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Außer Spesen nichts gewesen? Flaggen der G7-Staaten in Elmau.

© IMAGO/Eibner

Was man aus Elmau lernen kann: Beim G7-Gipfel zeigte sich die Arroganz des Westens

Die Russland-Sanktionen schaden vor allem dem globalen Süden. Deshalb scheiterten die G7 in Elmau darin, eine wirkungsvolle Allianz zu schmieden. Ein Gastbeitrag.

Ein Gastbeitrag von Josef Braml

Von Schloss Elmau, dem Tagungsort des jüngsten G7-Gipfels, sollte ein gemeinsames Signal starker Demokratien ausgehen, im vollen Bewusstsein ihrer globalen Verantwortung.

Doch letztlich war das Gegenteil der Fall: Vergebens versuchte die „Wertegemeinschaft führender Demokratien“ wichtige Schwellenländer wie Indien, Indonesien und Südafrika im Zeichen von Wladimir Putins Krieg gegen die Ukraine in ihre Allianz gegen Russland einzubinden.

[Josef Braml, Jahrgang 1968, ist Politikwissenschaftler und Generalsekretär der Deutschen Gruppe der Denkfabrik Trilaterale Kommission. Er leitet außerdem das Programm Amerika bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik.]

Aus guten Gründen vermieden es deren politische Führer, sich den westlichen Sanktionen gegen Moskau anzuschließen. Denn durch ihre zwar wohlgemeinten, aber strategisch kurzsichtigen Strafmaßnahmen schaden die westlichen Staaten nicht nur ihren eigenen Volkswirtschaften, sondern auch dem „Rest der Welt“, auf den die G7 von ihrer vermeintlich höheren, weil demokratischen Warte oft herabschauen.

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Die USA am Abgrund

Verdrängt wird dabei die Tatsache, dass insbesondere die Demokratie der westlichen Führungsmacht USA schwer beschädigt ist. Der Untersuchungsausschuss zum Sturm auf das Kapitol bringt immer mehr beunruhigende Fakten eines militanten Trumpismus ans Licht. Mittlerweile fürchtet die Mehrheit der US-Bevölkerung, ihre Demokratie könnte bald durch eine Autokratie ersetzt werden.

Zur Erinnerung: Der vom Wahlverlierer Donald Trump angestiftete Mob trachtete am 6. Januar 2021 sogar nach dem Leben des damaligen Vizepräsidenten Mike Pence. Um Trump doch noch eine zweite Amtszeit zu ermöglichen, manipulieren Trumps Republikaner derzeit bar rechtsstaatlicher Skrupel in den einzelnen Bundesstaaten das Wahlrecht.

Die einstige Grand Old Party steht nach wie vor im Banne eines Mannes, der den Kriegsverbrecher Putin ein „Genie“ nennt. Dass Trump nach den Präsidentschaftswahlen 2024 ins Weiße Haus zurückkehrt, ist jedenfalls alles andere als ausgeschlossen – zumal Amtsinhaber Biden in der Bevölkerung massiv an Zustimmung verliert.

Beim Gipfel 2018 griff Trump Selenskyj an

Weithin in Vergessenheit geraten ist auch der G7-Gipfel im kanadischen Quebec, bei dem Trump 2018 mit seiner exklusiven Forderung, Russland wieder in den Club der wichtigsten Industrieländer aufzunehmen, für einen Eklat sorgte.

Schon zuvor hatte er im US-Wahlkampf vom ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj belastendes Material gegen seinen Herausforderer Biden und dessen Sohn Hunter gefordert. Hunter stand auf der Gehaltsliste der ukrainischen Gasholding Burisma, obwohl sein Vater als Vizepräsident in der Amtszeit von Barack Obama für das Ukraine-Dossier verantwortlich war. Ohne belastendes Material, so Trumps unverhohlene Drohung, würden die USA unter seiner Führung die militärische Hilfe an die Ukraine zurückfahren.

Russland-Sanktionen gehen zulasten armer Länder

Vor diesem Hintergrund ist es zwar zu begrüßen, dass die deutsche G7-Präsidentschaft in enger Abstimmung mit ihren Verbündeten die Maßnahmen zur Unterstützung der Ukraine koordinieren will. Aber dazu gehören auch weitreichende Finanz- und Wirtschaftssanktionen gegen Russland, die ihre beabsichtigte Wirkung – die Änderung von Putins Verhalten oder einen Regimewechsel in Moskau – verfehlen.

Während alle G7-Staaten, also Deutschland, Frankreich, Italien, Japan, Kanada, Großbritannien und die USA, Wirtschaftssanktionen gegen Russland in Kraft setzten, stemmt sich eine Reihe von Staaten des „globalen Südens“ schon deshalb dagegen, weil sie sich diese Strafmaßnahmen einfach nicht leisten können.

