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Die Erderwärmung hat massive Auswirkungen auf Eismassen und Ozeane.

© Ulf Mauder/dpa

Meeresspiegel steigt: Bericht des Weltklimarats zum „richtigen Zeitpunkt“

Die Gesellschaft nehme die Botschaft jetzt viel stärker auf, sagt der Weltklimarats-Co-Vorsitzende. Der Rat hat einen Bericht zum Klimawandel vorgelegt.

Beim Kampf gegen den steigenden Meeresspiegel und andere Folgen der Erderwärmung setzen Wissenschaftler vor allem auf die Jugend. Die Fridays-for-Future-Bewegung hatte kurz vor dem Klimagipfel des UN-Generalsekretärs António Guterres dafür demonstriert, dass die Politik auf die Erkenntnisse der Wissenschaft hört.

Diese legte am Mittwoch einen Bericht vor, der die Folgen des Klimawandels für die Meere, die Gletscher und die Eiskappen der Pole beschreibt. Die zeitliche Nähe der Veröffentlichung zum Klimagipfel der Vereinten Nationen am Montag komme gerade richtig: „Es ist ein guter Zeitpunkt dafür, dass der Bericht in die Verhandlungen einfließt, die auf den Gipfel folgen werden“, sagte die Co-Vorsitzende des Weltklimarats Debra Roberts.

Die leitende Wissenschaftlerin des IPCC, Ko Barrett, richtet ihre Hoffnungen ebenfalls vor allem auf die Jugend: „Ihre überall auf der Welt ansteigenden Aktionen zum Zeitpunkt des Gipfels werden von der Wissenschaft sehr unterstützt.“

Auch der IPCC-Co-Vorsitzende Hans-Otto Pörtner setzt auf die Jugendlichen: „Es ist ganz klar, dass die Gesellschaft die Botschaft jetzt viel stärker aufnimmt, besonders die jungen Leute“, sagte er. „Die Politik hat die Wahl schnell zu reagieren, um die Entwicklungen aufzuhalten.“ Je schneller diese Transformation verlaufe, desto weniger Einschränkungen würden nötig sein.

Auf die Frage, ob die Politik angemessen auf die Erkenntnisse der Wissenschaft reagiert, antworteten die Forscher zurückhaltend. Die Rolle des Weltklimarats ist ausdrücklich nur beratend, er soll und will keine Empfehlungen aussprechen. „Die Emissionen steigen immer noch“, erinnerte Valéry Masson-Delmotte. Sie müssten so bald wie möglich ihren Höhepunkt erreichen. Es gebe schon viele Regionen auf der Welt, wo gehandelt werde. „Dort zeigt sich, dass man das Senken der Klimagase mit mehr Wohlbefinden für die Menschen verbinden kann. Aber die Herausforderung ist, schnell genug und global zu handeln“, sagte die Forscherin. Indirekt kritisierte sie damit auch, dass zurzeit noch nicht genug getan wird.

Trinkwasser wird knapp

Wenn nicht gegengesteuert wird, könnten schon im Jahr 2050 eine Milliarde Menschen an den Küsten von stärkeren Stürmen, höheren Wellen intensiveren Sturmfluten und dem Steigen des Meeresspiegels betroffen sein, warnen die Experten. Auch die Trinkwasserversorgung von 670 Millionen Menschen in den hochgelegenen Regionen der Erde ist wegen der schmelzenden Gletscher in Gefahr. 80 Prozent der kleinere Gletscher in Europa, den Anden und Asien bis zum Jahr 2100 verschwunden sein. Ausgeschlossen von dieser Prognose ist der „dritte Pol“ der Erde mit den Eiskappen des Himalaya, die aufgrund ihrer Dicke noch länger bestehen werden.

Der Bericht ist der dritte innerhalb eines Jahres. Zuletzt hatte der Weltklimarat den Einfluss der Erderwärmung auf das Land und die Böden untersucht. Im Oktober 2018 war der Bericht zum 1,5-Grad-Ziel erschienen. Er hatte beschrieben, welchen Unterschied es macht, ob sich die Erde um 1,5 oder zwei Grad erwärmt.

Der IPCC forscht nicht selbst, sondern seine Experten fassen den Stand der Wissenschaft zusammen. Grundlage sind stets mehrere Tausend Fachaufsätze in begutachten Journalen. Für den aktuellen Bericht waren es über 7000 Aufsätze.

