
© Fotos: Freepik (2); Gestaltung:Tagesspiegel/Seuffert
Der Osten – Chance für Ideen und Macher: Schaffen wir die deutsche Teilung ab!
Die Lage in Ostdeutschland zeigt die gesamtgesellschaftlichen Spannungen auf. Da bietet der Prozess der Einheit Chancen, viele. Der Tagesspiegel widmet ihnen eine große Konferenz.
Stand:
Früher, im Westen, gab es den Bericht zur Lage der Nation. So lautete der Titel einer bis 1989 jährlich im Bundestag abgegebenen Regierungserklärung des Kanzlers zum Stand der deutschen Teilung. Das ist seit 1990 abgeschafft. Aber über das Gemeinschaftliche bleibt Rechenschaft abzulegen.
Heute lässt sich sagen: Die Lage in Ostdeutschland ist ein Spiegel der gesamtgesellschaftlichen Spannungen des gesamten Landes, nicht nur ein regionales Phänomen.
Wer einen Blick wirft auf die Bundesländer im Ganzen, die neuen wie die alten, erkennt, dass Unterschiede sich nicht auswachsen dürfen zu Brüchen, ökonomisch, kulturell, politisch. Im Westen wie im Osten.
Im Osten wirkt vieles auf den ersten Blick wie aufgeholt, wie im Soll. Straßen sind saniert, Städte im Umbau, Hochschulen gegründet, junge Familien versuchen ihr Glück am Ort.
Doch darf das den Blick dafür nicht trüben, wie viel 35 Jahre nach der Einheit noch zu tun ist. Und da geht es um mehr als um, sagen wir, die Überwindung der Zweiheit. Denn auch das ist die Realität: ein wieder wachsendes Gefühl des Zurückgelassenseins.
Wer im Osten lebt, muss spüren, sehen, erleben, wie das Versprechen der Einheit eingelöst wird. Gar nicht mal in erster Linie geht es dabei um Geld. Auch wenn niedrigere Löhne, knapper werdende Mittel für Infrastruktur oder ein oft träger öffentlicher Sektor den Alltag bestimmen. Vor allem geht es um Anerkennung der Leistung, der Lebenswirklichkeit. Um das Gefühl, dass hier „zweiter Klasse“ gelebt wird.
Was also tun? Zunächst: den Osten nicht als Problemfall behandeln, sondern als Teil dieser Republik, mit gleichen Rechten und vergangenem Unrecht. Es muss Anerkennung geschaffen werden, und zwar im Alltag.
Stephan-Andreas Casdorff
Dieses Gefühl ist schließlich Nährboden für Groll. Nicht unbedingt gegen das Land insgesamt, sondern gegen Versprechen der Politik. Einheit ist nicht nur eine neue gemeinsame Farbe auf der Landkarte, sondern eine neue Lebensqualität.
Politisch zeigt sich das in wachsenden Protest- und Populismusbewegungen, in einer wachsenden Skepsis gegenüber etablierten Parteien. Die AfD-Ergebnisse sind Warnung genug, für den Westen wie den Osten.
Zumal es leuchtende Beispiele im Osten gibt. Städte wie Leipzig oder Dresden wachsen, Kultur floriert, Innovation entsteht, Wirtschaft wächst. Und doch: Es gibt noch mehr zu tun. Es bleiben Landstriche, wo Leerstand sichtbar ist, wo junge Leute im Zug morgens Richtung Hauptstadt ziehen und abends kaum zurückkehren.
Geschichte ernst nehmen
Was also tun? Zunächst: den Osten nicht als Problemfall behandeln, sondern als Teil dieser Republik, mit gleichen Rechten und vergangenem Unrecht. Es muss Anerkennung geschaffen werden, und zwar im Alltag. Da geht es um Mobilität, digitale Infrastruktur, mutige Bildungspolitik, Unternehmensgründungen. Das Narrativ „Wir fördern euch, damit ihr bleibt“ ist altes Denken. Heute muss es heißen: „Wir trauen euch etwas zu und schaffen dafür die Rahmenbedingungen.“
Geschichte ernst nehmen ist ein weiterer Punkt. Die DDR, die Wendezeit, die Umbrüche – das sind keine Fußnoten, sondern prägende Erfahrungen vieler Menschen. Wer einfach weiterzieht zur nächsten Baustelle, verpasst die Chance auf Vertrauen. Und drittens: Es braucht Dialog – nicht als Alibi-Runde, sondern als echte Begegnung. Der Westen darf nicht nur Touristenattraktionen im Osten sehen, sondern Mitwirkende. Nicht nur Empfänger von Politik, sondern gleichwertige Partner.
Im Tagesspiegel: „Der Osten – Konferenz für Ideen und Macher“
Darum am Dienstag unsere Konferenz „Der Osten – Konferenz für Ideen und Macher“. Denn es kann gelingen: Der Osten hat die Ideen und die Macher. Der Osten kann vorausgehen, bei regionaler Innovation, beim „ländlichen Leben“ mit guter Perspektive, bei demokratischer Beteiligung. Der Osten ist keine Potenzialblase – er bietet Potenzial weit über die Region hinaus.
Lassen wir also den Blick schweifen, nicht nostalgisch, nicht nationalromantisch, nicht bloß als Statistik. Sondern kritisch und mit Empathie.
Ostdeutschland ist nicht „das Problem“, es ist Mahnung und Chance zugleich: eine Mahnung, dass Einheit ein Prozess ist, und eine Chance, den zu gestalten – gemeinschaftlich. Schaffen wir die deutsche Teilung ab!
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