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© Mike Wolff

Interview: "Das Bankgeheimnis wird überschätzt"

Botschafter Christian Blickenstorfer über die Steuerdatenaffäre, ungeliebte Deutsche und typische Schweizer Eigenarten.

Herr Botschafter, können Sie uns erklären, was der Schweizer Begriff „Heimlifeiss“ bedeutet?



Das ist eine Mischung aus Zurückhaltung und Verschmitztheit. Eine Person, die so bezeichnet wird, will nicht, dass das Gegenüber auf Anhieb alles sieht. Sie ist zu anderen Dingen fähig, als man auf den ersten Blick vermuten würde.

Fällt das Schweizer Bankgeheimnis unter den Begriff „Heimlifeiss“?

Nein. Denn das Bankgeheimnis ist eher ein Geheimnis wie das Berufsgeheimnis bei Ärzten oder Anwälten. Da steckt nichts Unerwartetes dahinter.

Wie wichtig ist das Bankgeheimnis für die Schweizer?

Für das Empfinden der Schweizer ist es sehr wichtig. Das zeigen nicht nur die Reaktionen im aktuellen Fall, sondern auch die Diskussionen vor einem Jahr. Damals hatte die Regierung im Rahmen der Amtshilfe für andere Länder das Bankgeheimnis etwas aufgeweicht, um auch die Verfolgung von einfacher Steuerhinterziehung möglich zu machen.

Welche Auswirkungen hat das auf den Finanzplatz Schweiz?

Das Bankgeheimnis ist für unser Land wichtig, wird aber vom Ausland überschätzt. Die Schweiz besteht nicht nur aus dem Finanzplatz. Zum Bruttoinlandsprodukt trägt der Bankensektor mit weniger als zehn Prozent bei. Die Realwirtschaft ist folglich viel bedeutender als der Bankensektor.

Ist die aktuelle Steuerdatenaffäre, in der deutschen Behörden zwei CDs mit den Namen und Daten von etwa 3500 Steuerhinterziehern zum Kauf angeboten werden, nicht das Ende des Bankgeheimnisses in der Schweiz?

Nein. Die Schweiz hat ihren internationalen Partnern angeboten, ihre über 70 Doppelbesteuerungsabkommen zu revidieren und den internationalen Standard der Zusammenarbeit in Steuerfragen gemäß Artikel 26 des OECD-Musterabkommens zu übernehmen. Inzwischen haben wir bereits 17 dieser neuen Doppelbesteuerungsabkommen unterzeichnet. Die Schweiz erfüllt damit den internationalen Standard voll und ganz und wird im konkreten Einzelfall auf Anfrage Amtshilfe leisten. Davon ist das Bankgeheimnis in der Schweiz aber nicht betroffen.

Die rund 3500 Personen, die auf den beiden CDs verzeichnet sind, werden vermutlich sehr wohl denken, dass das Bankgeheimnis in der Schweiz nicht mehr existiert. Sie müssen mit Strafverfolgung rechnen.

Für diesen Personenkreis stimmt das. In ihrem Fall ist das Bankgeheimnis durch einen Datendiebstahl verletzt worden. Die Schweizer Bundesanwaltschaft führt im Zusammenhang mit den in Deutschland zum Kauf angebotenen Daten ein gerichtspolizeiliches Ermittlungsverfahren unter anderem wegen Verdachts auf wirtschaftlichen Nachrichtendienst. Das Verfahren richtet sich gegen unbekannte Täterschaft. Im Übrigen liegt es an den Banken selber, solche Vorfälle, wann immer möglich, zu verhindern. Andererseits können aber auch die Banken mit Blick auf eine nachhaltige Geschäftspolitik kein Interesse an unversteuerten Geldern haben.

Wird ein Doppelbesteuerungsabkommen mit Deutschland, das gerade verhandelt wird, dazu führen, dass Steuerbetrug für Deutsche über die Schweiz nicht mehr möglich ist?

Im Prinzip ja. Aber das Bankgeheimnis existiert in der Schweiz weiter. Es wird also auch mit einem neuen Abkommen keine Fischzüge der deutschen Steuerbehörden in der Schweiz geben. Bei einem begründeten Verdacht gegen eine Person leistet die Schweiz dann aber Amtshilfe.

Belastet die aktuelle Debatte um den Ankauf der Steuerdaten durch deutsche Behörden die Verhandlungen um ein solches Abkommen?

Die Schweizer Regierung missbilligt die Art und Weise, wie diese Daten beschafft worden sind. Wir nehmen zur Kenntnis, dass es unterschiedliche Rechtsauffassungen gibt, wie mit den Daten umzugehen ist. Wir sagen, der deutsche Weg ist nicht akzeptabel. Aber wir sind weiterhin bereit, das Doppelbesteuerungsabkommen mit Deutschland zügig zu revidieren.

Ist diese Öffnung der Schweiz auch ein Weg in die Europäische Union?

Das Verhältnis zu Europa ist die Hauptherausforderung für die Schweiz. Unsere politische Identität und Souveränität ist uns sehr wichtig. Wir haben uns nach Ablehnung des EWR-Beitritts im Jahr 1992 auf den bilateralen Weg der Zusammenarbeit konzentriert. Dieser war auch sehr erfolgreich. Jedoch wird es immer schwieriger, mit der EU bilaterale Lösungen für die Schweiz zu finden. Preis und Aufwand, welche wir dafür aufbringen müssen, werden vermutlich immer höher.

Eine Vollmitgliedschaft in der EU hätte für die Schweiz also große Vorteile.

