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Brief an EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen: Grünen-Vize fordert EU-Strafe für Zurückweisungen
Mit den Zurückweisungen an den Grenzen breche Deutschland europäisches Recht, sagt der Grünen-Politiker Sven Giegold. Er fordert Ursula von der Leyen auf, ein Vertragsverletzungsverfahren einzuleiten.
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Für Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) wird „schlichtweg nationales Recht angewendet“, für die Opposition ist es ein Rechtsbruch. Die Zurückweisungen von Asylsuchenden an den deutschen Grenzen bleiben auch eine Woche nach dem Start der neuen Koalition der große Streitpunkt.
Nun fordert der stellvertretende Grünen-Vorsitzende Sven Giegold, dass die Europäische Union (EU) Deutschland für das Vorgehen an den Grenzen bestrafen soll. In einem Brief an EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, der dem Tagesspiegel exklusiv vorliegt, fordert Giegold, ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland zu eröffnen.
„Nach meiner Erinnerung hat noch nie eine neue Regierung eines großen Mitgliedslandes mit der quasi ersten Amtshandlung den Bruch europäischen Rechts in Kauf genommen“, schreibt Giegold darin.
Die Europäische Kommission wurde gegründet, um die Einhaltung europäischen Rechts durch alle Mitgliedsstaaten zu überwachen.
Grünen-Vize Sven Giegold in seinem Brief an Ursula von der Leyen
Als Staatssekretär im Wirtschaftsministerium sei er für die Einhaltung des Europarechts in den Jahren der Ampelkoalition federführend zuständig gewesen, nun sehe er die Zurückweisungen mit großer Sorge.
„Dies gefährdet die Grundlagen der Europäischen Union, die auf dem Vorrang des Europarechts vor dem nationalen Recht beruht“, schreibt Giegold, der für die Grünen von 2009 bis 2021 im Europaparlament saß, an von der Leyen.

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Insbesondere die pauschale Zurückweisung von Asylsuchenden an den deutschen Außengrenzen erfülle das Kriterium der Nichtkonformität mit dem EU-Recht, argumentiert der 55-Jährige. „Diese Zurückweisung erfolgt systematisch und nicht etwa nur in Einzelfällen.“
In seinem Brief erinnert Giegold die EU-Kommissionspräsidentin an die Grundidee der EU. „Die Europäische Kommission wurde gegründet, um die Einhaltung europäischen Rechts durch alle Mitgliedstaaten zu überwachen.“ Die Einhaltung europäischen Rechts müsse für alle Mitgliedstaaten verbindlich sein, auch für die größten und einflussreichsten. „Auf diesem Prinzip beruht unsere Union“, schreibt Giegold.
Die EU dürfe nicht mit zweierlei Maß messen, schreibt der Grünen-Vize. Und an von der Leyen gerichtet: „Daher bitte ich Sie formal als deutscher Bürger und als Unionsbürger gegen die Verletzung europäischen Rechts durch die Bundesrepublik Deutschland unverzüglich vorzugehen.“ Er selbst habe eine entsprechende Beschwerde im Portal der EU-Kommission eingereicht.
Mit einem Vertragsverletzungsverfahren können die EU-Kommission und die Mitgliedstaaten Verstöße eines Mitgliedstaates gegen das EU-Recht geltend machen. Wenn die Kommission vermutet, dass europäisches Recht nicht fristgemäß, unvollständig oder überhaupt nicht in nationales Recht umgesetzt wurde, kann sie ein Vorverfahren eröffnen. Als letzte Stufe erfolgt die Anrufung des Europäischen Gerichtshofs.
Das Mittel wird regelmäßig angewendet. In den ersten Jahren der Ampelkoalition wurden beispielsweise 29 Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet. Leistet der Mitgliedstaat dem Urteil des Europäischen Gerichtshof am Ende nicht Folge, kann dies auch finanzielle Vertragsstrafen nach sich ziehen.
Zwist mit Polen
Momentan sorgen die Zurückweisungen aber vor allem politisch für Ärger mit den Nachbarländern Deutschlands. Wie der „Spiegel“ berichtet, stoppte der polnische Grenzschutz am Montagmorgen erstmals die Rückführung zweier Afghanen, obwohl diese laut Bundespolizei kurz zuvor nach Brandenburg illegal eingereist waren.
Schon vergangene Woche hatte Polens Ministerpräsident Donald Tusk beim Antrittsbesuch von Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) in Warschau klargemacht, dass er nichts von der deutschen Grenzpolitik halte. Merz hatte Tusk daraufhin zugesichert, dass man gemeinsam „gute Lösungen“ finden werde.
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