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Eine Militärkapelle probt vor dem Beginn des Nationalen Volkskongress in der Großen Halle des Volkes.

© Jason Lee/Reuters

Volkskongress tagt: Chinas schöner Schein

In den kommenden Tagen hält der Nationale Volkskongress in Peking seine jährliche Vollversammlung ab. Vor welchen Herausforderungen steht die Volksrepublik China?

Wenn der sonst so smogverhangene Himmel über Peking dauerhaft blau strahlt, könnte der Nordwind dafür verantwortlich sein – oder eine sehr wichtige Veranstaltung. So auch in diesen Tagen, da in der chinesischen Hauptstadt und der nahe gelegenen Provinz Hebei zahlreiche Kraftwerke und Fabriken schließen mussten, damit Pekings Himmel in den kommenden zwei Wochen keine grauen Bilder produziert. Seit Sonntag nämlich hält der Nationale Volkskongress in der Großen Halle des Volkes auf dem Tiananmen-Platz seine jährliche Vollversammlung ab. Und da geht es bis zum 15. März vor allem um eines: den schönen Schein.

Welche Aufgaben hat der Nationale Volkskongress?

Der Volkskongress ist das gesetzgebende Organ der Volksrepublik China. Rund 3000 Delegierten versammeln sich jedes Jahr in der Großen Halle des Volkes, sie bilden das größte Parlament der Welt. Allerdings ist noch nie ein Gesetz oder ein Antrag im Volkskongress gescheitert, denn der Volkskongress ist auch das größte Scheinparlament der Welt. Zwar hören und diskutieren die Delegierten aller Provinzen und der wichtigsten gesellschaftlichen Bereichen Berichte und Gesetzesvorhaben der Regierung und stimmen darüber ab – doch eine tatsächliche Kontrolle der Exekutive findet nicht statt. Das verhindert der in der Präambel der Verfassung verankerte alleinige Führungsanspruch der Kommunistischen Partei.

„China hat viele formale Institutionen, die ihm den Anschein eines Landes mit einem pluralistischen System verleihen“, erklärt der China-Experte Richard McGregor in seinem Buch „Der rote Apparat“. „Aber die Allgegenwart der Partei hinter den Kulissen bedeutet, dass die Rolle, die diese Einrichtungen nach außen hin spielen, permanent nach der realen, weitgehend unsichtbaren Macht ausgerichtet werden muss.“ Der Volkskongress fungiert somit in erster Linie als Polit-Show.

Wie werden die Abgeordneten des Volkskongresses ausgewählt?

Auch hier spielt die unsichtbare Macht im Hintergrund die entscheidende Rolle. Die Abgeordneten werden nicht direkt gewählt, sondern von den Volkskongressen der Provinzen entsandt. Diese zweistufige Auswahl soll die politische Loyalität der Delegierten zur Kommunistischen Partei sichern. Die Bürger können zwar ihre Delegierten auf Kreis- und Bezirksebene demokratisch wählen – aber auch diese Wahl ist nicht immer frei. So berichtete die „New York Times“, dass vor den Wahlen 2016 landesweit rund 100 unabhängige Kandidaten von der Polizei eingeschüchtert und bedroht worden sind.

Seit der ersten Vollversammlung im Jahr 1954 dauerte es noch 34 Jahre, bis es erstmals ein Abgeordneter wagte, Nein zu einem Gesetz zu sagen. Viele sehen ihre Rolle offenbar so wie Shen Jilan. Die 1929 geborene Bäuerin ist seit dem ersten Volkskongress als Abgeordnete der Provinz Shanxi dabei. „Ich habe noch nie eine Nein-Stimme abgegeben“, sagte Shen Jilan der „Welt“. „Ich vertraue darauf, dass die Beschlüsse von Partei und Regierung immer richtig sind.“

Hat der Volkskongress dann überhaupt eine Bedeutung?

Auf jeden Fall. Durch die Zahl der Enthaltungen und Nein-Stimmen lassen sich unpopuläre Personalien oder Projekte identifizieren. So enthielten sich 1992 bei der Entscheidung über den Bau des DreiSchluchten-Staudamms immerhin 29 Prozent der Delegierten. Zuletzt ist der Volkskongress auch aktiver in die Gesetzgebung eingestiegen. „Er hat sich zum Beispiel bei den Umweltgesetzen mit konkreten Vorschlägen einbringen können“, erklärt Matthias Stepan. Der Leiter des Bereichs Innenpolitik am China-Forschungsinstitut Merics beschreibt diese neue Rolle in dem Papier „Die Aktivierung des Nationalen Volkskongresses“ nicht als eine für das Volk gedachte Initiative. Vielmehr werde der Kongress von der Kommunistischen Partei vermehrt als „institutionelles Gegengewicht“ benutzt, um sich bei sensiblen Themen gegenüber untereinander konkurrierenden und sich lähmenden Ministerien durchzusetzen.

Die Volkskongresse im März zählen auch zu den wenigen Momenten, in denen die in Hinterzimmern ausgehandelte Politik Chinas das Licht der Öffentlichkeit erblickt. Zahlreiche Pressekonferenzen gewähren zumindest ein bisschen Einblick und geben den Anschein von Transparenz. Am Ende des Kongresses wird sich auch Premierminister Li Keqiang den Fragen von sorgsam ausgewählten Medienvertretern stellen.

Worum geht es in diesem Jahr?

