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In Polen kämpft die belarussische Opposition weiter gegen Staatschef Lukaschenko.

© Imago/ Michal Fludra/NurPhoto

Lukaschenko-Gegner im Exil: Der lange Arm des KGB reicht über Belarus hinaus

Viele Oppositionelle aus Belarus sind nach Polen und Litauen geflohen. Selbst dort müssen sie den KGB fürchten. Trotzdem kämpfen sie weiter gegen Lukaschenko.

Eine Villa steht im Warschauer Diplomatenviertel Saska Kepa. Quer über die Fassade gespannt wacht ein Ritter auf seinem Ross vor weiß-rot-weißem Grund. Es ist die „Pahonja“, das historische und von Alexander Lukaschenko verbotene Wappen Belarus’.

Im Obergeschoss sitzt ein halbes Dutzend Belarussen an Laptops – sie organisieren hier, aus dem Exil, den Widerstand gegen Machthaber Lukaschenko. Die Villa soll zum wichtigen Stützpunkt werden. Polens Regierung hat den Bau im Zuge der Massenproteste im vergangenen Sommer der Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja für mindestens zehn Jahre zugesprochen.

Sicherer Zufluchtsort

Das „Belarussische Haus“ soll der Opposition zugleich einen sicheren Zufluchtsort bieten. Doch belarussische Aktivisten in Polen berichten seit Monaten davon, sie hätten das Gefühl beschattet zu werden. Pawel Latuschko, Lukaschenkos in die Opposition gewechselter Kulturminister, äußerte sich entsprechend.

Warschau bietet bekannten Exilanten Personenschutz, doch die Hände KGB reichen weit, vor allem in Zusammenarbeit mit ihren russischen Kollegen. Dies hat der Fall Roman Protassewitsch gerade wieder vor Augen geführt. Es sei eine Warnung des Regimes an alle Exil-Politiker und -Aktivisten, sagt Tichanowskajas Berater Franak Wjatschorka. „Der KGB ist in Vilnius, in Warschau und in Kiew“, warnt er.

[Mehr zum Thema: Angstgegner des Präsidenten – Wer ist der Mann, für den Lukaschenko ein Flugzeug kapern ließ? (T+)].

Kampf gegen Repressionen

Aus dem „Belarussischen Haus“ heraus kämpfen die Aktivisten an zwei Fronten gegen die Folgen der zunehmenden Repression in ihrer Heimat. Sie helfen Flüchtlingen sowie Familien von politischen Häftlingen. „Wir müssen den Familien dieser Gefangenen helfen, sonst machen sie den eingesperrten Ehemännern und -frauen Vorwürfe, dass sie die Opposition unterstützt haben“, erklärt Ales Zarembiuk, der Vorsitzende des Vereins „Belarussisches Haus“.

Geld dafür nach Belarus zu schaffen, ist allerdings ein schwieriges Unterfangen. Einfacher ist es mit der Flüchtlingshilfe in Polen. Immer mehr Belarussen treffen in allen Nachbarländern ein – außer in Russland. Niemand kennt die genauen Zahlen. In Minsk sprechen unabhängige Beobachter von 20.000 Flüchtlingen in Polen, 7000 in Litauen und je ein paar Tausend in Lettland und der Ukraine seit vergangenem August.

Die polnische Ausländerbehörde verzeichnete 2020 insgesamt 407 Asyl-Anträge – eine Zunahme von 1000 Prozent.

Koordinationsrat über drei Länder verstreut

Früh zur Ausreise ins Ausland gezwungen oder auch Hals über Kopf geflohen waren die Mitglieder des Präsidiums des „Koordinationsrats“ von Tichanowskaja.

Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja kündigt neue Proteste an.

© Mindaugas Kulbis/dpa

Die politische Führung der Opposition hat in drei Ländern Zuflucht gefunden. In Litauens Hauptstadt Vilnius sitzt Tichanowskaja mit ihren Beratern. Im lettischen Riga hat sich Walery Zepkalo, ehemaliger Präsidentschaftskandidat und Gründer des Minsker IT-Parks, niedergelassen. Warschau ist die neue Heimat von Ex-Kulturminister Latuschko, dem einzigen früheren hohen Vertreter des Regimes im Koordinationsrat.

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Aus der polnischen Hauptstadt, teils direkt aus dem „Belarussischen Haus“, sendet der von Stepan Putilo gegründete Telegramm-Kanal „Nexta“, der 2020 die Proteste koordinierte.

Bis zu einem Streit im Herbst war Protassewitsch Chefredakteur der Plattform, dann gründete er seinen eigenen Telegram-Kanal „Belamova“ und zog nach Vilnius.

Latuschko bearbeitet derweil Lukaschenkos Zirkel. Im Staatsapparat soll es Tausende von illoyalen Duckmäusern geben, heißt es aus der Diaspora, die darauf warteten abzuspringen oder gar geheime Verhandlungen mit Tichanowskaja aufzunehmen. Für diese Stunde Null will Zerembiuk im „Belarussischen Haus“ neue Kader ausbilden.

Neue Proteste erwartet

Drei Tage nach der erzwungenen Landung des Ryanair-Fluges in Minsk und Protassewitschs Festnahme haben Oppositionsführerin Tichanowskaja und ihr Koordinationsrat neue Proteste in Belarus angekündigt. „Dieser Terror muss enden“, erklärte sie in Vilnius.

Der Warschauer Aktivist Wiktor Navumau rechnet damit, dass im kommenden Sommer ohnehin große Sozialproteste in Belarus ausbrechen werden. Der ehemalige politische Gefangene kümmert sich heute in Polen um ankommende Flüchtlinge. Schätzungen, dass bis zu zwei Millionen Belarussen ihre Heimat verlassen könnten, hält Navumau für realistisch – das sind knapp 22 Prozent der Bevölkerung.

Seine düstere Prognose: „Die Besten reisen aus, die Wirtschaft wird zusammenbrechen – und diese Proteste werden nicht mehr friedlich sein.“

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