Korallenriffe besonders betroffen

„Wasser ist das Lebenselement unseres Planeten“, erinnerte Ko Barrett, eine der leitenden Wissenschaftlerinnen des Weltklimarats. Sein Bericht enthält einige düstere Botschaften: Bisher haben die Meere 90 Prozent der Hitze und 20 bis 30 Prozent des Kohlendioxids aufgenommen, die durch die Verbrennung von fossilen Energien entstanden sind. Das berichtete Pörtner. Schon jetzt würden die Meere deshalb weniger Sauerstoff aufnehmen und versauern. „Das beeinträchtigt alle Lebewesen, die Kalkschalen bilden“, sagte Pörtner.

Bereits heute stark vom Klimawandel betroffen sind die Korallenriffe, die besonders empfindlich auf Hitzewellen im Meere reagieren. Erwärmt sich die Erde um zwei Grad, werden diese Hitzewellen 20mal häufiger vorkommen als ohne Erderwärmung. Schreitet die Menschheit auf dem aktuellen Emissionspfad weiter, werden es sogar 50mal mehr marine Hitzewellen sein.

Die Botschaft der Wissenschaftler wiederholt die Botschaft früherer Berichte: „Was auf dem Spiel steht, sind die Ökosysteme, von denen wir Menschen abhängen“, sagte Barret. Zurzeit sehe es so aus, als ob die Menschheit das Rennen gegen den Klimawandel verlieren, sagte IPCC-Chef Hoesung Lee.

Abschmelzen Grönlands könnte sieben Meter beitragen

Der Bericht stützt sich in großen Teilen auf zwei Szenarien: Eines mit stark gebremsten Emissionen und eines mit weiter steigenden. Es gibt in den Klimamodellen noch zwei weitere Szenarien mit Mittelwegen, wie sie schon heute von einigen Ländern eingeschlagen werden. Diese wurden aber in vielen der referierten Aufsätze nicht angewendet, hieß es bei der Vorstellung des Berichts in Monaco. Er gibt also häufig nur die beiden extremen Enden möglicher Entwicklungen wieder.

Der Bericht wurde innerhalb von zwei Jahren erarbeitet. Er entstand auf Bitten von Küstenländern wie Monaco, die ein Interesse an genauem Wissen über den Anstieg des Meeresspiegels haben. Werden die Emissionen nicht gebremst, wird der Meeresspiegel in kommenden Jahrhunderten mehrere Zentimeter pro Jahr steigen. Zurzeit sind es drei Millimeter pro Jahr, bis vor 25 Jahren waren es 1,5 Millimeter pro Jahr.

Wie hoch der Meeresspiegel insgesamt steigen wird, hängt stark davon ab, ob der Westantarktische Eisschild instabil wird – also unaufhaltsam abschmelzen wird. Bisher können die Forscher nicht sagen, ob diese Entwicklung bereits eingesetzt hat. Die Eismassen der Westantarktis enthalten so viel Wasser, dass der Meeresspiegel um drei Meter steigen würde. Das Abschmelzen Grönlands würde sieben Meter beitragen. Bis zum Jahr 2100 wird aktuell mit einem Anstieg von bis zu 1,1 Meter gerechnet.

„Risiken nicht genügend thematisiert“

Starken Einfluss auf die Ökosysteme werden außerdem Erdrutsche haben, die durch das Schmelzen der Gletscher entstehen. Auch beim Permafrost gibt es zwei extreme Entwicklungen: Gelingt es, den Klimawandel auf 1,5 Grad zu begrenzen, wird bis zum Jahr 2100 ein Viertel des Permafrosts auftauen. Er enthält große Mengen des Klimagases Methan. Bei einem Weiter-So werden bis 2100 rund 70 Prozent auftauen.

Was bereits feststeht: Der Golfstrom hat sich verlangsamt, was in Übereinstimmung mit den Klimamodellen steht, die die Auswirkungen des Klimawandels auf diese Strömung simulieren. Für Europa bedeutet das, dass weniger milde Luft vom Meer über den Kontinent transportiert wird.

„Bemerkenswert an dem neuen IPCC-Bericht ist vor allem, dass der prognostizierte Meeresspiegelanstieg für 2100 erneut höher ausfällt als in vorangehenden Berichten“, sagte Christoph Schneider, Professor für Klimageographie an der Humboldt-Universität zu Berlin. Der Bericht sei allerdings bei den Prozessen in der Antarktis erstaunlich zurückhaltend. Vermutlich wollten sich die Autoren nicht dem Vorwurf des Alarmismus aussetzen. Seiner Ansicht nach werde dadurch das Risiko nicht genügend thematisiert.

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