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Der Islamist Denis Cuspert auf einem Screenshot aus dem November 2014.

© dpa

Berliner im Dschihad: Hauptsache Krieg

Zwei junge Männer suchen Halt – und kommen so zum radikalen Islam. Einer von ihnen steht nun in Berlin vor Gericht. Der andere kämpft im Nahen Osten. Beide verschrieben ihr Leben dem Dschihad. Wie mehrere hundert allein in Deutschland.

Von Frank Jansen

Ein Schlachtfeld in Syrien. Islamistische Kämpfer haben im Durin-Gebirge eine Stellung von Truppen des Assad-Regimes erobert. Zwischen Armeezelten liegen Tote. Die Dschihadisten laufen triumphierend durch das Gelände. Zu den Siegern gehören offenbar auch Deutsche. Der eine ist mutmaßlich Fatih K., er filmt mit einer Videokamera den bekanntesten Dschihadisten der Bundesrepublik, Denis Cuspert.

Die beiden nähern sich Leichen in Kampfuniform. „Hier noch zwei stinkende Hunde“, sagt der Kameramann. Das Stichwort für Cuspert. Er versetzt den Toten Fußtritte. „Ich hasse die“, sagt er, „vergewaltigen unsere Schwestern, töten unsere Kinder“. Der Film bricht ab.

Das Video, vermutlich vom August 2013, dauert nur 39 Sekunden. Doch es reicht, um den Wahn und die Verrohung von Islamisten zu zeigen, die aus Deutschland in den syrischen Bürgerkrieg gezogen sind. Die Filmdatei ist auch nicht die einzige, die das Bundeskriminalamt im September 2013 auf einem USB-Stick aus der Kreuzberger Wohnung von Fatih K. entdeckt hat. Die grässlichen Szenen könnten zumindest für ihn unangenehme Folgen haben.

Einblick in die Welt der Dschihadisten

Seit Donnerstag steht Fatih K., gemeinsam mit dem Frankfurter Türken Fatih I., ein eher unauffälliger Mitläufertyp, vor dem Berliner Kammergericht. Es geht um den syrischen Bürgerkrieg, erstmals in einem Berliner Terrorprozess, in dem auch der rasante Wandel der Dschihadistenszene in Deutschland eine Rolle spielen wird.

Obwohl Fatih K. und Fatih I. am Donnerstag zu den Vorwürfen der Bundesanwaltschaft geschwiegen haben, Mitglied der Terrortruppe Junud al Sham (Soldaten Syriens) gewesen zu sein, eine paramilitärische Ausbildung durchlaufen und eine "schwere staatsgefährdende Gewalttat vorbereitet zu haben", bietet das Verfahren doch einen Einblick in die bizarre Welt der vielen Dschihadisten, die zwischen Deutschland und Syrien pendeln. Und die im Kopf den Terroristen von Paris sehr nahe sind.

Fatih K. im Jahr 2011 vor Gericht.
Fatih K. im Jahr 2011 vor Gericht.

© R. Jensen/dpa

Bei der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe sind bereits 46 Verfahren mit Bezug zu Syrien anhängig, sie richten sich gegen 83 Beschuldigte. Ende 2013 waren es erst fünf Verfahren mit acht Beschuldigten. Die Bundesanwaltschaft geht davon aus, „dass der Scheitelpunkt noch nicht erreicht ist“. Das klingt logisch angesichts alarmierender Daten von Verfassungsschutz und Polizei. Mehr als 550 Islamisten aus Deutschland sollen bereits nach Syrien gereist sein und dort ihren Fanatismus austoben.

Bis hin zum Einsatz des eigenen Lebens. Zehn Dschihadisten aus der Bundesrepublik sollen sich bei Selbstmordanschlägen in die Luft gesprengt haben, weitere 50 bei Gefechten gestorben sein. Denis Cuspert, heute eine wichtige Figur beim „Islamischen Staat“, hätte es beinahe auch erwischt.

