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Offene Kritik oder feine Diplomatie?: Der Besuch von Netanjahu bringt Scholz ins Dilemma
Der Chef von Israels rechtsnationaler Regierung ist zu Besuch in Berlin. Muss Kanzler Olaf Scholz Benjamin Netanjahu schonen – oder dessen Attacken auf die Demokratie anprangern?
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Es wird ganz sicher kein Staatsbesuch wie Dutzende andere, sondern ein Test für das diplomatische Geschick des deutschen Bundeskanzlers: Wenn Olaf Scholz am Donnerstag nach einem Mittagessen mit Israels Premierminister Benjamin Netanjahu mit dem Gast vor die Presse tritt, muss er verschiedene, teils widersprüchliche Erwartungen erfüllen.
Denn gegen den Besuch Netanjahus in Berlin und anschließend in London hatten im Vorfeld rund 1000 israelische Künstler und Intellektuelle protestiert. Ihre Befürchtung: Netanjahu will die Empfänge nutzen, um seiner in der Kritik stehenden Regierung, die auch rechtsextreme und nationalreligiöse Parteien umfasst, internationale Legitimität zu verschaffen.
Israel befinde sich in der schwersten Krise seiner Geschichte und „auf dem Weg von einer lebendigen Demokratie zu einer theokratischen Diktatur“, erklärten sie. Tatsächlich will das neue Kabinett die Befugnisse des Obersten Gerichts in Israel abschaffen und in großem Stil palästinensisches Land okkupieren.
Auch im Neuen Israel Fonds (NIF) zusammengeschlossene Israel-Kenner aus Deutschland, darunter Susan Neiman, Meron Mendel und Micha Brumlik, protestierten gegen den Besuch. Sie forderten aber keine Absage, sondern klare Worte des Kanzlers.
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Da ist andererseits die besondere historische Verantwortung Deutschlands für den jüdischen Staat, die Kanzlerin Angela Merkel einst vor der Knesset, Israels Parlament, auf die Formel brachte, die Existenz Israels sei Teil deutscher Staatsräson.
Wie heikel dieses Terrain ist, erfuhr Scholz im August vergangenen Jahres, als er zunächst dazu schwieg, dass Palästinenserpräsident Mahmud Abbas am Ende einer gemeinsamen Pressekonferenz das Vorgehen Israels gegen sein Volk mit dem Holocaust verglich. Erst nach dem Auftritt distanzierte sich Scholz, aber da war der Schaden schon angerichtet.

© Imago/Zuma Wire/Matan Golan
An Schlagzeilen wie „Scholz erteilt Netanjahu eine Lektion in Demokratie“ dürfte der deutsche Regierungschef jedenfalls kein Interesse haben – und deshalb auf allzu belehrende Töne verzichten. Scholz gilt aber nicht als eloquenter Rhetoriker. Was also kann, was muss er sagen in dieser Situation?
Die frühere Staatsministerin im Auswärtigen Amt, Kerstin Müller (Grüne), plädierte dafür, intern deutliche Worte zu finden. Netanjahu öffentlich an den Pranger zu stellen, sei aber „eher kontraproduktiv“, warnt Müller, die nun für die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) zu Israel forscht.
„Der Kanzler sollte die geplante sogenannte Justizreform im Gespräch deutlich ansprechen und vorschlagen, dass es wichtig wäre, im Wege eines innergesellschaftlichen Dialoges einen Kompromiss zu suchen“, rät Müller. Sie verweist auf Israels Präsident Yitzhak Herzog, der die eigene Regierung aufgefordert hatte, nach einer „Formel des Ausgleichs und der Hoffnung“ zu suchen.
Durch öffentliche Kritik dagegen könnte Netanjahu „sich vorgeführt“ fühlen. Ein Zeichen an die Regierungsgegner in Israel ist, meint Müller, trotzdem notwendig: „Scholz sollte der Demokratiebewegung öffentlich signalisieren, dass er ihren Einsatz für die israelische Demokratie sehr wichtig findet.“
Es wäre ein Fehler, wenn der Kanzler die Fehlentwicklungen nicht auch öffentlich thematisieren würde.
Shimon Stein, früher Botschafter Israels in Deutschland
Dagegen hält der frühere israelische Botschafter in Deutschland, Shimon Stein, Zurückhaltung für die falsche Botschaft. „Der Staat Israel befindet sich in seiner ernstesten Krise seit seiner Gründung. Olaf Scholz darf sich in dieser Situation nicht hinter der besonderen historischen Beziehung Deutschlands zu Israel verstecken“, meint der Ex-Diplomat: „Es wäre ein Fehler, wenn der Kanzler die Fehlentwicklungen nicht auch öffentlich thematisieren würde.“
Stein verweist darauf, dass Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) kürzlich beim Besuch ihres Amtskollegen Eli Cohen öffentlich Kritik geübt hatte und auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier beim Besuch in Israel die sogenannte Justizreform als besorgniserregend bezeichnet hatte.
Wenn die Mehrzahl der EU-Länder und die USA ihre Bedenken öffentlich zum Ausdruck brächten, werde das auch politische Wirkung entfalten, glaubt Stein. Seine Forderung: „Netanjahu muss aus Berlin das klare Signal mitnehmen, dass Ziele seiner Regierung im Ausland sehr genau wahrgenommen werden.“
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