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Das Grundgesetz schützt keine Mörder: Der Ku’damm-Raser musste wissen, was er tat
Das Verfassungsgericht hat die Beschwerde von Hamdi H. zurückgewiesen, weil sich sein Urteil in die Rechtsprechung einfügt – überraschend kam es nicht. Eine Analyse.
Stand:
Die Gewalt, mit der Hamdi H. den den 69-jährigen Michael Warshitsky zu Tode brachte, konnte am Jeep ermessen werden, in dem dieser saß. 25 Meter hatte es den Wagen durch die Luft geschleudert, als Hamdi H. ihn mit Tempo 160 traf. Erst 72 Meter vom Tatort kam das Fahrzeug zum Halt, auf der linken Seite rutschend. Die zusammengedrückte Karosserie war kürzlich ein Ausstellungsstück im Berliner Verkehrsmuseum. Es ging um H.’s Leidenschaft: Rasen.
Jetzt hat das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsbeschwerde des jungen Mannes gegen seine Verurteilung wegen Mordes zurückgewiesen (2 BvR 1404/20). Damit bleibt es für ihn bei einer lebenslangen Haftstrafe. Der zweite Beteiligte des Rennens auf dem Kurfürstendamm im Februar 2016 hatte 13 Jahre wegen versuchten Mordes bekommen.
Das abschließende Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) verletze Hamdi H. nicht in seinen verfassungsmäßig garantierten Rechten, heißt es jetzt im Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats. Die Annahme, H. habe mit Tötungsvorsatz gehandelt, missachte nicht das Bestimmtheitsgebot. Ein Verstoß gegen das Schuldprinzip sei ebenfalls nicht erkennbar.
Jedenfalls bei Tötungsdelikten besteht für die Abgrenzung zwischen bedingtem Vorsatz und bewusster Fahrlässigkeit eine solche gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung.
Bundesverfassungsgericht zum Vorwurf von Hamdi H., das Mord-Urteil sei für ihn unvorhersehbar gewesen
Der Fall beschäftigte mehrfach sowohl den BGH wie das Berliner Landgericht. Eine erste Verurteilung der beiden Raser wegen Mordes – damals das erste Mord-Urteil in einem solchen Fall – hob der BGH auf, da der Tötungsvorsatz nicht nachgewiesen sei. Nach neuen Mord-Urteilen am Landgericht ließ der BGH die Strafe gegen Hamdi H. bestehen, der zweite Todesfahrer musste nochmal vor Gericht.
Juristisch gestaltete sich der Fall schwierig. Entscheidend war die - immer wieder sensible - Abgrenzung zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit. Bei Unfallfahrern wird in aller Regel angenommen, sie hätten den Tod eines Opfers nicht beabsichtigt. Die Strafen wegen fahrlässiger Tötung im Straßenverkehr sind oft eher gering.
Anders bei Vorsatz. Hier kommt ein Totschlag oder sogar, bei Vorliegen bestimmter Umstände, ein Urteil wegen Mordes in Betracht. Der Unterschied ist erheblich, denn bei einer Verurteilung wegen Mordes ist lebenslange Haft zwingend. Beim Totschlag liegt die Mindeststrafe bei fünf Jahren.
Solche Mord-Merkmale erkannte das Landgericht: Der Raser habe „aus niedrigen Beweggründen“ und mit „Heimtücke“ gehandelt. Dass sein Tatwerkzeug ein „gemeingefährliches Mittel“ gewesen sei, verneinte der BGH aus rechtlichen Gründen. Doch damit hieß es für Hamdi H.: Lebenslang, Entlassung frühestens nach 15 Jahren.
Hamdi H. zog mit seinen Rechtsanwälten vor das Bundesverfassungsgericht. Die Karlsruher Verfassungshüter sind keine „Superrevisionsinstanz“. Trotzdem ist es nicht ausgeschlossen, dass ein Strafurteil die Grundrechte verletzt.
Mord „aus niedrigen Beweggründen“ und mit „Heimtücke“
Aus Sicht der Anwälte ist die richterliche Beweiswürdigung bei der Abgrenzung von Vorsatz und Fahrlässigkeit für den Verurteilten nicht vorhersehbar gewesen. Sie rügten deshalb einen Verstoß gegen das so genannte Bestimmtheitsgebot in Art. 103 des Grundgesetzes, der gewährleistet, dass eine Tat nur bestraft werden kann, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.
Ihrer Ansicht nach hätten die Gerichte von der objektiven Gefährlichkeit des Handelns auf den inneren Tatvorsatz geschlossen. Das sei unzulässig.
Das machte die Karlsruher Kammer nicht mit. Die Rechtsprechung zur Grenze zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit sei hinreichend differenziert, heißt es in ihrem Beschluss. Zudem könne die Gefährlichkeit der Tathandlung „als wesentlicher Indikator“ für die Beurteilung des Vorsatzes herangezogen werden.
Auch einen Verstoß gegen das Schuldprinzip vermochte die Kammer nicht zu erkennen. Dieses Rechtsprinzip besagt, dass Strafe in einem gerechten Verhältnis zur Schwere der Tat und zum Verschulden des Täters stehen muss. Die Gerichte hätte alle Details des Falls, die äußeren Umstände wie die innere, motivationale Seite, im Einzelnen gewürdigt und bewertet. Damit seien sie im verfassungsrechtlichen Rahmen geblieben. Es gehe zudem um individuelle Schuld. Abstrakte Vergleichsfälle, dass Mord-Urteile in Raser-Fällen zwangsläufig zu scharf seien – so hatten die Anwälte argumentiert – seien im konkreten Einzelfall kein Maßstab.
Nach der Todesfahrt ist damit auch der Rechtsweg von Hamdi H. beendet. Theoretisch bleibt ihm noch ein Klage vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg. Die Chancen dürften gering sein.
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