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Regierungschef Giuseppe Conte erklärt seinen Rücktritt im Senat in Rom.

© Andreas SOLARO/AFP

Update

„Diese Regierung ist am Ende“: Conte rechnet mit Salvini ab

Vor seinem Rücktritt hat Italiens Premier dem Innenminister Salvini autoritäre Attitüden vorgeworfen.

In seiner Antrittsrede als Regierungschef vor 446 Tagen hatte sich der Jurist Giuseppe Conte noch als „avvocato del popolo“, als Anwalt des Volks bezeichnet.

Im Senat ist er gestern in die Rolle des Staatsanwalts geschlüpft: Seine mit Spannung erwartete Berichterstattung zur aktuellen Regierungskrise wurde über weite Strecken zu einer gnadenlosen Anklagerede gegen seinen Vizepremier und Innenminister Matteo Salvini. Dieser hatte ihm am 8. August, am Tag seines 55. Geburtstags, das Vertrauen entzogen und das Land damit in eine politische Krise gestürzt.

Conte warf Salvini unter anderem vor, mit seinem Misstrauensantrag nur persönliche und Parteiinteressen zu verfolgen und dabei die nationalen Interessen aus dem Blick verloren zu haben. „Die Entscheide und das Verhalten des Innenministers verraten einen großen Mangel an institutioneller Kultur“, betonte Conte.

Der Premier unterstellte seinem Vize außerdem, autoritäre Attitüden zu haben: Wenn Salvini bei Neuwahlen „volle Macht“ von den Wählern fordere und mit Volksaufmärschen auf den Plätzen drohe, „dann besorgt mich das“, sagte Conte. Weiter bezichtigte der Premier den Lega-Chef des Opportunismus, weil er zwar der Regierung das Vertrauen entzogen, aber nicht gleichzeitig als eigentlich zwangsläufige Konsequenz seine Minister aus der Regierung abgezogen habe.

„Mit dem heutigen Tag ist diese Regierung am Ende angelangt“

„Mit dem heutigen Tag ist diese Regierung am Ende angelangt“, betonte Conte in seiner Rede. Anschließend kündigte der Regierungschef an, dass er nach seinem Auftritt im Senat zum Quirinalspalast fahren würde, um Staatspräsident Sergio Mattarella in dessen Amtssitz sein Rücktrittsschreiben zu übergeben. Er dankte dafür, dass er Italien habe dienen können und bedankte sich bei den Senatorinnen und Senatoren für ihr Vertrauen.

Salvini konterte, dass er nichts bereue und alles noch einmal tun würde. In Umkehrung der Tatsachen warf der Innenminister dem abtretenden Premier vor, das Ende der Regierung selber verschuldet zu haben: Gewisse Leute in der Regierung hätten seit Monaten daran gearbeitet, die Lega durch den sozialdemokratischen PD abzulösen. Aus Angst vor dem Gang in die Opposition erklärte sich Salvini am Dienstag aber bereit, die Kooperation mit den "Grillini" weiterzuführen, sofern diese das wünschten.

Der Auftritt Contes im Senat war ein weiterer Beleg dafür, dass der bei seiner Vereidigung völlig unbekannte Conte in den 14 Monaten als Premier in seinem Amt gewachsen ist. Anfangs war der als eitel geltende Süditaliener nicht viel mehr als ein willfähriger Befehlsempfänger seiner beiden Vizes Salvini und Luigi Di Maio von der Fünf-Sterne-Bewegung gewesen.

Je mehr sich der Führer der rechtsradikalen Lega und der Politikchef der „Grillini“ aber politisch und auch persönlich zerstritten, desto selbstständiger begann Conte seine Entscheidungen zu fällen.

Zusammen mit seinem ebenfalls parteilosen Finanzminister Giovanni Tria stutzte der Premier beispielsweise die teuren Wahlversprechen der Regierungsparteien (ein allgemeines Grundeinkommen sowie eine Herabsetzung des Renteneintrittsalters) so massiv zurück, dass er gleich zweimal ein drohendes Defizitverfahren der EU-Kommission gegen Italien abwenden konnte.

Weiteres Profil gewann Conte – auch außerhalb Italiens –, indem er sich von Salvinis rassistisch eingefärbter Hasspropaganda gegen die Flüchtlinge abgrenzte. Um ein paar Stimmen zu gewinnen, habe sich der Lega-Chef einseitig auf das Thema Migration eingeschossen, kritisierte der Premier seinen Innenminister unlängst auf Facebook.

Die Bilanz der Regierung fällt bescheiden aus

Obwohl sich Conte sowohl in Brüssel als auch in Rom als Vermittler profilierte, fällt die Bilanz seiner Regierung bescheiden aus. Die massive Reduktion der Zahl der Bootsflüchtlinge wird zwar von der Mehrheit der Italiener positiv gewertet; das Verdienst wird aber nicht Conte, sondern Salvini und seiner Politik der geschlossenen Häfen zugeschrieben.

Ansonsten bleibt nicht viel Zählbares übrig, weil sich die beiden Regierungsparteien Lega und Fünf Sterne in fast allem uneinig waren. Die beiden wichtigsten Wahlversprechen der beiden Regierungspartner sind, wie erwähnt, nicht mehr als eine Mogelpackung. Vor allem aber hat es die populistische Koalition fertiggebracht, das Land gleich wieder in die wirtschaftliche Stagnation zu führen und die bereits horrende Staatsverschuldung weiter anwachsen zu lassen.

Das Vertrauen der Finanzmärkte befindet sich auf dem Tiefpunkt; Italien zahlt für seine Schulden inzwischen höhere Zinsen als Spanien oder Portugal.

Conte hat sich nun mit einer beherzten Rede vom Parlament verabschiedet. Doch sein Rücktritt muss nicht zwangsläufig bedeuten, dass es sein letzter Auftritt gewesen ist. Mit dem Rücktritt liegt Contes politisches Schicksal in den Händen von Staatspräsident Mattarella. Und dieser hat mehrere Optionen für die Überwindung der Regierungskrise.

Eine davon besteht darin, dass er den Rücktritt Contes nur unter Vorbehalt annimmt, um bei anschließenden Konsultationen mit den Parteispitzen auszuloten, ob sich im Parlament andere Regierungsmehrheiten finden lassen.

Eine in den letzten Tagen viel diskutierte Möglichkeit wäre eine sogenannte „Ursula-Koalition“, also ein Pakt derjenigen italienischen Parteien, die vor ein paar Wochen die Wahl der Deutschen Ursula von der Leyen zur neuen EU-Kommissionspräsidentin unterstützt hatten. Das sind die Fünf-Sterne-Bewegung, der sozialdemokratische Partito Democratico und Silvio Berlusconis Forza Italia. Die drei Parteien würden in beiden Parlamentskammern über eine komfortable Mehrheit verfügen. Es ist durchaus denkbar, dass Giuseppe Conte auch in einer solchen Konstellation Regierungschef würde.

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