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Die Kölner Dermatologin und Allergologin Astrid Eichhorn hat vor dem BGH gegen das Bewertungsportal Jameda gewonnen.

© Anika von Greve-Dierfeld/dpa

BGH-Urteil zu Bewertungsportalen: Warum sich eine Ärztin gegen Jameda durchsetzen konnte

Eine Dermatologin hat vor dem Bundesgerichtshof gegen das Bewertungsportal Jameda gewonnen. Was sind die Konsequenzen? Fragen und Antworten zum Thema.

Eine Ärztin hat erfolgreich gegen das Internetportal Jameda geklagt, auf dem Patienten die von ihnen besuchten Mediziner bewerten können – auch gegen deren Willen. Der Bundesgerichtshof (BGH) urteilte am Dienstag, ihr Eintrag müsse gelöscht werden. Die Informationen würden nicht neutral vermittelt.

Was bietet Jameda?

Das Portal bewirbt sich selbst als „Deutschlands größte Arztempfehlung“. Die Datenbasis bilden bundesweit rund 275.000 Ärzte und andere Heilberufler. Nach Angaben des Münchner Unternehmens, das zum Burda-Konzern gehört, nutzen im Monat mehr als sechs Millionen Patienten das kostenlose Angebot, um sich online zu informieren. Und erst vor Kurzem feierten sich die Anbieter dafür, die Zahl der Jameda-Arztbewertungen in drei Jahren verdreifacht und damit erstmals die Marke von zwei Millionen überschritten zu haben.

Wie funktioniert das Portal?

Jeder Arzt hat darin einen eigenen Auftritt mit akademischem Grad, Namen, Fachrichtung, Praxisanschrift, weiteren Kontaktdaten, Sprechzeiten und ähnlichen praxisbezogene Informationen. Diese sogenannten Basisdaten sind frei verfügbar, schließlich positionieren sich die Ärzte damit selbst in der Öffentlichkeit. Daneben sind Bewertungen abrufbar, die von den Patienten in Form eines Notenschemas, aber auch von Freitextkommentaren, abgegeben worden sind.

Die Zensuren werden zu einer Gesamtnote verrechnet und ausgewiesen. Um Beleidigungen und Manipulationsversuche zu verhindern, prüft nach Firmenangaben ein automatischer Algorithmus alle eingegangenen Bewertungen vor ihrer Veröffentlichung. Sind sie auffällig, werden sie innerhalb von 24 Stunden veröffentlicht. Und wenn sich Bewertete beschweren, kontaktiert Jameda den Verfasser und verlangt einen Beleg über den Arztbesuch. Gegenüber dem Mediziner bleibt der Patient aber anonym.

Wie verdient Jameda Geld?

Mit Werbung. Das Portal bietet Ärzten Verträge an, aufgrund derer ihr Profil mit Foto und zusätzlichen Informationen erscheint. Ein solches „Premium-Paket“ ist nicht billig, es kostet im Monat zwischen 59 und 139 Euro. Wer nicht mitmacht, erscheint nur mit grauer Silhouette und spärlichen Basis-Infos. Dadurch gibt es für die Nutzer schon auf den ersten Blick zwei Klassen von Ärzten. Hinzu kommt: Bei Medizinern, die nicht zahlen, bekamen die Nutzer bisher die Profile unmittelbarer Konkurrenten miteingeblendet – inklusive Entfernungsangabe und Benotung.

Bei Premium-Kunden war von der Ärztekonkurrenz nichts zu sehen. Und: Bei einer Datenanalyse der „Zeit“ anhand von 3770 Einträgen stellte sich heraus, dass nichtzahlende Ärzte nicht nur auf deutlich weniger Bewertungen, sondern auch auf weit schlechtere Noten kamen. Zahlende Ärzte hatten kaum schlechte Noten, zu 95 Prozent waren es Einsen.

Warum klagte die Ärztin?

Die Klägerin – eine Hautärztin aus Köln – wollte kein „Premium-Paket“ bezahlen und wurde bei Jameda daher ohne Foto und nur mit Basisdaten geführt. Zudem wurden Werbeanzeigen anderer zahlender Fachkollegen eingeblendet. Dadurch würden „Patienten, die sich für unsere Mandantin interessieren, gezielt von ihr weggelockt“, argumentierte die Anwältin der Klägerin. Weil zahlende Kunden bei Jameda vor Einblendungen der Konkurrenz geschützt seien, sprach sie von „Schutzgelderpressung“. Die Dermatologin hatte aber vorher schon Ärger mit dem Portal. 2015 beanstandete sie 17 abrufbare Bewertungen und erreichte deren Löschung. Dadurch stieg ihre Gesamtnote von 4,7 auf 1,5. Gleichwohl sah sich die Klägerin durch das Gesamtsystem strukturell benachteiligt. Sie forderte die komplette Löschung ihres Profils.

Was sagen die Richter?

