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Bischof Georg Bätzing im Interview: „Es droht eine Staatskrise“
Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing, macht sich Sorgen wegen der Landtagswahlen im Osten. Im Interview spricht der Bischof zudem über Entschädigungen für Missbrauchsopfer und Waffenlieferungen an die Ukraine.
Stand:
Herr Bätzing, der Anschlag von Solingen erschüttert die Republik. Mord aus angeblich religiösen Gründen – wie sehen Sie das als Vertreter einer der beiden großen Kirchen in Deutschland?
Für das, was in Solingen geschehen ist, fehlen schlicht die Worte. Wir schauen fassungslos in den Abgrund des Bösen. Ein säkulares Fest wird religiös vom IS interpretiert. Hass und Gewalt im Namen Gottes zu rechtfertigen, ist eine Perversion der Religion schlechthin.
Viele Wähler in Sachsen und Thüringen könnten sich am Wochenende bestärkt sehen, die AfD zu wählen als eine Partei, die behauptet, solche Taten verhindern zu können. Können Sie das nachvollziehen?
Das ist doch absurd und eine Hybris, wenn eine Partei behauptet, das zu können. Es braucht das Zusammenwirken aller Parteien, das gesamtgesellschaftliche Engagement und ein konsequentes Anwenden der Verfahrensregeln, die wir für Asylverfahren in Deutschland haben.
Sie sagen, die AfD sei für Christen nicht wählbar. Gibt es viele Gläubige, die es trotzdem tun?
Völkischer Nationalismus ist mit den Grundwerten des Christentums nicht vereinbar. Dazu haben wir als Deutsche Bischofskonferenz im Februar einstimmig eine Stellungnahme veröffentlicht. Rechtspopulistische Parteien können kein Ort der politischen Betätigung für Christinnen und Christen sein. Unbestreitbar steht unsere Gesellschaft vor vielen Herausforderungen. Freiheitsrechte und Demokratie dürfen wir dabei aber keinesfalls aufs Spiel setzen. Deshalb brauchen diejenigen unsere Stimme, die sich hierfür einsetzen. Ich weiß natürlich, dass es auch Christinnen und Christen gibt, die sich anders entscheiden.
Die AfD liegt in Sachsen und Thüringen in Umfragen bei um die 30 Prozent. Sprechen Sie all diesen Wählern ab, gute Christen sein zu können?
Nein, natürlich nicht. Aber: Rechtsextremistische Parteien wie die AfD in Thüringen sind für Christinnen und Christen nicht wählbar. Die Wahl ist Bürgerpflicht. Dazu ermutigen wir. Wir wollen aber auch Orientierung bieten.
Wer sich mit öffentlichen Aussagen von Repräsentanten der AfD und ihren Programmen befasst, kommt zu dem Schluss, dass sie fundamentalen christlichen Grundsätzen, der Menschenwürde, dem Gebot christlicher Nächstenliebe und Solidarität widersprechen. Diese Partei will unser demokratisches, freiheitliches System umstürzen. Davor muss ich Christinnen und Christen warnen.
Für viele Bürger bleibt der Begriff Menschenwürde eher abstrakt. Konkret: Welche Gefahr sehen Sie in der AfD – insbesondere in Thüringen und Sachsen?
Anfang des Jahres ist das Stichwort „Remigration“ aufgetaucht. Es geht um Menschen, die bei uns Zuflucht gesucht haben, die ein Bleiberecht in diesem Land haben, als Fachkräfte angeworben worden sind oder als Angehörige der Gastarbeitergeneration seit Jahrzehnten bei uns sind.
Hier werden Pläne geschmiedet, wie diese Menschen massenhaft unser Land verlassen sollen. Das widerspricht den Grundsätzen unserer Verfassung. Es wird so getan, als könnte man einer hochkomplexen, globalen Krise mit einfachen Lösungen begegnen. Tenor: Raus mit den Fremden aus unserem Land. Unser Land gehört uns. So funktioniert ein Rechtsstaat nicht, es widerspricht den Grundsätzen unserer Verfassung.