Wenig ergiebig: Bundeskanzler Olaf Scholz sprach in Elmau mit Narendra Modi, dem indischen Premierminister.
Wenig ergiebig: Bundeskanzler Olaf Scholz sprach in Elmau mit Narendra Modi, dem indischen Premierminister.

© dpa/Sven Hoppe

Das gilt beispielsweise für Argentinien, Brasilien, China, Indien, Indonesien, Mexiko, Saudi-Arabien, Südafrika und die Türkei. Es ist jedenfalls kein Zufall, dass es sich bei jenen Staaten, die Sanktionen mittragen, um reiche Länder handelt.

Prozess der Deglobalisierung

Hinzu kommt ein weiterer Aspekt: Im geopolitischen Großkonflikt unserer Zeit setzen die USA und China Wirtschaft als Waffe ein, um ihre strategischen Ziele zu erreichen. Die durch Russlands Aggression gegen die Ukraine zusätzlich gestörten Lieferketten deuten auf einen forcierten Prozess der Deglobalisierung hin. Denn wirtschaftliche Verflechtung macht angreifbar, Deutschland kann wegen seiner Gasabhängigkeit von Russland ein Lied davon singen.

Deshalb ist „Resilienz“ nun ein gern gebrauchtes Schlagwort – auf Kosten von Effizienz, etwa der international vernetzten „Just-in-time“-Produktion. Dieses „Friendshoring“, „Nearshoring“ oder „Reshoring“ bedeutet: Westliche Unternehmen verlagern ihre Produktion zurück nach Hause statt auf russische oder chinesische Lieferanten zu setzen.

Unterbrochene Lieferketten gefährden den Westen

Für Deutschland und Europa dürfte das gravierende Folgen haben. Welche Konsequenzen eine Entkoppelung schon kurz- und mittelfristig nach sich ziehen kann, war bereits in der Corona-Krise zu besichtigen. Als die Container aus China zu Beginn der Pandemie ausblieben, fehlten schnell wichtige Grundstoffe und Alltagsprodukte.

Nachdem die Wirtschaft allmählich wieder in Gang kam, verursachten die nach wie vor gestörten Lieferketten erhebliche Nachschubprobleme – und trieben die Inflation in lange nicht gekannte Höhen.

Betriebe man jetzt im Sinne Washingtons eine weitere Entflechtung der westlichen Volkswirtschaften von China, würde das die Inflationsspirale weiter anheizen – ein Spiel mit dem Feuer, das nicht im Interesse Europas wäre.

Sanktionen befeuern die Inflation

Auch gegenüber Russland beginnt die Sanktionsfront des Westens zu bröckeln, weil immer deutlicher wird: Wirtschaftswaffen sind zweischneidige Schwerter. Das ohnehin löchrige Ölembargo gegen Russland etwa hat angesichts der dadurch verursachten Preissteigerungen den makabren Effekt, dass in den russischen Staatshaushalt nicht weniger, sondern mehr Gelder als zuvor fließen. Gleichzeitig bedrohen die Sanktionen den Wohlstand westlicher Gesellschaften.

Inzwischen rät US-Finanzministerin Janet Yellen aus eigenem Interesse den Europäern sogar davon ab, russische Öllieferungen vollständig zu boykottieren. Denn die höheren Ölpreise befeuern die Inflation und zwingen die US-Notenbank zu einer immer restriktiveren Geldpolitik, die wiederum zu weiteren Einbrüchen an den US-Aktienmärkten und der US-Wirtschaft führen dürfte.

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Allerdings: Weit stärker als westliche Volkswirtschaften sind von der Sanktionspolitik und ihren Folgen die Schwellen- und Entwicklungsländer betroffen. Das gilt insbesondere für jene Staaten, die sich in der US-Währung verschuldet haben. Ihnen drohen schon jetzt wegen des gestiegenen Dollar-Kurses ernsthafte Zahlungsschwierigkeiten.

Außerdem müssen die Schwellen- und Entwicklungsländer befürchten, dass im Zuge der restriktiveren Geldpolitiken westlicher Notenbanken massiv Investitionsmittel abfließen. Ohnehin ist die Gefahr gleichzeitiger Wachstums-, Energie-, Nahrungsmittel- und Schuldenkrisen für viele Länder schon mehr als besorgniserregend.

Vor diesem Hintergrund ist die Weigerung etwa von Indien, Indonesien und Südafrika, sich den westlichen Sanktionen anzuschließen, nur konsequent. So gesehen konnte vom jüngsten G7-Gipfel auf Schloss Elmau trotz aller hehren Rhetorik gar kein gemeinsames Signal starker Demokratien ausgehen.

Josef Braml

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