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Dachdeckerarbeiten an einem Reihenhaus in Bremen.

© imago images/Eckhard Stengel

Berufseinstieg in der Coronakrise: Noch können wir eine verlorene „Generation Corona“ verhindern

Der Berufseinstieg ist zusätzlich erschwert, Jugendliche sind verunsichert. Jetzt hilft nur noch ein staatlich gefördertes Ausbildungsprogramm. Ein Gastbeitrag.

Jörg Dräger ist Mitglied des Vorstands der Bertelsmann Stiftung für die Bereiche Bildung und Integration.

In diesem Jahr stehen viele Jugendliche am Übergang zwischen Schule und Beruf vor großen Schwierigkeiten. Durch den Lockdown im Frühjahr und die coronabedingten Einschränkungen in Schule und Berufswelt sind die meisten Angebote zur Berufsorientierung stark dezimiert oder schlicht weggefallen. Das betrifft Praktika genauso wie die bewährte schulische Berufsorientierung und die Beratung durch die Agentur für Arbeit. Gleichzeitig sind viele Ausbildungsstellen verloren gegangen.

Die sich dadurch ergebenden Probleme sind im jetzigen System nicht aufzufangen. Was wir brauchen, ist ein garantierter Zugang in die berufliche Bildung durch ein staatlich gefördertes Ausbildungsprogramm.

Diese Situation verunsichert viele Jugendliche. Laut einer Untersuchung der Bertelsmann Stiftung aus diesem Sommer sehen fast zwei Drittel der befragten Jugendlichen durch Corona schlechtere Chancen auf einen Ausbildungsplatz. Viele von ihnen werden erst gar nicht versucht haben, sich zu bewerben.

Stattdessen sind sie in den allgemeinbildenden Schulen oder im Übergangssystem verblieben, oder sie bewerben sich als Ungelernte auf dem Arbeitsmarkt, oder sie beginnen ein Studium. Die um acht Prozent gesunkene Zahl von Bewerber:innen für einen Ausbildungsplatz sprechen eine deutliche Sprache.

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Aus der Erfahrung der vergangenen Finanzkrise wissen wir zudem, dass schlechtere Ausbildungschancen vor allem leistungsstärkere Jugendliche dazu gebracht haben, sich für den aus ihrer Sicht sicheren Weg zu entscheiden: den Erwerb einer Hochschulzugangsberechtigung oder ein Studium. Damals konnte der Rückgang bei den Auszubildendenzahlen in den Folgejahren trotz Entspannung auf dem Ausbildungsmarkt nicht wieder aufgeholt werden.

Der jetzige Rückgang an Auszubildenden führt zwangsläufig auch zu weniger Absolvent:innen – und sorgt damit für eine Vergrößerung der ohnehin schon bestehenden Fachkräftelücke. Die war gerade in Branchen wie dem Handwerk oder dem Hotel- und Gaststättengewerbe bereits vor der Pandemie deutlich spürbar.

Ein weiterer Rückgang der Auszubildendenzahlen belastet nicht nur die wirtschaftliche Erholung nach der Pandemie, sondern kann langfristig zur Marginalisierung von Ausbildung beitragen. Die droht nicht zuletzt auch deshalb, weil ein vermeintlich nur temporärer Rückzug aus der Ausbildung gerade bei kleineren Betrieben nicht selten zu einer endgültigen Abkehr von der Ausbildung führt.

Noch steigt die Zahl der unversorgten Jugendlichen nicht dramatisch. Denn die Länder haben zusätzliche Klassen eingerichtet, um Schülerinnen und Schülern den Verbleib in den allgemeinbildenden Schulen zu ermöglichen.

Warum eine Welle an unversorgten Ausbildungsbewerber:innen droht

Das ist allerdings nur eine kurzfristige Ausweichstrategie. Die Gesellschaft muss sich darauf vorbereiten, dass viele von ihnen im kommenden Jahr auf den Ausbildungsmarkt strömen werden. Es droht eine Bugwelle an unversorgten Ausbildungsbewerber:innen. Das dicke Ende kommt also noch.

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In der Folge werden durch die dann gestiegene Konkurrenz vor allem die Hauptschüler:innen auf der Strecke bleiben. Schon vor Corona gelang noch nicht einmal der Hälfte von ihnen der direkte Einstieg in die Lehre. Die Mehrzahl mündete stattdessen in den Übergangssektor, in dem keine beruflichen Abschlüsse erworben werden können.

Das ist sowohl in Bezug auf die persönlichen Bildungschancen der Jugendlichen als auch unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten nicht vertretbar. Es gilt daher, ein nachhaltiges Konzept umzusetzen, wie allen Jugendlichen ein verlässlicher Einstieg in die berufliche Bildung ermöglicht werden kann.

Anreize für Unternehmen allein reichen nicht

Alle Anstrengungen zeigen, dass Anreize für Unternehmen allein den Rückgang an Ausbildungsplätzen nicht verhindern werden. Daher kommen wir um ein staatlich gefördertes Ausbildungsprogramm nicht umhin. Es würde den Jugendlichen, die erfolglos einen betrieblichen Ausbildungsplatz gesucht haben, den Ausbildungseinstieg ermöglichen, indem es in enger Zusammenarbeit mit Betrieben das erste Ausbildungsjahr abbildet.

Abiturienten haben faktisch eine Garantie auf einen Studienplatz – wir brauchen auch eine Garantie zum Einstieg in die Ausbildung

Eine solche Garantie zum Einstieg in Ausbildung ist gegenüber Nicht-Abiturienten gerecht – haben doch Abiturienten faktisch eine Garantie auf einen Studienplatz. Sie trägt aber auch dazu bei, die betriebliche Ausbildung zu stärken, indem sie gerade kleineren Betrieben die Last der Verantwortung für das erste Ausbildungsjahr abnimmt. So profitieren Jugendliche und Betriebe gleichermaßen, und die berufliche Bildung wird als auch in Krisenzeiten verlässliche Option wieder attraktiver.

Jörg Dräger

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