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Fünf Jahre alt ist Carl jetzt. Seine Mutter Dagmar Schmidt wünscht sich, dass die Gesellschaft jedes Kind willkommen heißt, ob behindert oder nicht.

© Privat

Debatte über Trisomie-Tests: "Ich habe es nie bereut"

Die SPD-Abgeordnete Dagmar Schmidt hat einen Sohn mit Downsyndrom. Im Interview sagt sie, was sie von Bluttests hält, die die Kasse zahlt.

Von Hans Monath

Frau Schmidt, Ihr fünfjähriger Sohn Carl hat das Downsyndrom. Am Donnerstag debattiert der Bundestag darüber, ob ein Trisomie-21-Bluttest Kassenleistung werden soll. Was sagen Sie?

Wir dürfen das Thema nicht nur auf die Frage verkürzen, ob der Bluttest Kassenleistung werden soll. Es sollte nicht nur um gentechnische Fragen gehen. Für mich ist es wichtig, dass wir vor allem über den Rahmen und die Grenzen debattieren, in dem eine solche Kassenleistung entweder empfohlen oder auch nicht empfohlen wird. Es geht auch um Zugang zu Informationen und um Beratung. Dabei stellen sich wichtige Fragen, die bisher nicht beantwortet werden: Wie sieht ein Leben mit Downsyndrom aus? Wie leben Familien, zu denen ein Kind mit Downsyndrom gehört? Darüber sollten wir reden.

Was ist Ihre Meinung konkret zur Frage, ob die Kasse den Test zahlen soll?

Ich mache meine Haltung davon abhängig, welchen Rahmen wir gleichzeitig diskutieren. Die Frage, nach welchen gentechnischen Kriterien ein bezahlter Test suchen soll, kann ich nicht losgelöst von einer gesellschaftlichen Debatte führen.

Meinen Sie eine ethische oder psychosoziale Beratung für Versicherte, die die Leistung Bluttest in Anspruch nehmen?

Nicht nur. Es geht auch um die Ausbildung von Ärztinnen und Ärzten. Der Zugang zu Beratung über eine medizinische und genetische hinaus muss einfach sein. Es geht darum, ein Recht auf Nichtwissen zu verankern. Es darf kein Druck auf werdende Eltern aufgebaut werden, sich einem Test zu unterziehen. Im Gegenteil: Wir müssen ein Recht auf Nichtwissen verankern und dieser Entscheidung mit Achtung begegnen. Es muss möglich sein, ein Kind zu wollen, ohne sich solchen Test zu unterziehen. Wir haben uns vor der Geburt unseres Sohnes damals so entschieden. Wir wussten nicht, dass er das Downsyndrom hat. Und ich habe diese Entscheidung nie bereut.

Gegenwärtig treiben 90 Prozent der Eltern, die ein positives Trisomie-21-Ergebnis erhalten, das Kind ab. Befürchten Sie, dass sich noch mehr Eltern so entscheiden, wenn der Bluttest Kassenleistung wird?

Das können wir beeinflussen. Wenn Ärzte selbst wenig über das Downsyndrom wissen oder Angst davor haben, verklagt zu werden, werden sie Mütter oder Eltern auch nicht ermutigen, ein solches Kind großzuziehen. Aus meinem Bekanntenkreis höre ich immer wieder, dass Ärzte raten, wenn der Trisomie-21-Test positiv ausfalle, könne man ja abtreiben. Wenn das so bleibt, werden mit Kassentest sicher noch mehr Kinder abgetrieben als heute.

Wie lässt sich das verhindern?

Das lässt sich verhindern, indem die Gesellschaft eine Willkommenskultur gegenüber allen Kindern pflegt und sich genauso über Kinder mit Downsyndrom oder anderen Besonderheiten freut.

Wie weit ist die Gesellschaft da schon gekommen?

Wir haben große Fortschritte gemacht. Vieles hat sich zum Guten verändert. Aber wir sind noch lange keine wirklich inklusive Gesellschaft, wo Kinder mit Behinderung und ihre Familien in dem Ausmaß unterstützt werden, wie das wirklich nötig wäre. Das Downsyndrom ist vergleichsweise keine sehr starke Behinderung. Die meisten Behinderungen entstehen nach der Geburt, lassen sich nicht durch einen Gentest feststellen. Es gibt also keine Garantie darauf, dass ich ein gesundes Kind bekomme, wenn ich nur alle Tests mache. Wir brauchen mehr Hilfe für Kinder und Familien, die vor besonderen Herausforderungen stehen.

Sie bringen Ihr Kind auch in den Bundestag mit. Gibt es da andere Erfahrungen als im Alltag?

Nein. Meine Erfahrung ist: Mein Sohn Carl ist bislang überall sehr positiv aufgenommen worden.

Wie vereinbaren Sie Ihr Engagement als Abgeordnete mit der Rolle als Mutter eines Kindes mit Downsyndrom?

Würden Sie das den Vater auch fragen?

Wenn er als Abgeordneter hier säße: ja.

Alle Kinder brauchen viel Zuwendung und Liebe – ob mit oder ohne Behinderung. Die zusätzliche Unterstützung wie zum Beispiel Logopädie brauchen andere Kinder auch. Wir haben wie viele andere, die Beruf und Familie miteinander vereinbaren, ein tolles Netzwerk um uns herum.

Was halten Sie vom Argument, Menschen sollten unabhängig vom Geldbeutel über ihr ungeborenes Kind entscheiden dürfen?

Es gibt viele Menschen, für die die 140 Euro viel Geld sind, die der Test heute kostet. Eine Zwei-Klassen-Medizin lehne ich ab. Wir stehen nun vor der Frage des medizinischen Nutzens: Was soll die Gesellschaft bezahlen? Das Downsyndrom kann man nicht heilen. Es gibt also keinen medizinischen Nutzen des Tests für das Kind. Auch die Mutter wird dadurch gesundheitlich nicht beeinträchtigt. Unabhängig davon ist die psychische Belastung – und die hängt viel vom Umfeld ab. Ich frage mich: Wo sind die Grenzen eines Tests? Bei Neigung zu Diabetes, zu Adipositas, zu Krebs? In ein paar Jahren wird es noch mehr Tests geben. Haben die Eltern dann einen Zettel mit Dutzenden Anomalien, auf dem sie ankreuzen müssen, was getestet werden soll?

Das heißt, Ihre Horrorvorstellung ist eine im Hinblick auf Gene optimierte Gesellschaft, die jede Anomalie ausmerzen will?

Genau. Diese Gesellschaft würde die Illusion verkaufen, dass jeder ein gesundes Kind bekommen kann. Eine solche Garantie gibt es aber nicht. Deshalb wünsche ich mir eine Debatte darüber, wie die Gesellschaft mit Menschen mit Behinderung umgeht oder mit Menschen, die nicht mehr so leistungsfähig sind. Wollen wir alles, was technisch möglich ist, wirklich wissen?

Die FDP warb für die Kassenleistung Bluttest mit einem Foto, auf dem eine Mutter mit Downsyndrom-Kind zu sehen war. Hat Sie das verletzt?

Ich fand das geschmacklos und vor allem verletzend für Menschen mit Downsyndrom. Aber das hat die FDP inzwischen wohl selbst eingesehen.

Hinweis: In einer früheren Version des Textes fehlte der Hinweis auf das Kind in der letzten Frage. Wir haben das korrigiert.

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