032 in der Entwicklung des Rentenniveaus. Der Effekt der Haltelinie soll schlicht rückabgewickelt werden. Dazu bin ich nicht bereit. Denn die Renten wären danach deutlich geringer als mit dem Gesetzentwurf.
Der Gesetzentwurf ist verhandelt und abgestimmt. Bei Fragen, die der Union wichtig waren, die aber für die SPD sehr schmerzhaft waren, hat die SPD-Fraktion gestanden. Das erwarte ich jetzt auch von der Unionsfraktion, das gehört sich so. Übrigens: Kämen wir jetzt der Jungen Gruppe entgegen, bekämen wir kaum noch ein strittiges Gesetz mit der SPD-Fraktion durch. Die würden sich dann ebenso aufbäumen gegen Dinge, die ihnen missfallen. Denn es kann nicht sein, dass immer nur ein Partner nachgibt.
Nun hat die Junge Gruppe einen prominenten Kronzeugen, Ihren Parteifreund Peer Steinbrück. Der sagt, er könne die jungen Abgeordneten der CDU/CSU „sehr gut verstehen“. Die Rentenpläne seien ein „Skandal“ und „im Sinne der Generationsgerechtigkeit völlig falsch justiert“.
Ich mache Rentenpolitik nicht für Peer Steinbrück, der ist gut versorgt. Ich setze mich für diejenigen ein, die nach einem Leben voller Arbeit eine ordentliche Rente brauchen. Auch Peer Steinbrück hat als Finanzminister für die Babyboomer nicht finanziell vorgesorgt. Also: Hätte, hätte, Fahrradkette. Wir müssen jetzt Probleme lösen.
„Auch nach 2031 liegt das Rentenniveau um rund einen Prozentpunkt höher als im geltenden Recht“, lesen wir in Ihrem Gesetzentwurf, nicht aber im Koalitionsvertrag. Deshalb der Vorwurf der jungen Unionsabgeordneten, Sie würden tricksen.
Der Vorwurf trifft nicht zu. Der Gesetzentwurf setzt den Koalitionsvertrag eins zu eins um. Der zitierte Satz beschreibt den Effekt der Haltelinie nach 2031. Nicht mehr, nicht weniger. Ich verstehe die ganze Debatte nicht, zumal 2029 eine Bundestagswahl stattfindet. Gewinnt die Union da die absolute Mehrheit, kann sie doch das Rentenniveau gleich senken.
Warum ist dieser eine Satz so wichtig?
Die Durchschnittsrente liegt bei 1400 Euro, für Frauen bei 900 Euro. Der angesprochene Satz dient unter anderem dazu, Altersarmut zu verhindern. Soll ich den Babyboomern sagen: Ihr habt eingezahlt, aber tut mir leid, wir müssen bei euch einsparen? Wenn die Junge Gruppe das will, soll sie es sagen.

© dpa/Hannes P Albert
Was passiert, wenn die Haltelinie das Rentenniveau nicht mehr absichert?
Die Haltelinie ist wichtig, ganz praktisch: Drei von vier Ostdeutschen haben nur eine gesetzliche Rente. Wenn das Rentenniveau sinkt, werden die Rentner im Verhältnis zur arbeitenden Bevölkerung ärmer. Ein stabiles Rentenniveau schützt auch vor Altersarmut. Die Kritiker unseres Gesetzes wollen etwas ganz anderes, ihr Vorgehen hat in Wahrheit wenig mit der Rente zu tun.
Was wollen die denn?
Das müssen Sie die fragen. Jedenfalls stellt das das Vertrauen in die Koalition infrage.
Ich würde es nicht verstehen, wenn die Koalition an einem technischen Detail bei der Rente scheitert. Profitieren würde davon nur eine Partei, nämlich die AfD.
Bärbel Bas, Bundesarbeitsministerin und SPD-Vorsitzende
Und damit die Kanzlerschaft von Friedrich Merz?
Die Union muss selbst wissen, wie sie mit ihrem Kanzler umgeht. Der Kanzler wird aus den eigenen Reihen angegriffen, weil er zu unseren Vereinbarungen steht. Er will das Rentenpaket, Markus Söder auch. Umso mehr ärgert mich, dass der Zoff in der Union die Koalition belastet, ihrem Ansehen schadet.
