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„Das kleinere Übel“: AfD-Abgeordneter will Scholz Vertrauen aussprechen
Besser Scholz als Merz: Am 16. Dezember will der AfD-Abgeordnete Jürgen Pohl bei der Vertrauensfrage für den Kanzler stimmen. Die AfD-Parteispitze ist dagegen.
Stand:
Der AfD-Abgeordnete Jürgen Pohl will einem Bericht zufolge bei der geplanten Vertrauensfrage im Bundestag Mitte Dezember für Kanzler Olaf Scholz (SPD) stimmen.
„Klar und offiziell möchte ich mitteilen, dass ich Herrn Merz unter keinen Umständen in verantwortungsvoller Position sehen möchte. (…) Ich muss und ich werde somit in der Vertrauensabstimmung für oder gegen Scholz, für Scholz, als das kleinere Übel stimmen“, zitierte das Nachrichtenmagazin „Politico“ aus einer ihm vorliegenden internen Telegram-Nachricht Pohls. Der habe dem Magazin seine Entscheidung bestätigt, hieß es weiter.
Am 16. Dezember soll der Bundestag über die Vertrauensfrage abstimmen. Der Kanzler stellt sie in der Erwartung, dass er keine Mehrheit bekommt, das Parlament ihm also nicht das Vertrauen ausspricht. Anschließend könnte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier den Bundestag auflösen und den Weg zur Neuwahl freimachen. Diese ist für den 23. Februar vorgesehen.
Erwartet wird bislang, dass die Fraktionen von SPD und Grünen für Scholz stimmen. Sollte die AfD ihm aber ebenfalls das Vertrauen aussprechen, ergäbe das eine Mehrheit für den Kanzler – gegen dessen Willen.
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In der SPD gibt es daher bereits Stimmen, sich auf ein solches Szenario vorzubereiten und sich bei der Abstimmung eventuell zu enthalten.
Ob sich Pohl weitere AfD-Abgeordnete anschließen, ist laut „Politico“ ungewiss. Die Parteispitze jedenfalls ist dagegen. Der Sprecher von AfD-Chefin Alice Weidel, Daniel Tapp, sagte dem Magazin: „Die Fraktionsspitze fordert seit Monaten Neuwahlen und wird auch entsprechend empfehlen, dem Bundeskanzler das Vertrauen nicht auszusprechen.“
Dennoch geistert durchs politische Berlin seit dem Bruch der Ampel-Koalition Anfang des Monats die Hypothese, dass die AfD bei der Vertrauensfrage am 16. Dezember jene Stimmen ersetzen könnten, die der rot-grünen Minderheitsregierung seit dem Ausscheiden der Liberalen aus der Ampel fehlen. Für Scholz werden bei der Vertrauensfrage erwartungsgemäß auch die eigenen Leute stimmen. Zusammen mit den Grünen käme der Kanzler, sollten beide Fraktionen geschlossen wählen, also auf 324 Stimmen. Bis zur Mehrheit fehlten 43 Stimmen. Die AfD verfügt über 76 Stimmen. Theoretisch wäre es also möglich, den Plan der übrigen Fraktionen zu torpedieren.

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Zwar will die AfD keinen Kanzler Scholz. Aber wie seinerzeit im September bei der Wahl eines Landtagspräsidenten in Thüringen würde die Partei Chaos ins politische System bringen. Eine These lautet, dass Neuwahlen nur möglich wären, wenn sich Unionschef Friedrich Merz im Zuge eines konstruktiven Misstrauensvotums mit Stimmen von AfD und gegebenenfalls BSW wählen ließe.
Konkret hieße das: AfD, CDU und gegebenenfalls weitere Abgeordnete wählen Merz mit einer Mehrheit zum Kanzler. Im nächsten Schritt könnte diese Mehrheit Merz absichtlich das Misstrauen aussprechen, um wiederum Neuwahlen zu ermöglichen. Die AfD, so heißt es in den komplexen Gedankenspielen, könnte so die Brandmauer der Union zum Einsturz bringen.
Merz selbst hatte das allerdings bereits mehrfach ausgeschlossen. Er würde sich nicht mit Stimmen der AfD wählen lassen, sagte er etwa bei Maybrit Illner. Die Union hat seit langem eine Zusammenarbeit mit der AfD ausgeschlossen. Bei der Generaldebatte am Mittwoch der vergangenen Woche bekräftigte Merz, er werde auf keinen Fall mit der Partei kooperieren.
Auch rein rechnerisch wäre das Szenario unwahrscheinlich. Dies zeigt ein Überblick über die Kräfteverhältnisse: Für einen neuen Kanzler müsste die Mehrheit der Abgeordneten stimmen. Bei 733 Mitgliedern wären das 367 Abgeordnete. Auch eine bewusste Abwesenheit der AfD-Abgeordneten würde daran rechnerisch nichts ändern. Denn laut Grundgesetz gilt hier die Mehrheit der Mitglieder des Bundestages, nicht die Mehrheit der Anwesenden .(mit dpa)
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