In den Vorinstanzen hat die Klägerin verloren. Der BGH entschied jetzt anders. Mit seiner Bewertungs- und Anzeigepraxis verlasse Jameda seine Stellung als neutraler Informationsmittler. Dem Nutzer gegenüber werde das System nicht hinreichend offengelegt. Daher könne das Portal seine auf das Grundrecht der Meinungs- und Medienfreiheit gestützte Rechtsposition gegenüber dem Recht der Klägerin auf informationelle Selbstbestimmung nur mit geringerem Gewicht geltend machen. Sie habe ein „schutzwürdiges Interesse an dem Ausschluss der Speicherung" ihrer Daten, wie er im Bundesdatenschutzgesetz geregelt sei.

Was bedeutet das Urteil für Jameda und andere Bewertungsportale?

Prinzipiell sind die Gerichte einverstanden, wenn öffentlich zugängliche Daten aus der beruflichen Sphäre gesammelt und im Netz zur Diskussion gestellt werden. Schließlich geht es nicht nur um Ärzte, sondern auch um die Bewertung von Reisen, Restaurants oder auch Rechtsanwälten. Der BGH betont nun jedoch die Rolle als neutraler Informationsvermittler, um die Kommunikationsfreiheit voll in Anspruch nehmen zu können. Bei Jameda sieht er diese Funktion aufgrund des Werbegeschäfts und der Präsentation zahlender Kunden als nicht mehr gewährleistet an. Portale mit ähnlichen Koppelgeschäften müssen sich nun darauf gefasst machen, das sich bei ihnen bewertete Dienstleister dem Angebot ebenfalls entziehen wollen.

Bedeutet das Urteil das Ende des Geschäftsmodells?

Wohl kaum. Der BGH hat nur über das konkrete Angebot geurteilt. Bessert Jameda nach oder macht seine Funktionsweise für jeden Nutzer hinreichend transparent, kann das Angebot fortbestehen. Und Jameda reagierte sofort: Künftig würden keine Anzeigen von konkurrierenden Praxen mehr gezeigt, hieß es. Fraglich ist nur, ob das Angebot für zahlende Werbekunden dann noch attraktiv ist. Das Spannungsfeld zwischen den Befugnissen zur Datensammlung und den Rechten Betroffener bleibt ohnehin erhalten. 2014 hatte der BGH das Geschäftsmodell von Jameda noch grundsätzlich gebilligt.

Der Kläger hatte die Hinweise auf Wettbewerbsverzerrung durch Anzeige-Einblendungen damals zwar auch vorgebracht, allerdings verspätet, sodass sie bei der Revisionsverhandlung nicht berücksichtigt wurden. 2016 stärkte der BGH die Position von Klägern, die anonyme Bewertungen angriffen. Je nachdem, wie sich das Portal entwickelt, sind auch künftige Klagen nicht ausgeschlossen.

Was sagen Ärztefunktionäre?

Sie begrüßen das Urteil. Es trage dazu bei, das Arzt-Patienten-Verhältnis zu schützen, sagt der Präsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery. „Internetbewertungsportale sollen Patienten Orientierung in unserem Gesundheitswesen bieten und sie nicht durch intransparente Werbeangebote verwirren.“ Es könne „nicht sein, dass derlei Angebote zum Zwecke der Gewinnmaximierung Patienten verzerrt informieren und Ärztinnen und Ärzte keinerlei Möglichkeit haben, ihre Daten und Einträge löschen zu lassen“. Noch besser aber wäre es aus Montgomerys Sicht, wenn Ärzten generell und für alle Portale zugebilligt würde, dass sie der Nutzung ihrer Daten aktiv zustimmen müssen. „Hier muss der Gesetzgeber nachbessern“, fordert der Ärztepräsident.

Wie können sich Patienten auf anderem Wege seriös über Ärzte informieren?

Bei Ärztekammern und Kassenärztlichen Vereinigungen lassen sich schon mal fachliche Zuständigkeiten recherchieren. Mit Bewertungen ist es schwieriger, da es für niedergelassene Ärzte anders als für Kliniken und Pflegeheime keine verpflichtende Qualitätserhebung gibt. Es gebe da leider wenig Möglichkeiten, bedauert Regina Behrendt von der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen, die Portale mit Patienteneinschätzungen an sich für „sehr sinnvoll“ hält. Wichtig sei ja für viele nicht nur die fachliche Qualifikation der Ärzte, sondern auch deren Umgang mit Patienten.

Allerdings offeriert beispielsweise die AOK auch ein werbe- und kostenfreies Portal. Dieser „Arzt-Navigator“ enthält Informationen zu 85000 Ärzten und kommt im Jahr auch auf 3,5 Millionen Seitenaufrufe. Mit Jameda ist das natürlich nicht zu vergleichen, und benoten dürfen nur Kassenmitglieder. Aber immerhin: Einsehbar sind die Ergebnisse für alle.

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