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Krise, nicht Krieg. Auch wenn Bundeswehrhubschrauber Patienten transportieren.

© Jens Schlüter/AFP

Corona und Rhetorik: Die Welt befindet sich im Kampf gegen ein Virus – aber nicht im Krieg

General Clausewitz würde in Corona keinen Feind sehen. Falsche Kriegsrethorik ist gefährlich und unangebracht. Ein Gastbeitrag

Lars Straehler-Pohl ist Historiker und Dirigent und lebt in Berlin.

Ein Virus hat keinen Willen, kein Ziel, nicht einmal einen eigenen Stoffwechsel. Es folgt seinen biologischen Eigenschaften. Im Fall des SARS-CoV-2 können diese hinreichen, menschliche Leben zu gefährden. So wird es Ziel und Wille von Menschen, das Gefährdungs- und Zerstörungspotenzial des Virus aufzuhalten, es zu bekämpfen. Hierin erschöpft sich die inhaltliche Beziehung zwischen Mensch und Virus bereits, auch wenn sie derzeit international Kriegsrhetorik provoziert.

Das „Wir sind im Krieg“ Emmanuel Macrons wird zur Binnenklammer seiner März-Ansprache an die Nation. Donald Trump apostrophiert sich als „wartime president“ und Pedro Sánchez möchte „eine Kriegswirtschaft auf die Beine stellen“. Das Bekämpfen des Virus ist aber genauso wenig Krieg wie dieses selbst ein Feind im Sinne eines Kriegsgegners sein kann. Es fehlen ihm schlicht die Eigenschaften eines Kriegssubjekts.

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Wie sich Handlungssubjekte im Krieg gegenüberstehen, beschreibt Carl von Clausewitz in seinem Werk "Vom Kriege" wohl am wirkungsstärksten. Zunächst definiert der Kriegstheoretiker Clausewitz den Krieg als Erweiterung des Zweikampfes. An dieser Stelle wären Viren -verwegen weit abstrahiert - noch als Gegner vorstellbar.

Clausewitz aber baut mehrere Ebenen auf und über diesen Zweikampf hinaus. Damit liefert sein Werk auch knapp 190 Jahre nach dem Erstdruck eine weiterhin frische Theorie, die ihre Kraft aus einer erstaunlich eigenständigen Dialektik zieht. In deren Kern steht das Verhältnis von Mitteln, Zweck und Ziel, das Clausewitz die wunderliche Dreifaltigkeit nennt. Der Krieg als Mittel verfolgt das Ziel, dem Gegner den eigenen Willen aufzuzwingen, um schließlich einen übergeordneten politischen Zweck zu erreichen.

Das Virus verfolgt keinen übergeordneten politischen Zweck

In seinem Sinne möchte das Virus überleben, einen übergeordneten Zweck, noch dazu einen politischen, verfolgt es nicht. Es mag eingewendet werden, das Kriegsgeschehen sei in der Praxis weit unübersichtlicher als es Begriffe zu fassen vermögen. Krieg ist immer auch von Unvorhergesehenem geprägt. Clausewitz als Generalmajor mit konkreter Kriegserfahrung nennt diese unplanbaren Einflussgrößen Friktion. Vieles sehen die Kombattanten durch einen Nebel, vieles müssen sie vorausahnen, abschätzen und Handlungen schrittweise, gleichzeitig aber zügig auf die konkrete Situation anpassen.

Dieses Vorgehen hat Parallelen zur Corona-Bekämpfung im Zusammenspiel von medizinscher Forschung, relevanten Fachdisziplinen, Politik und gesamtgesellschaftlichen Verhalten. Wache Beobachtung und schnelle Handlungskorrektur sind aber immer Bestandteil komplexer Aufgabenstellungen. Als solche muss die Corona-Pandemie vor allem behandelt werden.

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Wir müssen rational bleiben, das Virus ist es immer. Vielen menschlichen Handlungsweisen gegenüber bleibt es immun. Alle psychologischen Elemente regulärer Kriegsdynamik greifen dem imaginierten Feind gegenüber nicht. Das Virus lässt sich weder einschüchtern, noch provozieren. Für das Virus gibt es keine Heldentaten, keinen Kampfgeist, wirken keine Propagandamaßnahmen oder Demoralisierungsversuche.

Wir haben ein globales Problem. Sollten wir uns da an einem Begriff stören? Ja, wir müssen es sogar. Wer das Wort Krieg im Mund führt, hat etwas in der Hand. Wer den Krieg ausruft, will nicht als Zauderer, sondern Entscheider wahrgenommen werden. Und: wer den Krieg erklärt, will gleichzeitig die Handlungslogik des Krieges im eigenen Handeln legitimieren.

Hintergründe zum Coronavirus:

Der Krieg braucht Feinde, die Lösung der Corona-Krise nicht

Es wird damit möglich, was im Regelfall eben nicht nur nicht legitim, sondern Grundwerten diametral entgegengesetzt wäre. Anders als beim Virus greift beim Menschen die Massenpsychologie. Das Ausrufen des Krieges lässt Menschen näher zusammenrücken- näher zueinander und näher zum Ausrufenden. Der Krieg braucht Feinde; die Lösung komplexer und bedrohlicher Herausforderung nicht. Sie braucht Information und Überlegtheit.

Auch in nicht militärischen Gemengelagen können Mittel und Möglichkeiten erweitert werden. Weder für die Hamburger Sturmflut von 1962 noch für den Hurrikan Katrina 2005 musste von Krieg gesprochen werden, damit das Militär Hilfe leisten konnte. Einen Krieg gegen Wasser oder Sturm führen zu wollen, klingt absurd. Hier bekämpfen Menschen schlicht eine Bedrohung, um sich und andere zu schützen.

Und so ist auch die Sprache von Experten verschiedener Disziplinen, die derzeit mit dem Covid-19-Virus beschäftigt sind, ganz überwiegend frei von Kriegsrhetorik. Wir befinden uns in einem Ausnahmezustand mit teils dramatischen Folgen. Aber anders als im Kriegszustand werden Menschen nicht durch die Feindseligkeit anderen Menschen bedroht.

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In diesem Kampf kommt es auf wenig ruhmreiche Handlungen wie Händewaschen an

Das Töten unter bestimmten Bedingungen bleibt auch in diesem Ausnahmezustand sanktioniert. Die Ausübung bestimmter Grundrechte ist beschränkt, aber es sind eben keine Grundwerte außer Kraft gesetzt. Damit aber dieses Verhältnis unbeschadet bleibt, muss ein Mindestabstand von dem Begriff Krieg und seiner Logik gehalten werden.

Dort, wo das vermeintliche Heroische des Kriegs fehlt, sind es wenig ruhmreiche Handlungen wie das gründliche Händewaschen, das Einhalten von physischem Abstand und die ruhmreichere gegenseitige Unterstützung, die mehr Wirkung zeigen können als es das Feindbild eines vermenschlichten Virus vermögen würde.

Eine andere Form wunderlicher Dreifaltigkeit aus Vernunft, Entschiedenheit und Leidenschaft kann ein erfolgreicher Umgang mit der Corona-Krise sein. Wir brauchen nicht die Hitzigkeit des Krieges, sondern weit mehr die Kühle der Vernunft, insofern wir gegen die Effekte eines biologischen Prinzips, nicht aber gegen eine fremde Vernunft kämpfen. Das Gefühl, einen Feind zu haben, mag die Situation fassbarer erscheinen lassen. Das Gefühl, in der Vernunft einen Verbündeten und Freund zu haben, bleibt aber das stärkere Mittel in diesem Kampf

Lars Straehler-Pohl

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