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Die Erde ist im Klimastress, und Maßnahmen, das zu beenden, sind nicht in Sicht.

© NASA/Goddard Space Flight Center/picture alliance / dpa

Klimapolitik: Der Prima-Klima-Zirkus

Jahr für Jahr werden Klimakonferenzen abgehalten oder Klimaschutzpläne verkündet – und was ist das Ergebnis? Der Eindruck, dass die Verkündung immer neuer ehrgeiziger Langzeitziele das aktive Handeln ersetzt hat. Ein Essay

Am Ende der jüngsten Klimakonferenz der Vereinten Nationen, die im vergangenen November in Marrakesch stattfand, feierten die Teilnehmer mit viel Pathos ihre Beschlüsse, die den Weg in eine klimafreundliche Zukunft weisen sollen. Nicht zum ersten Mal: Es war bereits die 22. Veranstaltung eines Formats, das 1995 in Berlin gegründet worden war. Allerdings ist in all den vielen Jahren die Kluft zwischen den bekundeten Ambitionen und den tatsächlichen Maßnahmen in der globalen Klimapolitik nicht kleiner geworden – im Gegenteil. Und auch die Ergebnisse von Marrakesch werden diese Entwicklung, die Fachleuten zunehmend Kopfschmerzen bereitet, nicht umkehren – und die neue US-Regierung wird das erst recht nicht tun.

Das offensichtlichste Beispiel für diese problematische Entwicklung lieferte die vorletzte UN- Klimakonferenz von Paris im Dezember 2015: Mit der dort getroffenen Übereinkunft einigten sich die Teilnehmer der Konferenz darauf, die sogenannte „Zwei-Grad-Marke“ nicht überschreiten zu wollen: Die globale Mitteltemperatur soll nicht mehr als zwei Grad Celsius über das vorindustrielle Niveau steigen. Man strebt sogar eine Begrenzung auf maximal 1,5 Grad Erwärmung an.

Jüngste klimapolitische Entscheidungen widersprechen aber dieser Willensbekundung: Im Rahmen der Übereinkunft von Paris haben die Staaten freiwillige Selbstverpflichtungen zum Klimaschutz eingereicht (die sogenannten „Nationally Determined Contributions“). Sie laufen gemäß Berechnungen auf eine Erwärmung um mehr als drei Grad Celsius hinaus. Demnach würde das selbst gesteckte Klimalimit um mindestens ein Grad überschritten werden.

Die angestrebte Senkung der CO2-Emissionen bis 2020 wird eher nichts mehr

Das nationale Klimaziel von Deutschland ist ein weiteres Beispiel für die Differenz zwischen Ambition und Realität. Eigentlich hat sich die Regierung zum Ziel gesetzt, den nationalen Ausstoß von Treibhausgasen bis zum Jahr 2020 um 40 Prozent zu senken (gegenüber 1990). Das bedeutet aktuell, dass die Emissionen von 2016 bis 2020 um mehr als 17 Prozent fallen müssten, um das Klimaziel noch einhalten zu können. Danach sieht es gegenwärtig aber nicht aus. In jüngster Zeit wurden die Emissionen viel zu langsam verringert: Gemäß Umweltbundesamt hat Deutschland den Ausstoß an Treibhausgasen im vergangenen Jahrzehnt nur um rund zehn Prozent reduziert. Das bedeutet, dass von 2016 bis 2020 eine mehr als dreimal so schnelle Verringerung der Emissionen notwendig wäre wie im Zeitraum 2006 bis 2015. Das ist realistisch betrachtet so gut wie unmöglich. Auch mit dem „Klimaschutzplan 2050“, den das Bundeskabinett unter Ach und Krach beschlossen hat, würde man das Ziel verfehlen. Mit der Reduktion der Emissionen wird es ohnehin schwierig werden, da Deutschland im vergangenen Jahrzehnt etliche neue Kohlekraftwerke gebaut hat, mehr als jedes andere Land in Europa. Die Kapazität dieser neuen Anlagen entspricht dem Institut „Climate Analytics“ zufolge der Gesamtkapazität aller bereits existierenden Kohlekraftwerke in Italien.

National wie global hat sich also ein deutlicher Kontrast zwischen Politikerwort und Wirklichkeit entwickelt. Oliver Geden von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin überrascht das nicht. Er verweist zur Erklärung auf die Zwänge und Gewohnheiten des politischen Geschäfts. „Die Vereinten Nationen, die EU, nationale Regierungen und politische Parteien müssen sich ständig externe Unterstützung sichern“, schreibt er in einem Kommentar für das Fachmagazin „Wires Climate Change“ (Frühjahr 2016). Diese politischen Organisationen seien dabei aber mit inkonsistenten Forderungen konfrontiert, die von Personen oder Institutionen mit politischen Interessen an sie gerichtet würden: So muss sich beispielsweise die Bundesregierung, wenn es um Klimaschutz geht, nicht nur mit Umweltschutzorganisationen auseinandersetzen, sondern auch mit dem Bundesverband der Deutschen Industrie, Gewerkschaften oder dem Deutschen Städtetag. Alle wollen bei dem Thema mitreden. Wie soll sie konsistent auf all diese Forderungen reagieren?

