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Rechte Gewalt gab an vielen Orten. In Leverkusen kam es 2011 zu einen Brandanschlag auf ein Haus, in dem Sinti und Roma lebten.

© Oliver Berg/dpa

Gewalt gegen Roma: Brennender Hass

Dragan J.s Großvater starb 1944 in Auschwitz, seine Tochter 1994 nach einem Anschlag auf ihre Notunterkunft in Köln. Er fühlt sich in der deutschen Geschichte gefangen.

Zehn Prozent markierten bei Jasminka die Grenze zwischen Leben und Tod. Das Mädchen war elf Jahre alt, 1,40 Meter klein und wog knapp 50 Kilo, als zehn Prozent ihrer Haut verbrannten und ihre Lunge kollabierte.

Kurz nach zwei Uhr morgens am 26. Januar 1994 hatten bis heute unbekannte Täter mindestens drei Feuer vor der Tür dort untergebrachter Roma-Kriegsflüchtlinge gelegt: Zunächst brannten dort gelagerte Sperrholzplatten, eine schwarze Ledercouch und ein Kleiderschrank. Dann sprangen die Flammen auf andere Möbel über. Jasminka, die gerade bei Verwandten übernachtete, wachte von der Hitze und dem Rauch auf. Schlaftrunken lief sie mit ihrer Großtante Raina, 61, ihrer Tante und ihrer zweijährigen Cousine Sanela durch den brennenden Flur ins Treppenhaus. Die Feuerwehr fand laut Einsatzprotokoll drei verletzte Personen vor dem Haus und in den Fenstern "nach vorne und nach hinten schreiende Hausbewohner, die aus den Fenstern springen wollten".

Die Rettungskräfte brachten sieben Personen mit Brandverletzungen dritten Grades in die umliegenden Krankenhäuser, sie alle gehörten der Minderheit der Roma an. Auch Jasminka und ihre Großtante Raina waren unter den Verletzten. Wenige Tage später, am 31. Januar 1994, wurde Jasminka in einem auf Brandverletzungen spezialisierten Krankenhaus in Köln zwölf Jahre alt. Der Sauerstoff einer Beatmungsmaschine hielt sie da noch am Leben, die Schmerzmittel machten sie apathisch und verhinderten, dass sie sich die sterile Gaze vom Körper riss, mit der sie umhüllt war. Den Ärzten gelang es von Tag zu Tag schlechter, die Fieberschübe zu senken, die ihren kleinen Körper schüttelten.   

Familie floh vor Roma-Verfolgung in Jugoslawien

Dragan J. sagt: "Die Menschen haben die Opfer des Hasses von damals vergessen."

Wichtige Spuren wurden am nächsten Morgen zerstört

Neben Dragan J. sitzt die heute 26-jährige Sanela S., die den Brandanschlag als Kleinkind schwer verletzt überlebt hatte. Sie lacht herzlich, ihr Händedruck ist warm. Auf den ersten Blick unterscheidet die junge Frau wenig von anderen Frauen ihres Alters, wären da nicht die fast mechanischen Bewegungen, mit denen ihre Finger immer wieder an beiden Enden des Pulloverärmels zupfen und sie festhalten, um die Narben darunter zu verdecken. Sie überziehen ihre Finger, Handrücken und Handgelenke und reichen bis zu den Oberarmen. Bis heute fragt sie sich, wer dafür verantwortlich ist. Und die junge Frau hat Angst: "Solange kein Täter gefasst ist, kann es wieder passieren."

Zunächst schien es, als würde die intensive Befragung der Bewohner des Übergangsheims mit einem schnellen Fahndungserfolg enden. Es gab schnell einen Hauptverdächtigen. Mehrere Zeugen berichteten übereinstimmend, dass drei Tage vor dem Brandanschlag bei einem Bewohner dessen jüngerer Bruder eingezogen sei. Der 43-jährige Hilfsarbeiter sei durch die Androhung, "etwas anzuzünden", aufgefallen. Der Mann sei eine Gefahr für seine Umwelt und ein Überzeugungstäter, sagte dessen langjährige Vermieterin in einer Vernehmung. "Bei den Berichten im Fernsehen über die Brände in Aussiedlerheimen sagte er immer, dass man da noch viel mehr Brände legen müsste." Wörtlich habe der Hilfsarbeiter gesagt: "Wenn ich selber könnte, hätte ich dort auch Brände gelegt." Die Ermittler fanden heraus, dass es in den Gebäuden, in denen der Mann gelebt hatte, zu mehr als einem Dutzend vorsätzlichen Brandstiftungen in Kellern und Hausfluren gekommen war. In keinem Fall sei es aber zu einer Verurteilung gekommen, vermerken die Beamten – obwohl Hausbewohner den Hilfsarbeiter zweimal direkt nach dem Ausbruch eines Brandes am Tatort festhielten. 

Alle Akten zu dem Fall sind vernichtet

Alle Akten zu dem Fall sind vernichtet

Die Staatsanwaltschaft Köln erwirkte daraufhin einen Haftbefehl und überwachte 24 Stunden lang die Kommunikation des Mannes. Ergebnislos: Der Mann schweigt, sein Bruder verwickelt sich in Widersprüche und viele Spuren am Tatort wurden am nächsten Tag durch Aufräumarbeiten zerstört. Der Hauptverdächtige kommt nach wenigen Tagen frei. Einige Monate lang gehen Beamte noch weiteren Spuren nach, befragen Kneipengänger und Wirtshausbesitzer. Sie stellen auch die Frage, ob möglicherweise Neonazis, die im Stadtteil einige Treffpunkte haben, als Täter in Betracht kommen. Später verwerfen sie die Frage wieder und lassen den Fall ruhen.