Der Bundesrat lässt derzeit einen Bericht erstellen, der die verschiedenen europapolitischen Optionen der Schweiz untersucht. Darin wird auch die Frage erörtert, ob die Schweiz ihre Interessen besser innerhalb oder, wie bisher, außerhalb der EU wahren kann.

Ist die direkte Demokratie in der Schweiz denn noch zeitgemäß?

Ja. Alle sechs europapolitischen Vorlagen der vergangenen Jahre, welche die Beziehungen der Schweiz zur EU verstärkten, haben bei Abstimmungen eine Mehrheit gefunden. Das beweist, dass die direkte Demokratie sehr wohl funktioniert.

In der Schweiz leben 250 000 Deutsche. Wie geht’s den Deutschen mit den Schweizern – und den Schweizern mit den Deutschen?

Mit keinem Land der Welt hat die Schweiz so enge Beziehungen wie mit Deutschland. Und beide Seiten ziehen ihren Nutzen daraus. Aber natürlich gibt es bei einem so engen Verhältnis auch Friktionen. Und man muss differenzieren. Während die Französisch sprechenden Schweizer gegenüber der Zuwanderung aus Deutschland neutral reagieren, weckt diese bei den deutschsprachigen Schweizern mehr Emotionen. Auch wenn die Notwendigkeit der Freizügigkeit der Arbeitnehmer eingesehen wird, wird die deutsche Schriftsprache von vielen als Fremdsprache empfunden. Das führt im Umgang mit den Deutschen zu gewissen Irritationen.

Erklärt das die Deutschenfeindlichkeit in Teilen der Bevölkerung?

Daran ist auch die derzeitige Wirtschaftskrise schuld. Und die Arbeitslosigkeit. Wir stehen mit 4,5 Prozent international zwar noch gut da. Aber für die Schweiz sind rund 200 000 Arbeitslose eine Menge. Viele fürchten, dass nicht die ausländischen Arbeitskräfte ihre Stelle verlieren, sondern die Schweizer. Oder nur noch die Besten eingestellt werden. Die Freizügigkeit hat ja deutlich gezeigt, dass überwiegend hoch qualifizierte Fachkräfte in die Schweiz kommen.

Was kann die Politik da tun?

Die Regierung muss sich mit diesen Ängsten auseinandersetzen, das hat die Diskussion über das Minarettverbot gezeigt. In der Schweiz leben etwa 21 Prozent Ausländer, das ist viel. In Deutschland sind es acht bis neun Prozent. Man hört, sieht und spürt das in wirtschaftlich schwierigen Zeiten eben etwas mehr. Aber den Aufschwung, den wir bis zur Krise hatten, konnten wir nur dank der Freizügigkeit erreichen. Früher fehlten in Aufschwungszeiten schnell die qualifizierten Arbeitskräfte. Das alles muss man diskutieren und ernst nehmen, da es Kreise in der Schweiz gibt, die solche Ängste ausnutzen und sogar schüren wollen – auch mit Blick auf die Parlamentswahlen 2011. Das ist gefährlich.

Gibt es denn Nachholbedarf im Diskutieren? Der Schweizer Schriftsteller Martin Suter hat einmal bemängelt, dass es in der Schweiz keine Debattenkultur gebe.

Interkulturell wird vielleicht zu wenig diskutiert. Aber ansonsten ist unser System sehr stark auf Debatte ausgelegt. Auf der kommunalen Ebene existieren ja häufig keine Parlamente. Da stellt dann die Gemeinderegierung ihre Projekte in Versammlungen vor, die anschließend diskutiert werden. Wir haben eine Diskussionskultur, wir sind sprachlich nur nicht so geschliffen wie die Deutschen.

Was unterscheidet uns?

Wir brauchen einfach etwas mehr Zeit, um einen Entscheid zu fällen, und sind zurückhaltender. Die Schweizer fühlen sich von der eher forschen Gangart der Deutschen häufig etwas überfahren. Das Verhältnis ist aber auch deshalb so sensibel geworden, weil die Schweiz seit 2007 das beliebteste Auswandererland der Deutschen ist. Ihre Zahl hat sich innerhalb von sieben Jahren verdoppelt und konzentriert sich auf bestimmte Regionen wie Zürich oder in Berufen wie dem Gesundheitswesen. Dadurch wird die Präsenz punktuell besonders sichtbar.

Häufig wird beschrieben, dass die Schweiz derzeit auf der Suche nach ihrer Identität ist. Was hält denn das Land zusammen?

Die drei Sprachgruppen haben 700 Jahre gebraucht, um zueinanderzufinden. Uns hält der Wille und die Erkenntnis zusammen, dass wir gemeinsam ganz gut gefahren sind, wir sind von beiden Weltkriegen verschont geblieben. Unser letzter Krieg war Mitte des 19. Jahrhunderts ein Bürgerkrieg im Landesinnern. Alle drei Gruppen sind, obwohl sie sich kritisieren und manchmal benachteiligt fühlen, der Meinung, dass sie insgesamt gut über die Runden gekommen sind. Auch länger zurückliegende Versuche von Frankreich oder Italien, gewisse Teile ins eigene Land zu locken, hatten nie einen Erfolg.

Und heute?

Je globalisierter die Welt wird und je größer Europa organisiert ist, desto kleiner sind wir geworden. Da haben manche das Gefühl, dass wir besser überleben, wenn wir uns abkapseln, andere, zu denen ich gehöre, glauben, dass wir uns unter Wahrung unserer Identität öffnen müssen.

Christian Blickenstorfer, 64, ist seit 2006 Schweizer Botschafter in Berlin. Im Mai dieses Jahres geht er in den Ruhestand. Sein Nachfolger wird Tim Guldimann. Das Interview führten Lutz Haverkamp und Juliane Schäuble.

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