Politik: Beckham statt Gefangene
Nicht allen in Großbritannien geht das Schicksal der Soldaten nahe – Kritiker beklagen Gleichgültigkeit
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Die Kalten Kriege des 21. Jahrhunderts werden mit Videoclips geführt. Nach der Vorführung der Soldatin Faye Turney brachte das iranische Fernsehen am Freitag ein „Interview“ mit dem gefangenen britischen Soldaten Nathan Summers in Umlauf. Tausendfach vervielfältigt ist das „Geständnis“ nun weltweit und rund um die Uhr bei Nachrichtensendern und auf Internetseiten zu sehen. „Ich würde mich nur gern dafür entschuldigen, dass wir ohne Erlaubnis in Ihre Gewässer eingedrungen sind“, sagt Summers in Worten, die wie auswendig gelernt klingen. Die iranische Botschaft in London veröffentlichte zudem den dritten angeblichen Brief der Soldatin Turney. In ungelenkem Englisch heißt es darin unter anderem: „Wir müssen beginnen, unsere Truppen aus dem Irak abzuziehen.“
Die britische Öffentlichkeit begleitet das Propaganda-Spektakel mit einer Mischung aus Kritik, Wut und Ohnmacht. Premierminister Tony Blair nannte die Veröffentlichung von Videos und Bildern am Freitag „abscheulich“. Der diplomatische Ansatz, den er und seine Regierung bei der Lösung der Krise bislang verfolgen, wird auf die Probe gestellt.
„Noch ein Dreh an der Schraube“, titelt die „Daily Mail“. „Iran erhöht den Druck auf Tony Blair.“ Darunter werden drei Bilder gezeigt: Faye Turney als Mutter mit Kind, Kämpferin mit Maschinenpistole und Gefangene mit Kopftuch. Die Aufforderung scheint klar: Tut alles, um diese tapfere Frau zu befreien. Doch auf der Leserbriefseite des nationalistischen Blattes überwiegt die Kritik an den eigenen Streitkräften, die Faye Turney überhaupt erst in diese Situation gebracht haben. Nur wenige Briefe bemühen die große britische Historie und fordern einen Rückgriff auf koloniale Kanonenbootpolitik.
Es haben auch längst nicht alle Zeitungen ihre Titelblätter am Freitag wieder für die gefangenen Soldaten freigeräumt. Bei den Boulevardblättern „Sun“ und „Daily Mirror“ konkurrierte Faye Turney mit David und Victoria Beckham. Die „Times“ hatte sogar nur noch ein Eckchen auf Seite eins für die gefangenen Royal Marines übrig. Dass Computerhacker sich Millionen von Kreditkartennummern angeeignet haben, war als Topthema wichtiger.
James Forsyth vom politischen Magazin „Spectator“ beobachtet unter seinen Landsleuten gar eine „kollektive Gleichgültigkeit“ gegenüber dem „kriegerischen Akt des Iran“. „Man hält vergeblich Ausschau nach Massendemonstrationen vor der iranischen Botschaft“, schreibt Forsyth. In Italien beispielsweise demonstrierten Hunderttausende für die Freilassung der Journalistin Giuliana Sgrena, Reporterin der kleinen linken italienischen Zeitung „il manifesto“, die 2005 im Irak entführt worden war. Allerdings ist der Vergleich schwierig, schließlich handelte es sich um eine Zivilisten und nicht um eine Berufssoldatin. Doch eigentlich sind die Briten ihren Streitkräften traditionell gegenüber sehr positiv eingestellt. Das liegt vor allem an den beiden Weltkriegen des vorigen Jahrhunderts, die Großbritannien unter großen Opfern gewann. Selbst Linke schließen auf der Insel normalerweise die Reihen, wenn „unsere Jungs“ (und seit einiger Zeit natürlich auch Mädchen) einmal in Marsch gesetzt worden sind. Der Irakkrieg hat diese Gewissheiten erschüttert. 60 Prozent der Briten sind inzwischen gegen das militärische Engagement am Golf.
Doch natürlich melden sich auch die Hardliner weiterhin zu Wort. Im Internetforum des „Daily Telegraph“ kritisiert ein G. Smith Kürzungen im Verteidigungshaushalt und schreibt: „In Krisenzeiten braucht man eine Führung, die Eier hat. Wie Mrs. Thatcher.“ Mr. Smith vergisst allerdings, dass Margaret Thatcher in ihrer Anfangszeit als Premierministerin durchaus auch vorhatte, das Verteidigungsbudget zu verkleinern. Erst durch den Falklandkrieg wurden diese Pläne gestoppt.
Gleichzeitig wächst der Unmut in Großbritannien über die vermeintliche Untätigkeit der Vereinten Nationen (UN). Von einer „verwässerten Erklärung“ ist im Zusammenhang mit der Reaktion des UN-Sicherheitsrates auf die Iran-Affäre in vielen Zeitungen die Rede.
Den schwarzen Humor verlieren die Briten auf jeden Fall nicht: Der Karikaturist der „Daily Mail“ zeigt Margaret Beckett an ihrem Schreibtisch im „Foreign Office“, den Telefonhörer in der Hand, vor sich die Zeitung mit der Iran-Schlagzeile. „Sie verlegen sich jetzt auf psychische Folter“, sagt die Außenministerin. „Sie zwingen unsere Soldaten, Wiederholungen vom Spiel England gegen Andorra zu gucken.“
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