Im September 2013 sitzt er mit weiteren Dschihadisten in einem Haus in Syrien, als ein Kampfjet und ein Hubschrauber Raketen abfeuern. Cuspert habe, sagen Experten, vom Dach des Hauses geschossen, anstatt in den Keller zu flüchten. Das bezahlt er beinahe mit dem Leben. Eine Rakete trifft das Haus, Cuspert wird am Kopf schwer verletzt. Die anderen Dschihadisten fahren den Berliner von Krankenhaus zu Krankenhaus, bis sich ein Arzt findet, der die Wunde behandeln kann. Es sei „erstaunlich“, schreibt der Hamburger Verfassungsschützer und Terrorexperte Behnam T. Said in seinem Buch über den Islamischen Staat, dass Cuspert überlebte.

Kreuzberger Jungs

Der 39-jährige Ex-Rapper, Sohn einer deutschen Mutter und eines ghanaischen Vaters, und der drei Jahre jüngere Fatih K., Deutscher mit türkischen Wurzeln, sind Kreuzberger Jungs. Womöglich haben sie sich auf den Straßen des Viertels, diesem schrillbunten Gemisch der Kulturen, sogar kennengelernt. Zwei desorientierte junge Männer auf der Suche nach innerem Halt, den sie schließlich im rigiden Zwangssystem des radikalislamischen Salafismus zu finden glauben. Schon die Biografie von Fatih K. ist eine Geschichte für sich.

Geboren 1978 in Berlin, wächst er mit fünf Geschwistern in einer eher liberalen Familie auf. Er hat Probleme in der Schule, die Eltern kümmern sich jedoch kaum. Der Junge lungert in Kreuzberg mit Freunden herum, raucht Marihuana, versucht sich im Breakdance. 1996 schafft er einen Hauptschulabschluss, eine anschließende Lehre als Maurer muss er abbrechen. Nicht aus eigener Schuld – die Firma macht dicht. Danach gelingt es Fatih K. nicht mehr, einen soliden Job zu finden. Er lebt von Gelegenheitsarbeit und Sozialleistungen. Ein Jahr lang ist er als Schrottsammler unterwegs, fühlt sich dann aber auch damit überfordert. Trotz seiner prekären Lage wird er allerdings Vater von sieben Kindern.

Den Berliner Sicherheitsbehörden entgeht nicht, was der Mann treibt

Deren Mutter ist eine „biodeutsche“ Frau, die Fatih K. 1999 geheiratet hat. Sie ist ihm zuliebe zum Islam konvertiert und animiert den Ehemann, sich der Religion intensiv zuzuwenden. Auf ihre Bitte schaut sich Fatih K. 2004 ein frommes türkisches Theaterstück an – und ändert sein Leben. Er verzichtet auf Alkohol und Marihuana, geht in Moscheen, betet viel und fastet. Und er gerät in den Dunstkreis der Salafisten. Fatih K. radikalisiert sich. Im Jahr 2009 reist er zweimal aus, um sich dem Dschihad im pakistanisch-afghanischen Grenzgebiet anzuschließen.

Aber im Iran gibt er auf, kehrt nach Berlin zurück, nun will er sich von hier aus am „heiligen Krieg“ beteiligen. Er sammelt Spenden für die Terrorgruppe Deutsche Taliban Mujahideen (DTM). Der kleine Trupp von Dschihadisten aus Deutschland, darunter mindestens zwei Berliner, hat sich im Herbst 2009 in der pakistanischen Grenzregion Wasiristan gegründet und fällt vor allem mit martialischer Propaganda im Internet auf. Auf die Bitte der DTM, beim Erwerb einer „großen Waffe“ zu helfen, fädelt Fatih K. den Transfer von rund 1000 Euro ein.

Den Berliner Sicherheitsbehörden entgeht nicht, was der Mann treibt. Im Februar 2010 wird er festgenommen, kommt aber rasch wieder frei. Der Haftbefehl ist außer Vollzug gesetzt, Fatih K. muss sich nur regelmäßig bei der Polizei melden. Im August des Jahres setzt er sich dennoch in die Türkei ab. Die Angst vor einer längeren Haftstrafe ist zu groß. Doch die türkischen Behörden spüren ihn rasch auf, Ende 2010 ist er wieder in Berlin und nun in Untersuchungshaft. Im Februar 2011 beginnt am Kammergericht der Prozess. Beim ersten Strafsenat. Es ist derselbe, der auch jetzt wieder über Fatih K. zu richten hat.