Seit knapp drei Jahren sind alle Akten und auch alle Asservate in dem Fall vernichtet, sagt ein Sprecher des Polizeipräsidiums Köln auf Nachfrage. Weil die Staatsanwaltschaft lediglich wegen schwerer Brandstiftung und nicht wegen Mordes oder Totschlags ermittelt hatte, sei der Fall nach 20 Jahren verjährt. Die damals leitende Ermittlerin stehe für Auskünfte zum Fall nicht mehr zur Verfügung. Auch bei der zuständigen Staatsanwaltschaft Köln existierten keinerlei Akten mehr und der leitende Staatsanwalt des Brandsachendezernats sei in Pension gegangen. 

Paralellen zu NSU-Ermittlungen

Die letzte Information zum Haupttatverdächtigen findet sich im November 2008, als er wegen versuchter schwerer Brandstiftung verurteilt wurde – das zweite Mal nach dem Brandanschlag 1994. Zur Zeit des Urteils war er in einer Einrichtung für Wohnungslose im Sauerland gemeldet, heute kann sich dort niemand mehr an den Mann erinnern.

Für die Kölner Rechtsanwältin Edith Lunnebach ist der Verlauf der Ermittlungen "völlig unverständlich". Lunnebach vertrat im NSU-Prozess Überlebende des Sprengstoffanschlags in der Kölner Propsteigasse im Jahr 2001, nun hat Jasminkas Vater sie beauftragt, noch einmal nach dem Täter zu suchen, der seine Tochter getötet hat.

Lunnebach, die sich auf fragmentarische Aktenreste aus 1994 stützen kann, fragt sich zum Beispiel, warum die Staatsanwaltschaft damals lediglich wegen schwerer Brandstiftung und nicht wegen zweifachen Mordes ermittelt hatte. "Die Beweislage war sehr eindeutig", sagt die Anwältin. "Es gab mindestens drei Brandherde. Die Gutachter des Landeskriminalamtes NRW waren auch eindeutig in ihren Feststellungen, dass es sich um vorsätzliche Brandstiftung gehandelt hatte und dass der oder die Brandstifter wussten, dass in den Wohnungen, die am Flur angrenzten, Menschen schliefen." 

Sie zieht Parallelen zu den Ermittlungen nach dem NSU-Anschlag in der Propsteigasse: Hier wie dort seien erst einmal Angehörige verdächtigt worden. Als die Ermittlungen komplizierter wurden, seien "selbst die einfachsten Schritte nicht unternommen" worden, sagt Lunnebach. In den Akten gebe es zahlreiche rassistische Bemerkungen über Roma – und das nicht allein in den Zeugenaussagen, sondern auch in den Vermerken der ermittelnden Polizeibeamten. Es sei bitter, dass die Ermittlungsakten sowohl bei der Staatsanwaltschaft Köln als auch beim Polizeipräsidium vernichtet wurden. Und ein später Sieg für die Täter, "die zwei Menschenleben auf dem Gewissen haben, aber davon ausgehen können, dass die Staatsanwaltschaft Köln nicht sonderlich viel Energie in ihre Ergreifung investiert". Nun prüft die Anwältin mögliche Schritte für eine Wiederaufnahme der Ermittlungen, diesmal wegen Mordes.  

Gefangen in der deutschen Geschichte

Doch was wurde aus dem Hass der Neunzigerjahre? Heute, 24 Jahre nach dem Anschlag, erklären in Umfragen mehr als die Hälfte aller Deutschen, dass sie Roma als Nachbarn ablehnen. Dragan J. und seine Familie sind an einen Ort gezogen, wo es keine deutschen Nachbarn gibt. Hier leben vor allem Syrer, Roma, Afghanen, außerdem gibt es ein Autohaus.

"Der Hass gegen uns Roma hat meine Tochter getötet", sagt Dragan J., "so wie 50 Jahre zuvor meinen Großvater." Bei einer Reise türkeistämmiger Kölner und Roma zur Gedenkstätte des Vernichtungslagers Auschwitz hat Dragan J. die letzten Spuren seine Großvaters gefunden. Im Januar 1944 wurde er mit 1.000 Roma aus Jugoslawien in das Vernichtungslager gebracht und ermordet. Die nationalsozialistische Verfolgung der jugoslawischen Roma sei in Deutschland kaum bekannt, sagt der Historiker Frank Sparing. "Dabei ist sie – bis heute – eine der mittelbaren Ursachen für die Flucht- und Migrationsbewegungen jugoslawischer Roma, auch wenn die ursprüngliche Absicht der Nationalsozialisten, die Roma vollständig zu vernichten, fehlgeschlagen ist." In Auschwitz erinnert eine Gedenktafel an die dort ermordeten Sinti und Roma. Auch der Name des Großvaters von Dragan J. ist hier eingraviert. "Ich bin in der deutschen Geschichte gefangen", sagt Dragan J. müde.

Am Übergangswohnheim in Köln-Gremberg erinnert nichts an die Brandnacht vor mehr als 24 Jahren, kein Schild, kein Denkmal. Dragan J. sagt: "Ich trage meine Tochter in meinem Herzen."

Gemeinsam mit unserem Redakteur Frank Jansen betreut Heike Kleffner als freie Journalistin das Langzeitrechercheprojekt „Todesopfer rechter Gewalt“ seit dessen Erstveröffentlichung im Tagesspiegel im September 2000, seit 2010 in Kooperation mit Zeit Online. Seit April 2018 arbeitet sie auch als Geschäftsführerin des Bundesverbandes der Beratungsstellen für Opfer rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt (VBRG).

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