Was erwarten Sie jetzt von Ihrem Koalitionspartner? Muss der Kanzler selbst für Ordnung sorgen?
Für Mehrheiten im Parlament sind die Fraktionsvorsitzenden zuständig, bei der Union ist Jens Spahn in der Pflicht. Bei uns gab es viel Unmut gegen die Gesetze zu Migration und Familiennachzug, sogar Tränen. Wir aber haben sie aus Koalitionsräson mitgetragen. Das erwarte ich jetzt auch von der Union.
Was würde es für Deutschland bedeuten, wenn die Koalition an der Rentenfrage zerbräche?
Ich würde es nicht verstehen, wenn die Koalition an einem technischen Detail bei der Rente scheitert. Profitieren würde davon nur eine Partei, nämlich die AfD. Die Jungen in der Union, hoffe ich, wissen das.
Nun liegt das Gesetz im Parlament. Gilt der Satz des früheren SPD-Fraktionsvorsitzenden Peter Struck noch, wonach kein Gesetz den Bundestag so verlässt, wie es ihn erreicht hat?
Der gilt immer. Jedes Gesetz kann geändert werden. Wir reden hier aber über einen substanziellen Punkt aus den Koalitionsverhandlungen. Vielleicht ist ein Entschließungsantrag ein Weg, der im Bundestag ergänzend zum Gesetz mit dem Hinweis beschlossen werden kann, dass eine weitere Rentenreform ja 2026/27 kommen wird. Ich weiß doch genau: Es besteht Handlungsbedarf, wir müssen das Rentensystem grundlegend reformieren.
Wir brauchen ein mutiges Modell, bei dem sich alle drei Regierungsparteien bewegen müssen. Ich weiß genau, wie schwer das für alle wird, auch für die SPD.
Bärbel Bas, Bundesarbeitsministerin und SPD-Vorsitzende
Wie kann eine grundlegende Rentenreform aussehen?
Die Rentenkommission kommt noch dieses Jahr und muss schneller als geplant ihre Ergebnisse liefern. Das ist ambitioniert. Die Experten werden sich auch andere Systeme in Europa ansehen. Am Ende wird die Koalition sehr grundlegend entscheiden müssen. Wir brauchen ein mutiges Modell, bei dem sich alle drei Regierungsparteien bewegen müssen. Ich weiß genau, wie schwer das für alle wird, auch für die SPD.
Wie kann ein Rentensystem gerettet werden, bei dem immer weniger Arbeitnehmer für immer mehr Rentner zahlen müssen – diese Frage treibt aber schon jetzt viele Menschen im Land um. Was sagen Sie denen?
Wissen Sie, was die Menschen umtreibt? Dass die Rente oft zum Leben nicht reicht! Viele Rentner können ihre Miete und ihre Lebensmittel nicht zahlen. Ich kenne Rentner, die Pfandflaschen sammeln. Viele von denen haben lange, vor Einführung des Mindestlohnes, miserabel verdient.
In der politischen und medialen Debatte höre ich aber nur, wir könnten uns die Rente nicht mehr leisten. Nein, die Realität des Alltags sieht anders aus! Das macht mich so emotional. Und ich bin diejenige, die meiner Partei sagt: Wir müssen betriebliche und private Renten stärken, eben weil wir die gesetzliche Rente allein den Lebensstandard im Alter nicht sichern kann.
Über die Beamtenpensionen redet niemand.
Bärbel Bas, Bundesarbeitsministerin und SPD-Vorsitzende
Was schwebt Ihnen noch vor, um das Rentensystem an die demografische Entwicklung anzupassen? Länger arbeiten, weniger Rente, höhere Rentenbeiträge oder ein höherer Staatszuschuss?
Heute belasten wir für die Rente vor allem den Faktor Arbeit. Dazu kommen aus gutem Grund die Bundeszuschüsse. Der Staat unterstützt schon heute private und betriebliche Vorsorge. Da werden wir schauen, ob wir mehr machen müssen.