Ein Leben ohne Struktur

Damals sagt er gleich am ersten Tag umfassend aus. „Ich hatte in der Schule immer die Rolle des Spaßmachers“, erzählt er, seine langen, schwarzen Haare damals wie heute zum Pferdeschwanz gebunden. Nach der Schulzeit habe sein Leben „keine Struktur“ gehabt, sagt Fatih K., „meine Frau war sehr unzufrieden mit meinem Lebenswandel“. Das religiöse Theaterstück habe ihm „die Augen geöffnet“. Er gibt zu, die Deutschen Taliban Mujahideen finanziell unterstützt zu haben. „Ich fühlte mich verpflichtet“, sagt er.

Und gibt sich reuig. „Ich habe mich auf einem Irrweg befunden, für mich ist der Dschihad kein Weg.“ Bundesanwaltschaft und Gericht glauben ihm, das Urteil ist mild. Im April 2011 verhängt der Strafsenat 20 Monate Haft, doch der Haftbefehl wird aufgehoben. Er sehe keine Fluchtgefahr, sagt der Vorsitzende Richter Josef Hoch. Und das Geständnis des Angeklagten habe gezeigt, dass er seine Taten bereue. Hoch ist ein erfahrener Richter, er hat mehrfach Terrorprozesse geleitet. Doch in Fatih K. scheint er sich getäuscht zu haben.

Eine Abkehr vom Dschihad habe es nicht gegeben, heißt es in Sicherheitskreisen. Aus Sicht der Experten hat sich Fatih K. eher noch weiter radikalisiert. So weit, dass er sich getraut habe, doch in ein Kampfgebiet zu reisen. Allerdings nicht nach Wasiristan. Dschihadisten aus Deutschland begeben sich jetzt nach Syrien. Es ist näher und einfacher zu erreichen. Ein Flug in die Türkei, dort warten die Schleuser und bringen die Rekruten zur syrischen Grenze. Unter den Augen der türkischen Behörden.

Mit Familie im Bürgerkrieg

Fatih K. sei im Juni 2013 in die Türkei gereist, sagen Ermittler. Obwohl ihm seit 2009 verboten ist, Deutschland zu verlassen. Hätte die Polizei es verhindern können? Die siebenjährige Tochter von Fatih K. habe Ende Mai 2013 in der Grundschule einer ehrenamtlichen Lesepatin erzählt, es sei „normal“, dass ihr Vater Christen töte, sagt ein Experte. Die Schule informierte die Polizei, aber da war es offenbar schon zu spät. Ab Anfang Juni an tauchten die Kinder von Fatih K. nicht mehr im Unterricht auf. Der Experte sagt, die ganze Familie sei in die Türkei gereist. Und dann in den syrischen Bürgerkrieg.

Im Juli 2013 bekommt das BKA mit, was Denis Cuspert in einem Telefonat über seinen Freund Fatih K. sagt. Der sei mit seiner Familie in einem großen Haus in einer Gegend untergekommen, „in der immer viele Bomben fallen“. Ein Fachmann sagt, Cuspert, Fatih K. sowie dessen Mitangeklagter Fatih I., hätten sich in Nordsyrien in einem Dorf aufgehalten und dort Junud al Sham angeschlossen.

Die etwa 200 bis 300 Kämpfer der Gruppe werden von dem Tschetschenen Muslim Margoshvili geführt. Ein wuchtiger Mann mit buschigem, rotbraunem Bart. Margoshvili, Kampfname „Muslim Abu Walid“, hat in Tschetschenien und dann in der benachbarten Region Dagestan gegen russische Streitkräfte gekämpft. Als es ihm und seinen Getreuen nicht mehr gelang, wieder in Tschetschenien Fuß zu fassen, gingen sie 2012 nach Syrien. Hauptsache Krieg.