Der diesjährige Volkskongress steht unter dem Eindruck der bevorstehenden Personalentscheidungen an der Spitze der Kommunistischen Partei. Im Herbst sind viele Posten im Politbüro neu zu besetzen. Dieser Personalwechsel im Machtzentrum Chinas findet nur alle fünf Jahre statt – und hat deshalb besondere Bedeutung. Im Mittelpunkt steht die Frage, ob Partei- und Staatschef Xi Jinping seine Macht weiter festigen kann, indem er noch mehr Vertrauenspersonen in wichtige Positionen hieven kann. Der Staatschef hatte sich im vergangenen Jahr sogar zum „Zentrum“ der Kommunistischen Partei erklären lassen. Inzwischen halten es China-Experten für möglich, dass der KP-Chef länger als die zuletzt üblichen zehn Jahre der Partei vorstehen könnte.

Als starke Kandidaten für einen Platz im 25-köpfigen Politbüro werden Li Hongzhong, der neue Parteichef von Tianjin, und Chen Quanguo, Parteichef von Xinjiang, gehandelt. Da Personalentscheidungen im Verborgenen getroffen werden, können beim Volkskongress lediglich indirekte Schlüsse gezogen werden: Wer tritt wo auf, wer darf was als Erster verkünden? Innenpolitisch interessant ist auch, welchen Kandidaten für das Amt des Regierungschefs in der Sonderverwaltungszone Hongkong die chinesische Regierung bevorzugt. Auch hier geht es eher darum, Nuancen herauszuhören.

Kontroverse Themen wie Eigentumsrechte oder die Heraufsetzung des Renteneintrittsalters werden bei diesem Volkskongress wohl nur am Rande oder gar nicht diskutiert werden. Wegen der anstehenden Personalentscheidungen dürften umstrittene Themen wohl vermieden werden, glaubt der China-Experte Matthias Stepan. „Zu groß ist das Risiko, dass diese Themen Unmut in der Bevölkerung schüren.“ Stattdessen werde die Regierung positive Entwicklungen herausstellen. „Dazu gehört sicherlich die mitunter deutliche Erhöhung von Sozialleistungen und das Forcieren des sozialen Wohnungsbaus“, sagt Stepan.

Auch kündigte Premier Li Keqiang in seinem Bericht an, vermehrt gegen die Umweltverschmutzung ankämpfen zu wollen. „Wir werden den Himmel wieder blau machen“, versprach der Regierungschef. Um die größten Umweltsünder ausfindig zu machen, sollen künftig alle Quellen der industriellen Umweltverschmutzung 24 Stunden überwacht werden.

Welche Rolle wird Donald Trump beim Volkskongress spielen?

Die chinesische Regierung hat bisher auf die Angriffe Donald Trumps auffallend zurückhaltend reagiert. So erwähnte Li Keqiang in seinem Bericht den US-Präsidenten nur indirekt, als er sagte, es gebe Unwägbarkeiten über die Richtung einzelner Volkswirtschaften. Trump droht der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt weiterhin mit hohen Strafzöllen auf chinesische Produkte. Auch erkennt die neue US-Regierung Chinas territoriale Ansprüche im Südchinesischen Meer nicht an. Tagungssprecherin Fu Ying mahnte die USA am Samstag vor Kongressbeginn zur Zurückhaltung. „Die USAktivitäten bestimmen sozusagen das Barometer“, sagte Fu Ying. China müsse sich „vor Einmischung von außen schützen“. Sie gab eine Steigerung des chinesischen Militäretats von rund sieben Prozent bekannt. Damit liegen zumindest die offiziellen Zahlen der Volksrepublik noch unter der Steigerung von zehn Prozent, die US-Präsident Donald Trump für seine Land anvisiert.

Doch Chinas Militärausgaben könnten in Wirklichkeit viel höher liegen, bis zu 50 Prozent schätzen Experten. „Viele Ausgabenposten, die in westlichen Staaten dem Militärbudget zugerechnet werden, sind in China in den Haushalten anderer Ressorts versteckt“, erklärt Merics-Experte Matthias Stepan. „Die chinesische Küstenwache zum Beispiel, welche die Hauptlast der Operationen im Südchinesischen Meer trägt, ist kein Teil der Volksbefreiungsarmee.“ Ihr Budget finde sich daher im Haushalt des Ministeriums für Bodenverwaltung und Natürliche Ressourcen.

Wie entwickelt sich Chinas Wirtschaft?

Die Steuerung der chinesischen Wirtschaft gleicht in diesem Jahr einem schwierigen Balanceakt. Premierminister Li Keqiang senkte am Sonntag das Wachstumsziel für 2017 auf rund 6,5 Prozent, es wäre der niedrigste Wert seit 26 Jahren. Damit soll Chinas dramatisch wachsende Schuldenlast etwas reduziert werden. Die Inflation soll rund drei Prozent betragen. Im vergangenen Jahr war die Wirtschaft noch um 6,7 Prozent gewachsen. Doch ein großer Teil des Wachstums resultiert seit Jahren aus staatlichen Stimulanzprogrammen. In der Folge ist die Staatsverschuldung 2016 nach Schätzungen der UBS-Bank von 62 Prozent auf 68 Prozent des Bruttoinlandproduktes (BPI) gestiegen.

Ein zu geringes Wachstum von unter 6,5 Prozent würde allerdings das langfristige Ziel der Regierung gefährden. Xi Jinping hatte zu seinem Amtsantritt 2012 eine Verdoppelung der Wirtschaftsleistung innerhalb von zehn Jahren versprochen. Li Keqiang warnte: „Wir müssen auf der Hut sein vor Risiken wie durch faules Vermögen, den Ausfall von Rückzahlungen, Schattenbanken und Onlinefinanzgeschäfte.“ Für seine Regierung ist in diesem Jahr vor allem eines wichtig: ein wirtschaftlich stabiles und politisch ruhiges Jahr. (Mitarbeit: Ning Wang)

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