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Politik: Bombennacht am Friedensboulevard

BELGRAD .Patienten und medizinisches Personal im Krankenhaus Dragisa Misovic unweit des Belgrader Stadtzentrums haben eine Horrornacht erlebt.

BELGRAD .Patienten und medizinisches Personal im Krankenhaus Dragisa Misovic unweit des Belgrader Stadtzentrums haben eine Horrornacht erlebt.Nachdem zwei Nato-Geschosse die Klinik am Donnerstag kurz vor ein Uhr nachts trafen, flüchteten sie aus Furcht vor weiteren Angriffen in das Kellergeschoß des Gebäudes.Auf der Neurologiestation wurden drei bettlägerige Patienten bei dem Luftschlag getötet.Nach Angaben von Gesundheitsministerin Milicevic kam auch ein Wachmann ums Leben.Operationssäle in der Neurologie, Gynäkologie und Chirurgie wurden zerstört.

Der Leiter des Krankenhauses, Doktor Radisav Scepanovic, berichtet, daß mehrere Krankenschwestern und Pfleger leicht verletzt wurden.Wieviele es sind, weiß er am Ende der Nacht noch nicht zu sagen.Zwischen knappen Antworten auf Journalistenfragen gibt er Anweisungen für das Personal."Stellen Sie die Betten da hin in den Flur und in die Labors!" "Doktor, das ist zu nah an den Fenstern", wendet eine Krankenschwester ein."Machen Sie sich mal keine Sorgen, die Scheiben sind ohnehin alle zu Bruch gegangen, da kann jetzt nichts mehr passieren." Neben dem Klinikdirektor steht ein Mann im Schlafanzug, der sich vor Schmerz den Unterleib hält."Was ist mit Ihnen?", fragt ihn der etwa 40jährige Klinikleiter."Ich bin frisch operiert", erhält er als Antwort.Scepanovic nimmt den Mann bei der Hand und hilft ihm, sich auf ein Bett zu legen, das Pfleger aus den oberen Etagen geholt haben.

Etwas weiter versucht ein am Tropf hängender, halb bewußtloser Mann vergeblich, sich von seinem Bett zu erheben.Ein anderer Patient kommt hinzu und bringt ihn dazu, sich wieder hinzulegen."Sie müssen ruhen.Wo wollen Sie denn hin?", sagt er beschwichtigend."Alle unsere Angestellten sind gekommen, um zu helfen", berichtet Scepanovic."Aber ich weiß nicht, wie wir unter diesen Bedingungen weiter arbeiten können.Wir werden beim Gesundheitsministerium nachfragen und dann weitersehen."

Im Souterrain von Chirurgie und Notaufnahme versucht das Personal, die Patienten so gut es eben geht, auf die vorhandenen Räume und Gänge zu verteilen: auf der einen Seite diejenigen, die sitzen können, auf der anderen die Betten mit den schweren Fällen.Medikamente, Unterlagen über den Krankheitsverlauf und andere für die Behandlung unerläßliche Utensilien sind in der Eile auf den Betten gelandet.

In dem Durcheinander herrscht allgemeines Schweigen, das nur ab und zu durch die Stimmen des Personals durchbrochen wird.Den Patienten steht der Schrecken ins Gesicht geschrieben, viele wirken aschgrau.Sie stehen noch so unter Schock, daß sie sich zum Durchgemachten nicht äußern wollen.Mit den Journalisten wollen sie nicht sprechen.

Außerhalb des Krankenhauses ist der Boden mit teilweise fußballgroßen Schuttbrocken und Glassplittern übersät.Am anderen Ende des Klinikhofes ist ein Brand zu erkennen, offenbar breitet er sich aber nicht weiter aus.Das Krankenhaus liegt im Wohnviertel Dedinje.Dort befindet sich auch die bereits früher von der Nato bombardierte Residenz des jugoslawischen Präsidenten Milosevic.Zwischen den Gebäuden des Krankenhausareals verläuft eine Straße mit dem hoffnungsvollen Namen "Friedensboulevard".

JOVAN MATIC (AFP)

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