Wer in unserem Land ein Aufenthaltsrecht hat oder Bürger ist, gehört selbstverständlich zu uns, unabhängig von Religion, Hautfarbe, Beruf oder geschlechtlicher Identität. Auch Schutzsuchende sind uns willkommen und können zu Bürgern unseres Landes werden.

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AfD-Funktionäre sollen nach dem Wunsch der deutschen Bischöfe keine kirchlichen Ämter bekleiden – wie schwer ist das durchzusetzen bei einer Partei, die nicht verboten ist und von Behörden nicht überall als eindeutig rechtsextremistisch eingestuft wird?
Das ist ein schwieriger Punkt und das ist auch gut so. Man muss mit Menschen reden, die sich in der AfD engagieren und gleichzeitig etwa im Pfarrgemeinderat, als Religionslehrer, als Lektorin aktiv sind. Ist ihnen bewusst, dass sie mit den Inhalten der AfD gegen tragende Grundsätze der katholischen Kirche verstoßen?
Ein Ausschluss ist immer die Ultima Ratio. In Einzelfällen ist es aber schon dazu gekommen, wenn sich Zweifel erhärten, dass extremistische Positionen der Partei mitgetragen werden, die im Widerspruch zu fundamentalen christlichen Grundsätzen stehen.
Wenn Bürgerinnen und Bürger jedoch das Gefühl haben, sie würden bevormundet, läuft etwas schief. Das besorgt mich. Es droht eine Staatskrise.
Georg Bätzing, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz
Wie sehen Sie es, wenn Parteien mit dem „C“ im Namen mit der AfD zusammenarbeiten, etwa in Stadträten?
Die Signalwirkung ist sicher nicht gut. Auf kommunalen Ebenen ist das Wahlverhalten von Bürgerinnen und Bürgern viel stärker von einzelnen Persönlichkeiten abhängig als vom Parteiprogramm. Aber die AfD hat sich über Jahre immer weiter radikalisiert. Da sollte sich niemand täuschen. Gemäßigte Kräfte konnten sich nicht durchsetzen.
In der Politik hat eine Brandmauer den Zulauf zur AfD nicht bremsen können. Was kann eine Brandmauer der katholischen Kirche mehr bewirken?
Sie kann auch nicht mehr bewirken. Sie ist ein Appell: Bürgerin, Bürger – erforsche dein Gewissen. Das ist unsere Aufgabe. Die Bildungsangebote unserer Bistümer und der katholischen Verbände bieten da sehr viele Möglichkeiten zur Vertiefung an. Diskurs gehört zum gesellschaftlichen System unseres Landes dazu. Das können wir nicht nur den Parteien überlassen.
Wer […] mit Putin sympathisiert, hat für mich keine politische Autorität und gefährdet zentrale demokratische und völkerrechtliche Grundsätze und unsere europäische Friedensordnung.
Georg Bätzing, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, über Sahra Wagenknecht
Gehört zum Diskurs auch, die AfD zu Podien einzuladen, in Talkshows und Interviews mit Vertretern zu führen?
Das haben nicht wir zu entscheiden. Das entscheiden die Verantwortlichen in den Medien und Parteien. Wir laden AfD-Parteifunktionäre nicht zu öffentlichen Veranstaltungen ein. Wir möchten dieser und ähnlichen Parteien keine Bühne bieten, auf der sie unter dem Label der katholischen Kirche menschenverachtende, europa- und fremdenfeindliche Parolen verbreiten können.
Auch das BSW erfährt immer mehr Zustimmung. Als Katholik kennen Sie die Probleme, die der Fokus auf einen Menschen in einer Organisation mit sich bringen kann. Wie hilfreich ist es, eine Partei auf eine Frau zuzuspitzen?
Das Bündnis Sahra Wagenknecht ist ganz stark auf die Person zugespitzt. Das hat Charme, weil Frau Wagenknecht für ein klares politisches Profil steht.
Entscheidend ist für mich aber auch hier das Programm. Das BSW spricht sich für den russischen Präsidenten Wladimir Putin aus in einer Situation, in der Russland ein souveränes Land überfallen hat und seit fast drei Jahren mit Krieg überzieht. Dabei sterben auf beiden Seiten Zigtausende Menschen. Wer angesichts dessen mit Putin sympathisiert, hat für mich keine politische Autorität und gefährdet zentrale demokratische und völkerrechtliche Grundsätze und unsere europäische Friedensordnung.
