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Mitglieder der ukrainischen Territorialverteidigung bei einer Übung im Süden des Landes.

© Oleksandr GIMANOV / AFP

Ukraine-Invasion Tag 175: „Befreien, ohne anzugreifen“ – der paradoxe Plan der Ukrainer für Cherson

Chinesen bei russischer Militärübung, die Explosionen auf der Krim und die russische Jagd nach den Urhebern. Der Überblick am Abend. 

Stand:

Die Ukraine und ihre angekündigte, aber nicht stattfindende Offensive im Süden des Landes gibt Beobachtern weiter Rätsel auf. Russland hat seine Truppen in der Gegend inzwischen deutlich verstärkt. Kiew scheint das nicht sonderlich zu besorgen.

Warum? Der mögliche Plan der Ukrainer, die Gegend um die Stadt Cherson zu befreien, mutet auf den ersten Blick paradox an: Weil die Militärführung in Kiew nie den Plan hatte, die Russen kämpfend zu vertreiben, sondern ihre Position unhaltbar zu machen. 

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Für dieses Szenario sprechen Aussagen von Roman Kostenko, eines Parlamentsabgeordneten, der in den Reihen der Spezialkräfte in der Südukraine kämpft. Gegenüber dem britischen "Guardian" sagte er (Quelle hier): "Wir haben nicht genug Waffen, um jetzt eine Offensive zu starten und den Feind zu schlagen. Es reicht gerade mal, um unser Territorium zu verteidigen". Das deckt sich mit Einschätzungen westlicher Experten und Aussagen von ukrainischen Politikern und Militärs. 

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Weiter erklärt er: "Um Cherson zu befreien, brauchen wir Cherson nicht anzugreifen. Wenn wir die Brücke kontrollieren, haben sie keine Logistik." Der Hintergrund: Die Ukrainer haben alle drei Brücken über den Dnipro für schweren Verkehr unpassierbar gemacht. Die Nachschubwege für die russischen Truppen sind damit nachhaltig gestört, schon bald werden Munition und Lebensmittel knapp werden, die Verteidigung gegen die Ukrainer wird schwer fallen. 

Die Idee in Kiew könnte sein, dass die Russen irgendwann einsehen, dass das Gebiet um Cherson nicht mehr zu verteidigen ist und sich zurückziehen. Ähnlich war es in den Anfangswochen des Krieges: Als die Russen merkten, dass sie Kiew nicht erobern können und gleichzeitig im Donbass angreifen, zogen sie sich aus dem Norden des Landes zurück. Vor dieser Entscheidung wird Moskau wohl bald wieder stehen. Der Vorteil für die Ukrainer: Eine möglicherweise verlustreiche Attacke auf Cherson und damit ein Häuserkampf bliebe ihnen erspart. 

In eine ähnliche Richtung gehen Aussagen von Mykhailo Podolyak, einem der Berater von Präsident Selenskyj. "Russland hat allen beigebracht, dass man für eine Gegenoffensive große Mengen an Kräften benötigt, die wie eine riesige Faust in eine Richtung schlagen. Eine ukrainische Gegenoffensive sieht ganz anders aus. Wir verwenden nicht die Taktiken der 60er und 70er Jahre", erklärt in einem Interview mit dem "Guardian" (Quelle hier).

Schon vergangene Woche gab es Gerüchte, dass die regionale Militärführung der Russen aus Cherson auf die sicherere Ostseite des Flusses Dnipro geflüchtet ist. Werden bald weitere russische Truppen folgen?  

DIE WICHTIGSTEN NACHRICHTEN DES TAGES IM ÜBERBLICK

  • China kündigt die Teilnahme an einem Militärmanöver in Russland an. Chinesische Soldaten würden für die gemeinsam mit Russland, Indien, Belarus und Tadschikistan angesetzten Übungen nach Russland entsandt, gibt das chinesische Verteidigungsministerium bekannt. Die Teilnahme stehe nicht in Zusammenhang mit der derzeitigen internationalen und regionalen Lage. Die Übungen seien vielmehr Teil einer seit Jahren laufenden, bilateralen Vereinbarung. Mehr in unserem News-Blog. 
  • Die Bundesregierung fordert von der malischen Führung Aufklärung über mutmaßliche russische Sicherheitskräfte auf dem Flughafen in Gao. Der deutsche Botschafter in Bamako habe sich an das malische Außenministerium gewandt, sagte ein Sprecher des Auswärtigen Amtes in Berlin am Mittwoch. "Denn das ist eine Entwicklung, die das Missions-Umfeld verändert", fügte er mit Blick auf die deutsche Beteiligung am UN-Einsatz Minusma in Mali hinzu. 
  • Zur Verteidigung gegen russische Truppen hat die Ukraine sechs Panzerhaubitzen von Lettland erhalten. „Zusammen werden wir siegen!“, schrieb Verteidigungsminister Olexij Resnikow in der Nacht zum Dienstag bei Twitter. Es handele sich um sechs selbstfahrende Geschütze des US-amerikanischen Typs M109.
  • Nach Explosionen auf russischen Militärstützpunkten auf der Krim wechselt Russland den Chef der Schwarzmeer-Flotte aus. Zum neuen Kommandeur sei Viktor Sokolow ernannt worden, berichtet die Nachrichtenagentur RIA unter Berufung auf Insider.
  • In der Diskussion über einen Stopp von Touristenvisa für Russen hat sich Litauens Außenminister Gabrielius Landsbergis für eine europaweite Regelung ausgesprochen. „Am besten sollte es eine Entscheidung auf europäischer Ebene sein, mit der einfach die Gültigkeit dieser Visa aufgehoben wird und jeder damit aufhören würde, sie zu auszustellen“, sagte der Chefdiplomat des baltischen EU- und Nato-Landes am Mittwoch in Vilnius.
  • Russland rechnet mit einer Verdoppelung des Preises für seine Gasexporte in diesem Jahr. Dieser werde angesichts sinkender Exporte bei durchschnittlich 730 Dollar pro 1000 Kubikmeter liegen, geht aus den Reuters vorliegenden Prognosen des Wirtschaftsministeriums hervor.
  • Zum zweiten Mal binnen einer Woche kam es zu schweren Explosionen in russischen Munitionslagern auf der Krim. Dabei handelte es sich um einen umfunktionierten Bahnhof, weswegen die Munition, anders als bei einem Luftwaffenstützpunkt, überirdisch gelagert wurde. Auch in der russisch besetzten Stadt Melitopol in der Südukraine kam es zu einer Explosion. 
  • Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) ist davon überzeugt, dass der Krieg in der Ukraine nur mit Verhandlungen zu beenden ist. „Sanktionen sind richtig und die Unterstützung der Ukraine auch“, sagte Kretschmer am Dienstagabend bei einer Diskussion in Dresden. Doch der Krieg müsse „möglichst schnell durch Verhandlungen zu einem Stillstand kommen“.
  • Der russische Inlandsgeheimdienst (FSB) teilte am Dienstag mit, dass "ukrainische Sabotagegruppen" für die Sprengung von sechs Strommasten des russischen Kernkraftwerks Kursk nahe der Grenze zur Ukraine verantwortlich sind. Dies berichtete das russische Exilmedium "Meduza".

HINTERGRUND UND ANALYSE

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