Man könnte die Renten künftig an die Inflation koppeln, statt an die Löhne. Dann würden Rentner zwar weniger vom Wohlstandszuwachs profitieren, aber die Rentenkasse wäre nachhaltig entlastet ...
Ich werde der Rentenkommission jetzt nicht vorgreifen.
Ihre Kabinettskollegin Katherina Reiche (CDU) sagt, an der Rente mit 70 führt über kurz oder lang kein Weg vorbei.
Das Renteneinstiegsalter steigt gerade in Deutschland, es arbeiten auch so viele ältere Menschen wie nie zuvor. Also ist das Renteneinstiegsalter gerade nicht das Problem unserer Wirtschaft. Es wäre gut, wenn sich das Wirtschaftsministerium um Wachstum und Innovation unserer Wirtschaft kümmern würde, denn mehr Wachstum und Produktivität entlasten die Rentenkassen am meisten.
Grundsätzlich bin ich kein Fan symbolischer Zahlen. Wer mit 16 Jahren anfängt, einzuzahlen, soll eher in Rente gehen können als derjenige, der erst ab 30 Beiträge zahlt. Oft wird das Beispiel Dänemark angeführt. Ja, da gilt die Rente mit 70, aber die Dänen haben ein sehr gutes Frühverrentungsmodell für diejenigen, die nicht mehr können.
Viele junge Leute fürchten, sie werden jetzt zur Kasse gebeten, bekommen später aber weit weniger als die Babyboomer. Zu Unrecht?
Denen sage ich: Wir müssen etwas ändern, denn sonst haben sie recht. Gutverdiener wie Anwälte und Ärzte sind gar nicht im System. Über die Beamtenpensionen redet niemand.
Sollten Beamte in die gesetzliche Rentenversicherung gezwungen werden? Sollten auf Kapitalerträge und Mieteinnahmen Rentenbeiträge gezahlt werden?
Diese Themen gehören alle auf den Tisch.
Leistung und Bildungsaufstieg müssen sich wieder lohnen. Das klingt vielleicht wie CDU, ist aber meine Grundauffassung.
Bärbel Bas, Bundesarbeitsministerin und SPD-Vorsitzende
Mehr Milliarden für die Rente und kaum Einsparungen beim Bürgergeld. Hat die Regierung Angst vor Zumutungen?
Ich habe keine Angst vor Zumutungen. Aber nur weil etwas eine Zumutung ist, ist es noch lange nicht gut. Viele in den Talkshows fordern Zumutungen, von denen sie selber gar nicht betroffen wären. Ich habe diejenigen im Blick, die unser Land am Laufen halten. Für die mache ich Politik.
Ihre Bürgergeld-Reform bringe keine „nennenswerten Einsparungen“, sagen Sie, nämlich nur 86 Millionen Euro, das sind 0,2 Prozent. Ist das den Aufwand wert?
Hohe Einsparerwartungen beim Bürgergeld habe ich nie geweckt. Mit Sanktionen lässt sich wenig sparen. Am ehesten spare ich, wenn wir Menschen in Arbeit bringen. Wenn 100.000 der 1,8 Millionen arbeitsfähigen Bürgergeldbezieher wieder voll arbeiten, spart das richtig Geld. Das ist meine Motivation. Wer arbeiten kann, muss mitmachen. Ich will, dass Arbeit sich lohnt.
Den Bürgergeldbeziehern sage ich: Das sichere System ist die Arbeit, nicht das Bürgergeld.
Das müssten Selbstverständlichkeiten für eine sozialdemokratische Partei sein. Ihre SPD hat in 23 der vergangenen 27 Jahre regiert. Hat sie da was versäumt?
Das weiß ich nicht, ich bin ja jetzt hier (lacht). Ganz im Ernst: Natürlich müssen wir darüber in der SPD debattieren. Ich will, dass es in Deutschland gerecht zugeht, da bin ich hart, vielleicht sogar ideologisch. Ich kämpfe für das Sozialsystem – aber auch dafür, dass so wenige Menschen wie möglich darauf angewiesen sind.
Dabei gilt: Leistung und Bildungsaufstieg müssen sich wieder lohnen. Das klingt vielleicht wie CDU, ist aber meine Grundauffassung.
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