Weil der große Erfolg ausbleibt, sucht Cuspert neue Orientierung

Warum Denis Cuspert und Fatih K. in Syrien ausgerechnet bei einer tschetschenischen Kampftruppe landeten, ist nicht ganz klar. Experten verweisen auf das tschetschenische Dschihadistenmilieu in Berlin. Hier könnten Kontakte geknüpft worden sein. Und Cuspert kennt inzwischen offenbar viele Leute in der deutschen und internationalen Terrorszene.

Wie konnte Cuspert so abdriften? Vielleicht findet sich eine Antwort schon in seiner Kindheit. Denis Cuspert ist noch klein, als der Vater aus Deutschland abgeschoben wird. Als Jugendlicher imitiert Cuspert mit seinen Kumpels im Kreuzberger Viertel SO 36 das Gehabe amerikanischer Gangsta-Rapper. Später gelingt ihm als Rapper Deso Dogg eine bescheidene Karriere. In seinen Texten lässt er seiner Wut freien Lauf: „In einer weißen Welt voll Hass und Illusion / war die letzte Option nur Gewalt und Emotion.“ Er habe offenbar auch „persönliche Diskriminierungserfahrungen“ verarbeitet, analysiert der Berliner Verfassungsschutz im September 2014.

Doch weil der große Erfolg ausbleibt, sucht Cuspert neue Orientierung. Etwa 2007 wird er gläubiger Muslim. Er radikalisiert sich, besucht die berüchtigte Neuköllner Al-Nur-Moschee, wandelt sich zum salafistischen Missionar und kann als Ex-Gangsta-Rapper besonders glaubwürdig auf Jugendliche einwirken.

Einreise über die Türkei

2011 baut Cuspert mit dem Österreicher Mohamed Mahmoud die salafistische Vereinigung Millatu Ibrahim auf. Deren Hetze erscheint den Sicherheitsbehörden so gefährlich, dass im Juni 2012 der damalige Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich die Gruppierung verbietet. Kein Grund für Cuspert, aufzugeben. Er reist zu Islamisten in Ägypten, Tunesien und Libyen, will sich dem von Al-Kaida beeinflussten Aufstand in Mali anschließen. Doch als französische Eliteeinheiten Anfang 2013 dort eingreifen, entscheidet er sich für Syrien.

Vermutlich reist Cuspert über die Türkei ein und kommt zu Junud al Sham. Dort ermuntert er offenbar Fatih K., Propagandamaterial für die Truppe zu produzieren. Cuspert bleibt aber nicht bei den „Soldaten Syriens“. Er schließt sich der IS-Miliz an, im April 2014 erklärt er in einem Video seinen „Treueeid an den Islamischen Staat“. Die deutsche Staatsbürgerschaft habe er abgelegt. Sicherheitsexperten bezeichnen Cuspert wegen solcher Hetzfilme als „prominenten Agitator“ des IS. Bei dem er offenbar bleiben will bis zum Tod.

Warum Fatih K. und Fatih I. den Dschihad in Syrien aufgegeben haben, ist offen. Wegen ihrer Familien? Am 24. September 2013 fliegen sie von der Türkei nach Berlin. Zwei Tage später durchsucht die Polizei die Wohnung von Fatih K. in Kreuzberg, nimmt ihn dort fest und reichlich Material mit.

Doch zunächst wird Fatih K. im November 2013 vom Amtsgericht Tiergarten wegen Verstoßes gegen das Passgesetz zu sechs Monaten Haft verurteilt. Die Ermittler werten unterdessen die Asservate aus der Wohnung aus. Die Indizien reichen, um Fatih K. im März 2014, am letzten Tag seiner Haft, dem Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof vorzuführen. Fatih K. bleibt hinter Gittern, nun in Untersuchungshaft. Jetzt geht es um Terrorverdacht.

Er äußert sich bislang nicht zum syrischen Bürgerkrieg. Der Mitangeklagte Fatih I. hat dem BKA gesagt, er habe in Syrien Kindernahrung verteilt und nie gekämpft. Er habe nur Menschen geholfen.

Dieser Text erschien auf der Reportageseite.

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