
© AFP/LUDOVIC MARIN
Aufrüstung wird einiges kosten: Der Preis für das Überleben der Nato ist hoch
US-Präsident Donald Trump ist vorerst gebändigt. Mit Billionen schützt sich das Verteidigungsbündnis vor Russland – und einem überstürzten Abschied Amerikas.

Stand:
Einen diplomatischen Unfall mit Donald Trump hat es gegeben, als der kurz vor seiner Landung in Den Haag eine an ihn gerichtete SMS von Nato-Generalsekretär Mark Rutte veröffentlichte.
So anbiedernd-peinlich sie klingt, ihr Inhalt spiegelt die Tatsachen: Kein US-Präsident vor ihm konnte die Europäer – wenn auch in ihrem Interesse – zu einer solch radikalen Erhöhung ihrer Verteidigungsausgaben bewegen. Es ist, wie Rutte schrieb, „Dein Erfolg, Donald“.
Anders als im Zollstreit, den die Europäer als ebenbürtige Kontrahenten ausfechten können, hängt ihre Sicherheit am Schutzversprechen Amerikas. Der Mann im Weißen Haus spielte seine Karten brutal gut aus, jagte allen eine Heidenangst ein, als er nicht nur die Ukraine-Hilfe infrage stellte, sondern am Fundament der Nato rüttelte und die Beistandspflicht an Bedingungen knüpfte.
Mit der Aussicht, schon bald allein einer möglichen russischen Aggression gegenüberzustehen, blieb gar keine andere Wahl, als die eigene Politik völlig umzukrempeln und der Verteidigungspolitik auch finanziell einen ganz neuen Stellenwert einzuräumen. Der Preis für das Überleben der Nato, die im elementaren deutschen Sicherheitsinteresse ist, war hoch.
Eine ganz neue Dimension des Militärischen
Um sich die historische Dimension des Nato-Gipfels von Den Haag vor Augen zu führen, genügt ein Blick in die jüngere Vergangenheit. Zehn Jahre lang quälte sich die deutsche Politik damit, das nach Russlands Annexion der Krim 2014 vereinbarte Ziel zu erreichen, zwei Prozent der Wirtschaftsleistung in das Militär zu investieren. Nun geht es um nicht weniger als das Zweieinhalbfache dessen.
Die 180-Grad-Wende von Friedrich Merz in puncto Schuldenbremse hat eine zentrale Rolle gespielt, um Trumps Amerika vorerst bei der Stange zu halten. Ohne die spektakuläre Verfassungsänderung für theoretisch grenzenlose Wehrausgaben wären die anderen Europäer noch schwerer zu überzeugen gewesen.
Was die eigene Anhängerschaft dem heutigen Kanzler nach der Wahl übel nahm, hat dem alten Kontinent Zeit verschafft. Viel spricht dafür, dass die USA nun nicht überstürzt, sondern in einem geordneten Verfahren ihre Truppenpräsenz reduzieren – synchron zum Anwachsen von Europas Militärfähigkeiten.
Gewaltige innenpolitische Folgen
Es stimmt schon, wie Merz dieser Tage immer wieder betont hat, dass es in Den Haag nicht nur darum ging, dem Narzissten Trump das Ego zu streicheln und seine Unberechenbarkeit zu zügeln, die er gerade im Konflikt zwischen Israel und dem Iran wieder unter Beweis stellt.
Viel zu lange haben Deutschland und Europa allein auf die Vereinigten Staaten als Schutzmacht vertraut. Das Missverhältnis in der transatlantischen Lastenteilung war real. Acht Jahrzehnte nach Weltkriegsende markiert der Gipfel von Den Haag ein sicherheitspolitisches Erwachsenwerden – gerade auch Deutschlands.
Vom Beschluss zur Realität ist es noch ein weiter Weg. Aus voller innerer Überzeugung nämlich geht Deutschland diesen Weg noch nicht. Wohl sind Debatten über eine deutsche Führungsrolle in Europa längst nicht mehr so verpönt wie noch vor wenigen Jahren.
Die Bedenken auch gegen die neue Abschreckungsdoktrin aber reichen bis in die Regierungskoalition hinein. Das zeigen das sicherheitspolitische „Manifest“ einiger prominenter Sozialdemokraten und die schwierigen Diskussionen, die sie dazu auf ihrem Parteitag am Wochenende werden führen müssen.
Selbst mit voller politischer Rückendeckung stellte die Umsetzung der Haager Beschlüsse eine Mammutaufgabe dar. Es gibt noch viel mehr Fragen als Antworten: Wie etwa sollen 70.000 oder 80.000 neue Soldatinnen und Soldaten für die Bundeswehr gewonnen werden, da auch eine neue Wehrpflicht die Lücke nur zum Teil schlösse?
Gibt es überhaupt eine gesellschaftliche Basis für das Konzept der Gesamtverteidigung, in der sich nicht nur die Armee auf einen möglichen Ernstfall vorbereitet, sondern das ganze Land? Wie wird eine so große Wirtschaftsdynamik erzeugt, damit Sicherheit irgendwann auch wieder ohne neue Schulden finanziert werden kann?
Das Preisschild auf dem, was in den Niederlanden beschlossen wurde, vermag zu beeindrucken. Das gilt für die noch nicht sichtbaren Kosten dahinter erst recht.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid:
- false