Befragungen deuten darauf hin, dass in Thüringen und Sachsen eine Regierungsmehrheit ohne AfD oder BSW nicht möglich sind. Wofür wären Sie?
Ich sehe das mit großer Besorgnis. Diese Situation erschwert politische Entscheidungsprozesse und Koalitionsmöglichkeiten massiv. Und gleichzeitig sind viele Bürgerinnen und Bürger mit der Lösungskompetenz der Politik derzeit sehr unzufrieden. Ich hoffe, dass die Wählerinnen und Wähler ihre Wahlfreiheit verantwortlich wahrnehmen.
Wir brauchen Lösungen. Wann ist beim Zustrom von Flüchtenden in unser Land eine Grenze erreicht? Wir müssen in Fragen etwa der Klimapolitik vorankommen. Wenn Bürgerinnen und Bürger jedoch das Gefühl haben, sie würden bevormundet, läuft etwas schief. Das besorgt mich. Es droht eine Staatskrise. Die müssen wir vermeiden. Wir leben in einem freiheitlich-demokratischen Staat. Es gibt kein besseres Modell.
Die Leistungen werden das Leid der Opfer nie gutmachen können.
Georg Bätzing, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, über Entschädigungen für Missbrauchsopfer
Weniger Mitglieder bedeutet weniger Geld. Wird angesichts der zunehmenden Finanz- und Personalnot ein stärkerer Zusammenschluss mit der evangelischen Kirche notwendig, etwa bei Schulen, Kindergärten, bei Caritas und Diakonie, im Gebäudemanagement?
Die Ökumene ist meine persönliche Leidenschaft, weil unser Religionsstifter, unser Herr Jesus Christus, darauf drängt, dass alle eins seien, die zu ihm gehören. Ich kann mir ein Leben als katholischer Christ ohne die Gemeinschaft mit Christinnen und Christen anderer Konfessionen nicht mehr vorstellen. Der Ressourcenmangel führt dazu, dass wir uns kritisch fragen, was wir überhaupt allein machen sollten. Auf Dauer werden wir alle großen Aufgaben besser gemeinsam ausführen können. Davon bin ich überzeugt.
Die katholische Kirche zahlt Missbrauchsbetroffenen Geld in Anerkennung ihres Leids. Aktuell wird Intransparenz bei den Entscheidungen darüber kritisiert. Können Sie nachvollziehen, dass Betroffene frustriert sind, wenn sie nicht verstehen, was hinter verschlossenen Türen passiert?
Ich bin mit Betroffenen im Gespräch und weiß um die Unzufriedenheit mit einigen Entscheidungen der zuständigen Unabhängigen Kommission (UKA). Die Leistungen werden das Leid der Opfer nie gutmachen können. Jegliche Begründung wird unzureichend sein. Die UKA orientiert sich an gerichtlichen Schmerzensgeldern. Zudem haben wir mit einer Widerspruchsmöglichkeit nachgebessert. Ich will aber auch betonen: In keiner anderen Institution in Deutschland gibt es derzeit ein vergleichbares außergerichtliches System für solche freiwilligen Leistungen.
Ein Verbesserungsvorschlag ist ein Stufenmodell mit klaren Indikationen. Warum ist es so schwer, für mehr Transparenz bei den Entscheidungen zu sorgen?
Wir haben uns um Unabhängigkeit bemüht, um klare Kriterien im UKA-Verfahren und auch die Möglichkeit des Widerspruchs eingeführt. Aber es bleibt die gefühlte Abhängigkeit der Betroffenen von einem Gremium, das sie persönlich nicht kennen. Das ist der Preis der Niederschwelligkeit. Jeder hat die Möglichkeit, zivilrechtlich zu klagen. Viele wollen das nicht. Denen wollen wir entgegenkommen. Wir können aber auch nicht ständig das System verändern. Auch das brächte Verunsicherung mit sich.
Viele Bürger konnten schon mit dem Stichwort Synodaler Weg, dem Reformprozess der deutschen katholischen Kirche, wenig anfangen. Der Papst hat ihn als elitär bezeichnet. Einheit hat der Prozess auch nicht gebracht. Was sollen nun weitere Formate unter dem Motto Synodal bewirken?
