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Politik: Das Arzneibudget: In der SPD wächst die Kritik an Regressforderungen gegenüber Praxen. Ärzte drohen mit heißem Herbst

Zwischen SPD und Grünen zeigen sich neue Differenzen in der Gesundheitspolitik. Während die grüne Gesundheitsministerin Andrea Fischer offenbar entschlossen ist, die Kassenärzte für Überschreitungen im Arzneimittelbudget 1999 haftbar zu machen, wächst in der SPD der Widerstand gegen die Politik der festen Budgets, welche Fischer von ihrem Vorgänger Horst Seehofer (CSU) übernommen hat.

Zwischen SPD und Grünen zeigen sich neue Differenzen in der Gesundheitspolitik. Während die grüne Gesundheitsministerin Andrea Fischer offenbar entschlossen ist, die Kassenärzte für Überschreitungen im Arzneimittelbudget 1999 haftbar zu machen, wächst in der SPD der Widerstand gegen die Politik der festen Budgets, welche Fischer von ihrem Vorgänger Horst Seehofer (CSU) übernommen hat. Nach vorläufigen Schätzungen der Krankenkassen haben die Kassenärzte die Ausgabengrenze 1999 für Arzneien und Hilfsmittel von 38,7 Milliarden Mark um 700 bis 800 Millionen Mark überschritten. Etwa 250 Millionen Mark davon müssten die niedergelassenen Mediziner nach dem 1998 verabschiedeten Gesetz an die Krankenkassen zurückzahlen.

Ärzte wollen Druck machen

Die Ärzteschaft kündigte einen heißen Herbst an. "Wenn die Kassen Geld zurückfordern, werden wir mächtig Druck machen", sagte Jürgen Bausch, Vorstandsmitglied der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, der "Financial Times Deutschland". Vor allem die Kollektivhaftung sei unrechtmäßig. "Es geht doch nicht, dass jeder für den Mist des anderen haftet." Für die Budgetprobleme machen die Mediziner vor allem Faktoren geltend, die ihrer Ansicht nach außerhalb ihres Einflusses liegen. Dazu gehört die Grippewelle im ersten Quartal 1999. Auch schlage die höhere Mehrwertsteuer zu Buche sowie rot-grüne Lockerungen bei den Zuzahlungen. So verschreiben Ärzte wieder mehr Großpackungen, weil die Zuzahlungen dafür niedriger sind. Auch die Befreiung chronisch Kranker von Zuzahlungen hat inzwischen dazu geführt, dass knapp die Hälfte aller Rezepte mittlerweile für die Patienten kostenlos sind. Ärzte und Krankenkassen nutzen dieses Schlupfloch im Gesetz als Marketing-Instrument, um Kunden an sich zu binden.

In einem internen Papier der Arbeitsgruppe Gesundheit der SPD-Fraktion wird jedoch harte Kritik an der Politik der Arzneibudgets geübt. Dies sei ein Fehler, könnte zur Rationierung von Medikamenten führen und zum Einstieg in die Zwei-Klassen-Medizin. "Die Kollektivhaftung für Budgetüberschreitung steht rechtlich auf tönernden Füßen. Es müssen nämlich auch diejenigen Ärzte für Budgetüberziehungen einstehen, die sich selbst korrekt verhalten haben", heißt es dort. Denn Haftung für rechtmäßiges Verhalten sei aber nichts anderes als Willkür. Auch politisch sei die Kollektivhaftung kontraproduktiv. Sie sei weder den Ärzten noch der Öffentlichkeit vermittelbar "und bringt mittlerweile die an sich gutwilligen Ärzte gegen uns auf", schreiben die Genossen. Die SPD sollte sich darum von dem Arzneibudget trennen: "Die Kollektivhaftung der Kassenärzte sollte aus rechtlichen und politischen Gründen rückwirkend aufgehoben werden. Die Korrektur sollte so schnell wie möglich erfolgen."

Das sieht man im Gesundheitsministerium anders: "Wir rücken nicht davon ab. Sonst können wir das Budget gleich in den Koffer packen", erklärte der zuständige Abteilungsleiter Herrmann Schulte-Sasse gegenüber der "Financial Times Deutschland". Die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Gudrun Schaich-Walch, nannte das Papier einen "perspektivischen Vorschlag". Jetzt müsse man erst einmal das Gesetz anwenden. Sofortige Regressforderungen gegen Ärzte hält sie jedoch nicht für notwendig. Denn das Gesetz erlaube einen Ausgleich der aktuellen Budgetüberschreitungen in den Jahren 2000 und 2001. Diesen Weg sollte man beschreiten, auch wenn das "ausgesprochen schwierig" ist. Langfristig müssten die Ärzte bei Verschreibungen besser geschult werden. "Eine solche Beratung müsste dann aber unabhängig von der Pharmabranche sein".

Bei der Kassenärztlichen Bundesvereinigung in Köln hält man dies für Augenwischerei. "Alle Sparpotentiale sind ausgereizt, wir sind am Ende der Fahnenstange angekommen", sagte eine Sprecherin: "Die Ärzte können nicht noch weniger verschreiben" - also auch im laufenden Jahr das Minus von 1999 nicht ausgleichen.

Kassen: Kein akuter Handlungsbedarf

Die Krankenkassen, die die Rückzahlungen einfordern müssen, sehen ebenfalls keinen akuten Handlungsbedarf. Die Überschreitung 1999 sei "relativ moderat" ausgefallen, erläuterte Werner Gertelmann, Vorstandsmitglied im Verband der Angestellten-Krankenkassen (VdAK). Von den 23 Länderbezirken haben 12 das Budget überzogen - darunter alle Stadtstaaten, ein Teil der ostdeutschen Bundesländer sowie Nordrhein und Rheinhessen. Berlin liegt mit einem Defizit von knapp 70 Millionen auf Platz vier der Negativliste. Die Haftungssumme der dort ansässigen Ärzte liegt nach VdAK-Kalkulationen in der Größenordnung von 5000 und 8000 Mark pro Arzt. Da das Gesetz aber ausdrücklich zulasse, Überschreitungen im Jahr 1999 durch die beiden Folgejahren wieder auszugleichen, schlägt nach den Worten Gertelmanns "die Stunde der Wahrheit - Regress oder nicht - erst im Jahr 2002".

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