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Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) im Kreise von Soldaten.

© Imago/Joeran Steinsiek

Update

„Das kann keiner wollen“: Warum die Union Pistorius Wehrpflichtgesetz aufhält – Grüne machen Druck

Im August beschloss das Kabinett das Wehrpflichtgesetz von Verteidigungsminister Pistorius. Doch nun hält die Union die Beratung im Bundestag auf.

Stand:

Die Grünen fordern die schwarz-rote Koalition auf, das vom Kabinett abgesegnete Gesetz zur Wehrpflicht nun rasch im Bundestag zu verabschieden.

Sara Nanni, Sprecherin der Grünen im Verteidigungsausschuss des Bundestags, drängt die Regierungsfraktionen, ihre wechselseitige Blockade zu beenden. „Dass diese Koalition glaubt, wir hätten noch Zeit für so ein Theater, überrascht mich“, sagte Nanni dem Tagesspiegel.

Die Besoldung für Grundwehrdienstleistende „muss rasch hoch, damit sich mehr Menschen verpflichten und gegebenenfalls auch länger als ein Jahr in der Truppe bleiben“, sagte sie.

Wenn es jetzt stockt in der Koalition, dann wird das sicher zu deutlich weniger Interessent:innen am Wehrdienst führen. Das kann keiner wollen!

Sara Nanni, Sprecherin der Grünen im Verteidigungsausschuss

Das habe der vorliegende Gesetzentwurf vorgesehen, „und das fanden wir gut“, sagte Nanni: „Bei aller berechtigten Kritik und den offenen Fragen von links und rechts: Wenn es jetzt stockt in der Koalition, dann wird das sicher zu deutlich weniger Interessent:innen führen. Das kann keiner wollen!“

Eigentlich wollte die schwarz-rote Koalition das Gesetz in der kommenden Sitzungswoche des Bundestags beraten, berichtet die „Bild“-Zeitung. Doch dann habe die Unionsfraktion „die Notbremse gezogen“ und das Wehrdienstgesetz von der Tagesordnung gekippt.

„Wir haben es geschoben, weil der Gesetzentwurf angesichts der aktuellen Bedrohungslage (Drohnenflüge) noch nicht weit genug geht. Es darf bei der Wehrpflicht jetzt keine halb garen Lösungen geben“, heißt es der „Bild“ zufolge in der Union. Die SPD schäume intern vor Wut, versuche aber, nach außen die Fassung zu wahren.

„Die Diskussion zum Aufwuchs der Bundeswehr und der Reserve muss bereits jetzt umfassend geführt werden“, sagte Thomas Erndl, verteidigungspolitischer Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion, dem Tagesspiegel: „Wir können das nicht einfach aufschieben.“ Es sei „im Interesse der Sicherheit unseres Landes und natürlich auch der Koalition, dass wir schnell zu einer gemeinsamen Linie kommen“.

Spahn verweist auf möglichen Angriff Putins

In der Debatte über den geplanten Wehrdienst sprach sich derweil nach Außenminister Johann Wadephul auch Unionsfraktionschef Jens Spahn (beide CDU) für die sofortige Einführung einer Wehrpflicht aus. „Wir müssen als Gesellschaft unser Bewusstsein an die Lage anpassen. Wir sind nicht im Krieg, aber auch nicht mehr im Frieden“, sagte er den Zeitungen der Mediengruppe Bayern.

Um die Freiheit zu verteidigen, müsse man glaubhaft verteidigungsfähig sein, fügte Spahn hinzu. Dazu müsse so rasch wie möglich eine funktionierende Drohnenabwehr aufgebaut werden.

Zur Forderung des Außenministers nach sofortiger Wiedereinführung der Wehrpflicht sagte Spahn: „Wenn die These des Verteidigungsministers stimmt, dass Putin 2029 Nato-Gebiet angreifen könnte, dann kann die gemeinsame Schlussfolgerung nur sein, dass wir beim Wehrdienst deutlich ambitionierter sein müssen. Also: Ja, da hat Jo Wadephul recht.“

Die Wehrpflicht war in Deutschland 2011 ausgesetzt worden, was in der Praxis einer Abschaffung von Wehr- und Zivildienst gleichkam. Anstelle des Zivildienstes wurde der Bundesfreiwilligendienst eingeführt. Im Sommer brachte das Bundeskabinett einen Gesetzentwurf zur Einführung eines neuen Wehrdienstes auf den Weg. Der Entwurf führt eine Wehrerfassung junger Männer ein, setzt aber zunächst auf Freiwilligkeit und einen attraktiveren Dienst. Als Grund wird eine neue Bedrohungslage in Europa genannt.

Bereits im März hatten drei ehemalige Wehrbeauftragte des Bundestages Union und SPD dazu aufgerufen, in ihrem Koalitionsvertrag die Wiedereinführung der Wehrpflicht zu verankern.

„Die Zeit der Friedensdividende mit einer reinen Freiwilligenarmee ist unwiderruflich vorbei“, sagte der frühere Wehrbeauftragte Hans-Peter Bartels (SPD) dem Tagesspiegel. „Ohne das Wiederaufleben der Wehrpflicht in angepasster Form wird die Bundeswehr nicht größer, kampfkräftiger und einsatzbereiter.“

Ich befürworte die Wiederaufnahme der Wehrpflicht, weil sie entscheidend zur Verteidigungsfähigkeit unseres Landes beitragen würde.

Claire Marienfeld-Czesla (CDU), die frühere Wehrbeauftragte

In der Legislaturperiode der schwarz-roten Koalition müsse die Truppe von 180.000 auf etwa 250.000 aktive Soldaten aufwachsen, sagte Bartels: „Zu Zeiten des Kalten Krieges vor 1990 waren es übrigens 500.000.“

Mehr Geld für mehr Waffen allein mache Deutschland noch nicht „kriegstüchtig“. Zum Kern der konventionellen Abschreckung in Europa sagte Bartels: „Wir brauchen auch mehr Soldaten – und eine substanzielle Reserve dazu!“

„Ich bin der Meinung, dass die künftige Regierung die Wiederaufnahme der Wehrpflicht in den Koalitionsvertrag aufnehmen sollte“, sagte die frühere Wehrbeauftragte Claire Marienfeld-Czesla (CDU) dem Tagesspiegel. „Ich befürworte die Wiederaufnahme der Wehrpflicht, weil sie entscheidend zur Verteidigungsfähigkeit unseres Landes beitragen würde.“

Der Ex-Wehrbeauftragte Reinhold Robbe (SPD) sagte dem Tagesspiegel: „Ich bin für die Wiedereinführung der Wehrpflicht. Die sicherheitspolitische Lage hat sich zu 2011, als die Wehrpflicht ausgesetzt wurde, fundamental verändert. Allerdings muss sich die neue Wehrpflicht auch auf die Frauen ausdehnen.“

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