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Bundeskanzler Olaf Scholz stellte sich den kritischen Fragen der Bürger.

© dpa/Kay Nietfeld

Der Kanzler im Tagesspiegel-Gespräch mit Bürgern: „Welches Patentrezept haben Sie? Ich frage für einen Freund“

Bundeskanzler Scholz hat sich den Fragen von Tagesspiegel-Leserinnen und Lesern gestellt. Es ging um die ernsten Themen der Stunde, wie den Umgang mit den Wahlergebnissen in Sachsen und Thüringen. Aber er verriet auch, was er peinlich findet.

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Von Currywürsten und dem TikTok-Auftritt der Kanzler-Aktentasche war die Rede, als Olaf Scholz sich am Mittwochabend in Berlin den Fragen interessierter Tagesspiegel-Leserinnen und -Leser stellte. Aber auch von den großen, ernsten Themen der Stunde.

Bürgergeld, Migration, Wohnungsnot. Probleme bei der Gesundheitsversorgung, Tempolimit, Schuldenbremse: Beim „Kanzlergespräch“ in der ufa-Fabrik hatten ausgeloste Bürgerinnen und Bürger die Chance, dem Bundeskanzler einmal höchst persönlich genau die Frage zu stellen, die ihnen besonders am Herzen liegt.

Und der SPD-Kanzler nutzte die Gelegenheit, um hier und da eine Gegenfrage zu stellen. Zum Beispiel als ein Erzieher schilderte, der Streit in der Koalition erinnere ihn an die Kinder, die er zu beaufsichtigen habe. Ob das nicht besser gehe. „Welches Patentrezept haben Sie? Ich frage für einen Freund“, erwiderte Scholz.

05.09.2024

Vor allem aber gab er ernsthafte Antworten. Zum Beispiel, als ein Herr berichtete, er kenne viele Familien, die nach Ankunft des zweiten Kindes dringend eine größere Wohnung bräuchten. Doch es gebe keine, „und sie müssen noch zugucken, wie die Wohnungen an Ukrainer gehen“.

Entscheidend sei, genügend Wohnungen zu bauen

Der Kanzler bezog klar Position: „Die großen Herausforderungen auf dem Wohnungsmarkt haben nichts zu tun mit den Zuwanderungsbewegungen für Flüchtlinge“, sagte er. Auch wenn es stimme, dass die Lage durch diese Zuwanderungsbewegungen schwieriger werde. Entscheidend sei, genügend neue Wohnungen zu bauen. Städte wie Singapur oder Seoul seien viel dichter besiedelt als Berlin oder Hamburg, da müsse noch etwas gehen.

Deutschland sei der größte Unterstützer der Ukraine in Europa, der zweitgrößte in der Welt, sagte er an anderer Stelle. Das Problem der deutschen Debatte sei, dass das manchen gar nicht aufgefallen sei.
Das Recht auf Asyl gelte, und Deutschland brauche auch darüber hinaus Zuwanderung, fleißige Menschen, die mit anpacken. Aber für Letzteres gelte: „Wir dürfen uns aussuchen, wer kommt.“

An der Demokratie ist wichtig und wertvoll, dass wir als Menschen selbst über uns bestimmen.

Olaf Scholz, Bundeskanzler (SPD)

Andere Menschen trieben ganz andere Themen um. Sie habe Freunde, die in der Letzten Generation aktiv seien, sagte eine Frau. Die seien verzweifelt, keine Form des Engagements zeige Wirkung. Was der Kanzler ihnen zu raten habe.

Zunächst einmal rate er sich selbst und allen zu Demut, sagte Scholz. Auch er habe als Siebzehnjähriger „großartige Gedanken“ gehabt, wie alle Probleme der Welt zu lösen seien. Es sei damals frustrierend gewesen, dass nicht innerhalb eines Monats alle Welt seine tollen Ideen aufgegriffen habe. Aber so sei es in einer Demokratie: mühsam, andere Menschen von den eigenen Ideen zu überzeugen. Er glaube nun einmal nicht daran, dass die Welt untergehen werde. Deutschland könne die richtigen Technologien entwickeln.

„Gegenhalten, widersprechen“

Und überhaupt, die Demokratie. Was an der das Wertvolle sei, wurde Scholz gefragt. Und gab eine emotionale Antwort: „An der Demokratie ist wichtig und wertvoll, dass wir als Menschen selbst über uns bestimmen. Dass ich mich nicht fürchten muss und ohne Furcht leben kann. Dass die Mehrheit nicht beschließen kann: Die Minderheit wird jetzt verfolgt.“

Dabei sei jeder einzelne gefragt, sagte er an anderer Stelle, als es um die Wahlergebnisse aus Thüringen und Sachsen ging, um den Erfolg der AfD. „Gegenhalten, widersprechen.“ Bedrückend fände er die Wahlergebnisse, in Zeiten der Unsicherheit würden stets „Sumpfblüten“ gedeihen. Die Bürgerinnen und Bürger dürften das alles nicht als Sache betrachten, die nur im Fernsehen stattfindet.

Olaf Scholz gab auch der Tagesspiegel-Chefredaktion ein Interview.

© Bundesregierung/Marvin Ibo Güngör

Wie schön es doch wäre, zwanzig Jahre in die Zukunft schauen zu können, um von dort aus zu beurteilen, ob jetzt gerade die richtigen Entscheidungen getroffen würden, sagte der Kanzler. „Dann wäre alles viel entspannter.“ Doch das gehe nun einmal nicht. Robotik, Künstliche Intelligenz, Quantencomputer. Da würden viele sich fragen: Wo bleibe ich? Die Menschen hätten Sorgen.

Deutschland hat in Sachen Zukunft aufzuholen

Und der Kanzler zeigte auch, dass ihm klar ist, dass Deutschland in Sachen Zukunft aufzuholen hat. Etwa beim Thema der Kinder aus der Ukraine, die hierher fliehen mussten. „Ist ja schon ein bisschen peinlich: Die ukrainischen Kinder können teilweise beschult werden aus der Ukraine, mit dem digitalen Unterricht. Ja, und wir?“

Ja, wo sind wir? Wohl in einem Land, in dem eben nicht alles schnell und einfach zu regeln ist. Der Kanzler gab auch Einblicke, wie es manchmal so läuft in der Regierungswerkstatt.

„Die Lobbyisten sind auch ganz fleißig“, sagte er zur Frage, warum es immer noch nichts geworden ist mit dem geplanten Werbeverbot für ungesunde Kinderlebensmittel. Zum Thema Tempolimit habe er schon so oft verhandelt, bisher aber keine Gesetzgebungsmehrheit im Deutschen Bundestag auftreiben können. Mit Bürgerräten zu experimentieren, hält der Kanzler für sinnvoll. „Da findet was statt: sich aufeinander einlassen, dem anderen zuhören. Das sollten wir öfter mal ausprobieren.“ Und in Sachen Demokratiefördergesetz – noch so ein Ampel-Projekt, das in der Pipeline steckt – gab er die Devise aus: „Es kommt jetzt nicht auf jedes Komma an, Hauptsache, wir sind erstmal durch.“

Das war dann auch der Abend in der ufa-Fabrik, wenn auch viel zu früh. Viele Menschen hätten noch Fragen gehabt. Doch in so einem Kanzler-Kalender ist wenig Luft. Zeit für Fotos mit den Bürgerinnen und Bürgern sollte schließlich auch noch bleiben, für alle, die einen Schnappschuss fürs private Album mitnehmen wollten. Noch so ein Angebot, das die Menschen gerne annahmen.

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