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Das Bürokratie-Monster lebt: Man kann alles regeln, muss man aber nicht
Gesetze, Verordnungen, Regeln, es gibt mehr als genug davon. Man kann auch genug davon haben, wie viele Bürger. Die Parteien versprechen Abhilfe. Das sollte die Regel werden.

Stand:
Tagesspiegel-„Checkpoint“ lesen, dabei gewesen – bei der Entdeckung des Bürokratiemonsters. Achtung, es lebt.
Der Austausch eines kaputten Rohrs. Berlins Wasserbetriebe haben die Liste der Stellen verraten, die einbezogen werden müssen. Es waren 23.
23! Glaube niemand, da ginge nicht noch mehr. Aber es ginge bestimmt auch weniger. Und wenn es weniger wären, die zwingend beteiligt werden müssten, ginge umgekehrt womöglich mehr.
Das sagen auch alle Parteien in allen Wahlkämpfen. Recht haben sie. Allerdings: Es gibt nicht nur ein Bürokratieproblem, weil so viele mitreden, sondern auch ein Entscheidungsproblem. Weil niemand die Verantwortung übernehmen will, wenn man sich bestimmte bürokratische Prozesse spart. Könnte doch sein, dass was schiefgeht.
Das Monster hat viele Köpfe. Denn zugleich steuern wir auf einen riesigen Fachkräftemangel (auch) bei den Behörden zu. Laut McKinsey geht bis 2030 mehr als jeder dritte in Rente. Es entsteht eine Personallücke von mehr 730.000 Beschäftigten, mehr als die Hälfte wird in der mittleren Führungsebene fehlen. Die für Zukunftsinitiativen besonders wichtig ist.
Heißt: Wir können schon bald personell unsere Bürokratie weder bestücken noch dem Monster zusetzen. Weil das Land aber nun nicht ausgerechnet daran untergehen darf, wird man wohl eine Verschlankung fordern müssen. Mit der Lindnerschen Kettensäge? Ein Dilemma für die nächste Koalition.
Es wird keinem etwas anderes bleiben, als mutig zu entscheiden. Jedes neue Gesetz, jede neue Vorschrift muss einem Bürokratie-Check unterzogen werden: Was bringt es, was kostet es; und dann sagen, ob man’s trotzdem macht oder anderes versucht.
In Deutschland gelten aktuell knapp 1800 Bundesgesetze mit über 50.000 Einzelnormen. Ihre Zahl wächst. Dabei schrumpft die Wirtschaft, und die Inflation ist hoch. Wer zu viel reguliert, der stranguliert, jedenfalls unternehmerische Aktivität. Warum ist vieles auch immer so kompliziert. Stichwort Heizungsgesetz oder Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz.
Wie wäre es mit einem neuen Ansatz? Die „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ wünschte sich statt des „command and control“-Ansatzes eine „partnerschaftliche, risikobasierte Zusammenarbeit zwischen Staat und Unternehmen“.
Warum nicht die einfachen Lösungen?
Effizienz durch Gemeinsamkeit, Regulierung als Dienstleistung – vielleicht so: Bei jeder Regelung werden alle Betroffenen eingebunden; von denen werden viele bestimmt für die einfachste Lösung sein. Für Einsprüche gibt es Mindestfristen, alle können ihre Positionen klarmachen.
Das geht auf jeder Ebene: alles verpflichtend auf bürokratieärmere Lösungen zu prüfen. Neue Gesetze oder Verordnungen dürften dann nur noch befristet gelten. 2010 gab es auf Bundesebene rund 80.000 Gesetze und Verordnungen, mittlerweile sind es mehr als 96.000. Gut wäre, sie vor Ablauf zu checken: ändern, abschaffen oder weiterlaufen lassen. Für jede neue bürokratische Auflage zwei streichen. Und Minister, Senatoren, Behördenleiter berichten jährlich über den Abbau von Regulierung und Bürokratie.
Ein Gesetz könnte übrigens öfter vorgelegt werden: ein Bürokratieentlastungsgesetz, das Vorschriften abschafft oder vereinfacht. Wie jetzt gerade im Bundestag zum 1. Januar.
Auch Konzentration aufs Wesentliche hilft. Mehrfachzuständigkeiten für dasselbe Thema – klar ein Hemmnis. Der Bund zum Beispiel hat 965 Behörden, da läuft bestimmt viel parallel. In Berlin auch, oder?
Leitsatz auf allen Ebenen könnte sein, sollte sein: Nicht alles, was geregelt werden kann, muss auch geregelt werden. Großer Einsatz bei großen Themen, Zurückhaltung bei den anderen. So ließen sich Kraft und Zeit und Nerven und viel Geld sparen.
Ob das jetzt beim Wasserrohr hilft? Noch nicht. Da liegt die Sache ja doch komplizierter. Die Berliner Bezirke reden auch noch mit. Aber mit einer anderen Einstellung und anderen Regelungen könnte es schneller gehen. Demnächst. Irgendwann. Der „Checkpoint“ wird berichten. Das Monster bebt.
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