Wir haben den Synodalen Weg begonnen als Konsequenz aus Studien zum Thema Missbrauch, die wir beauftragt hatten. Dabei sind wir sehr weit gekommen. Die Diözesen stellen gerade ihre Beratungsstrukturen sehr nachhaltig um. Der Synodale Weg hat sich da aus meiner Sicht gelohnt. Wir haben einen Veränderungsprozess hin zu transparenten, partizipativen Strukturen, gemeinsamen Beratens und Entscheidens in Gang gesetzt, den es zuvor nicht gab.
Dabei werden Polaritäten deutlich. Denen müssen wir uns stellen. Und der Papst hat sich oft kritisch geäußert, hat aber selbst einen Synodalen Prozess für die Weltkirche in Gang gesetzt. Und siehe da: Die angeblich „deutschen“ Themen finden im weltweiten Synodalen Weg einen erstaunlichen Widerhall, weil sie genauso aktuell in anderen Ländern sind.
Die Ukraine hat das Recht, sich zu verteidigen. Ein souveränes Land, das mit Besetzung und Vernichtung bedroht wird, darf dazu auch Waffengewalt einsetzen.
Georg Bätzing, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz
Wahnsinnig viel Einigkeit hat das Format allerdings nicht befördert. Macht der Job als Vorsitzender eigentlich noch Spaß, insbesondere angesichts einer Gruppe unversöhnlich Konservativer und einer vielfach komplett verfahrenen Situation?
Wir müssen das derzeit aushalten. Das ist nicht vergnügungssteuerpflichtig. Für keinen Bischof. Für die Gläubigen nicht. Und für den Vorsitzenden einer Bischofskonferenz auch nicht. Aber ich brauche auch nicht nur vergnügliche Jobs. Es geht um wichtige Fragen. Da gehört Streit dazu.
Mit dem aktuellen Vorstoß der Ukraine und der Diskussion über den Umfang deutscher Unterstützung wird auch die Diskussion über Frieden wieder lauter. Wie gehen Sie als Kirche mit Friedensbotschaft damit um?
Die Ukraine hat das Recht, sich zu verteidigen. Ein souveränes Land, das mit Besetzung und Vernichtung bedroht wird, darf dazu auch Waffengewalt einsetzen. Als Kirche sind wir viel im humanitären Kontext unterwegs und haben Kontakte zu den Christinnen und Christen in der Ukraine.
Wir helfen in der Not, die dort entsteht, und haben unseren Beitrag dazu geleistet, eine Million Geflüchteter hier in Deutschland aufzunehmen. Friedensethisch bringt uns das in Diskussionen, die wir führen und versucht haben, im Dokument „Friede diesem Haus“ zusammenzufassen.
Sie haben gesagt, man müsse alles tun, um wieder friedensfähig zu werden. Was meinen Sie damit?
Krieg und Waffen schaffen nie Frieden. Beendet wird ein Krieg nur dadurch, dass sich Gegner an einen Tisch setzen. Die Alternative wäre Vernichtung. Wie es aussieht, ist das immer noch das erklärte Ziel Russlands. Insofern unterstützen wir alles, was zu Gesprächen und diplomatischen Lösungen führen kann.
Ähnliches könnte man auf den Nahen Osten anwenden. Sie kennen die Region gut. Wie beobachten Sie die Lage dort?
Es ist eine fürchterliche Situation seit dem 7. Oktober. Immer noch bangen Menschen in Israel um ihre verschleppten Angehörigen, trauern um die Ermordeten dieses Terrorangriffs. Gleichzeitig trauern Zehntausende im Gazastreifen um getötete Palästinenser, um Zivilisten, die keine Schuld tragen an den Verbrechen der Hamas. Die humanitäre Katastrophe spitzt sich jeden Tag zu.
Auch deshalb dürfen Feindschaft und Streit nicht weiter vorangetrieben werden. Aber es droht ein gewaltiger Konflikt. Der muss unter allen Umständen vermieden werden. Alles andere gefährdet den Weltfrieden.
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