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Politik: „Bürger denken anders als die Diplomaten“

Mosche Zimmermann über die Last der Vergangenheit und die schwierige Situation der Jungen

40 Jahre deutschisraelische Beziehungen: Ist das für Sie ein Grund zum Feiern?

Feiern – das finde ich übertrieben. Man feiert etwas Neues. Aber in den deutsch-israelischen Beziehungen ist längst der Alltag eingetreten. Zum 25. Jahrestag hatte ich in Jerusalem eine Tagung organisiert. Schon damals waren alle Seiten der Meinung, das Verhältnis habe sich weitgehend normalisiert. Und heute, 15 Jahre nach der Wiedervereinigung, sind die Beziehungen so normal, wie sie zwischen Staaten sein sollten.

Was meinen Sie mit normal?

Ich vergleiche die Beziehungen zu Deutschland immer mit den Beziehungen zu anderen europäischen Staaten. Aus der Perspektive Israels ist die Last der Vergangenheit heute gleichmäßiger auf die Staaten in Europa verteilt. Sie lastet längst nicht mehr einzig und allein auf Deutschland, wie das noch vor dreißig, vierzig Jahren der Fall war. Damals galt Deutschland als ein Land, das man eigentlich nicht besuchen darf. Das „Dritte Reich“ schwebt zwar immer im Hinterkopf, aber das Deutschland von heute darf man ohne weiteres bereisen.

Wenn Sie den Beziehungen zwischen beiden Ländern eine Note geben müssten, welche wäre es?

Die Durchschnittsnote für die Beziehung der Israelis zu Europa ist ziemlich schlecht, eine Vier minus oder eine Fünf. Die USA dagegen verdienen eine Eins oder eine Eins minus. Innerhalb Europas aber liegt Deutschland in den Augen der meisten Israelis über dem Durchschnitt.

Gibt es noch andere Länder in Europa, die gute Noten bekommen?

Aus der Sicht der Israelis stehen vor allem die Niederlande und Dänemark am besten da wegen ihres Widerstandes gegen den Nationalsozialismus. Auch die Italiener sind eher beliebt. Dagegen sind Frankreich und Polen eher schlecht angesehen. Frankreich gilt momentan als das Land des Antisemitismus. Gegenüber Polen gibt es eine große Reserviertheit, weil man die polnische Geschichte sehr stark auch als eine Geschichte des Antisemitismus sieht. Von Polen existiert in Israel also ein eher negatives Bild, obwohl das Land während des Zweiten Weltkrieges von Deutschland besetzt war und nicht mit den Nazis kollaboriert hat.

Gibt es einen Unterschied zwischen den Beziehungen auf politischer Ebene und den Kontakten zwischen den Bürgern?

Die israelischen Bürger denken in anderen Kategorien als Diplomaten. Sie reagieren viel stärker auf Bilder der Gegenseite: Der durchschnittliche Israeli assoziiert mit Deutschland einerseits die Schoa, andererseits aber auch guten Fußball und schnelle Autos. Das Verhältnis hat also schizophrene Züge. Doch das übertünchen die Menschen, um damit leben zu können.

Wie ist es umgekehrt?

Bei den Deutschen gibt es drei Gruppen: Die einen tragen stets die Last der Vergangenheit mit sich herum, wenn sie Israelis begegnen. Sie sind deswegen sehr scheu. Die anderen verstehen die Vergangenheit als Herausforderung, um nach Israel zu reisen, Kontakte zu suchen und sich intensiv mit Israel zu befassen. Diese Menschen schaffen damit die Basis für eine weitere Normalisierung. Es gibt aber auch Leute, die sich von der Vergangenheit entlasten wollen und dies tun, indem sie Israel angreifen.

Wie erleben Sie den Kontakt mit jungen Deutschen?

Die jungen Deutschen, die dritte Nachkriegsgeneration, befinden sich in einer schwierigen Situation. Sie hat direkt mit der Vergangenheit nichts mehr zu tun. Deswegen ist bei ihr der Mechanismus der Selbstentlastung stärker ausgeprägt. Auch die heutige deutsche Politik, insofern sie von Jüngeren getragen wird, ist Israel gegenüber sachlicher geworden - und auch distanzierter.

Empfinden Sie das eher als wohltuend oder als problematisch?

Man kann die Last der Vergangenheit nicht einfach auf die dritte und vierte Generation weiterschieben. Deswegen ist die Reaktion der jüngeren Deutschen, sich stärker zu entlasten, aus psychologischer Sicht normal. Trotzdem ist sie auch problematisch, weil sie auf israelischer Seite die Befürchtung erzeugt, man wolle nun das Schicksal der ermordeten Juden vergessen. Als Reaktion versucht man dann, die Vergangenheit wieder besonders intensiv in den Vordergrund zu schieben.

Haben auch junge Israelis solche Befürchtungen?

Junge Israelis halten die Beziehungen zu Deutschland eher für nebensächlich. Sie treffen junge Deutsche zunächst einmal genauso unbefangen wie junge Franzosen oder junge Spanier. Sie sehen vielmehr das Verhältnis zu den Palästinensern als den entscheidenden Gradmesser an. Wenn sie also junge Deutsche treffen, die die Vergangenheit etwas lockerer interpretieren, werden sie sich damit sachlich auseinander setzen. Wenn sich diese jungen Deutschen dann aber auch noch auf die Seite der Palästinenser stellen, dann reagieren die jungen Israelis besonders ablehnend – eben weil dies Deutsche tun.

Das Gespräch führte Martin Gehlen.

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