Reden und Maßnahmen als "voneinander unabhängige Produkte"

Eine in sich schlüssige Reaktion kann man laut Geden nicht erwarten. Politische Entscheidungsträger sähen Reden, Beschlüsse und Maßnahmen als „voneinander unabhängige organisatorische Produkte“ an. Selbst wenn ein Beschluss sehr gut klingt, so folgen daraus nicht unbedingt auch angemessene Maßnahmen. Beim Klima ist manchmal sogar das Gegenteil der Fall. Dass man sich ehrgeizige Langzeitziele für den Klimawandel gesetzt habe, sei nicht eine Vorbedingung für angemessene Maßnahmen gewesen, so Geden, sondern vielmehr ein Ersatz dafür.

Hinter einem in der Ferne liegenden Emissionsziel zum Beispiel können sich Politiker gut verstecken – sofern das Datum weit jenseits ihrer Legislaturperiode liegt. Um allzu kontroverse Maßnahmen drücken sie sich dann weitgehend herum.

Zuweilen treten starke Widersprüche sogar innerhalb eines Verhandlungsergebnisses auf, etwa im deutschen Klimaschutzplan 2050. „Da passen manche Dinge einfach nicht zusammen“, sagt Brigitte Knopf, Generalsekretärin des Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change in Berlin: „Zum Beispiel die im Verkehrssektor angestrebten Ziele und die dafür vorgesehenen Maßnahmen.“ Die Widersprüche entstünden dadurch, dass die beteiligten Akteure und Institutionen nach den ihnen eigenen Logiken vorgingen. Eine strategische Absicht, ganz bewusst einen in sich inkonsistenten Klimaschutzplan zu erstellen, kann Knopf aber nicht erkennen.

Wenn der Klimaschutz nur im Computermodell funktioniert

Gute Luft und saubere Energie, so soll es werden. Aber wie ist der Weg dorthin?
Gute Luft und saubere Energie, so soll es werden. Aber wie ist der Weg dorthin?

© Federico Gambarini/dpa

Man kann unterschiedlich auf Inkonsistenzen reagieren, wie sie in der Klimapolitik auf globaler und nationaler Ebene zutage treten. In Debatten zu diesem Thema ist die Tendenz zu beobachten, Widersprüche zu ignorieren: Bei Bedarf wird die Größe der Herausforderung heruntergespielt. Das geschieht zum Beispiel, um Entscheidungsträgern einen Gesichtsverlust zu ersparen. Außerdem haben wissenschaftliche Berater ein ureigenes Interesse daran, sich ein gutes Verhältnis zu ihren Auftraggebern zu bewahren. In solchen Fällen lautet die Botschaft oft, dass es wirklich fünf vor zwölf sei, dass aber geeignete Maßnahmen das Schlimmste abwenden könnten. So ist etwa oft zu hören, ein Unterschreiten der Zwei-Grad- Marke sei noch möglich, selbst wenn das erwähnte Klimaziel der UN mit bisher angekündigten Maßnahmen kaum mehr erreicht werden kann. Fachleute, die diese optimistische These vertreten, verweisen auf entsprechende Szenarien, die mit Computermodellen erstellt wurden.

Diese Berechnungen gibt es tatsächlich. Doch sie enthalten ziemlich problematische Annahmen. Sie setzen nicht bloß eine extrem schnelle Verringerung der Treibhausgasemissionen voraus. Viele dieser Szenarien sehen außerdem eine technische Maßnahme zum Klimaschutz vor, deren Einsatzfähigkeit und Machbarkeit in hohem Maße fraglich sind: die Entfernung von Kohlendioxid aus der Atmosphäre („Carbon Dioxide Removal“, kurz CDR). Entscheidungsträgern sei es oft nicht bekannt, dass Klimaszenarien einen so gewaltigen Einsatz von CDR-Techniken voraussetzten, schreiben Kevin Anderson vom Tyndall Centre in Manchester und Glen Peters vom Forschungszentrum Cicero in Oslo im Oktober 2016 im Wissenschaftsmagazin „Science“.

Die Technik ist theoretisch möglich, aber was sagt die Bevölkerung?

Zum Einfangen von Kohlendioxid sind verschiedene Methoden entwickelt worden. Die vielversprechendste heißt Bio-Energy with Carbon Capture and Storage, kurz BECCS. Das Konzept besteht darin, Energiepflanzen anzubauen, die der Atmosphäre via Fotosynthese Kohlendioxid entziehen; bei der Verbrennung der Pflanzen wird anschließend Kohlendioxid frei, das man aus dem Abgas abtrennt und sicher speichert. Es hat zwar eine ganze Reihe von Versuchen mit der Technik gegeben, doch derzeit existiert weltweit nur eine einzige großskalige Demonstrationsanlage (in Decatur, US-Bundesstaat Illinois), mit der die Machbarkeit von BECCS nachgewiesen werden soll.

In Deutschland hat sich bereits die Erprobung der Technik zur CO2-Abscheidung und -Speicherung (CCS) als politisch nicht durchsetzbar erwiesen. Heftige Proteste von Bürgerinitiativen haben den Politikern das Thema vergällt. Das deutsche CCS-Gesetz von 2012 gestattet zwar die Einrichtung entsprechender Anlagen in geringem Umfang, doch einzelne Bundesländer haben die Möglichkeit, die Technik zu verbieten. Die Landesregierung von Schleswig-Holstein hat dies dann auch getan.

Doch ist dieser politische Stillstand mit der globalen Herausforderung zu vereinbaren? Anderson und Peters zufolge kommen nur sehr wenige jener Klimaszenarien, die mit der Zwei-Grad-Marke zu vereinbaren sind, ohne CO2-Entfernung aus. Bedenke man, wie wichtig die Technologie für Szenarien zum Klimaschutz sei, dann sei es bestürzend, wie wenig darüber in der klimapolitischen Debatte gesprochen werde, stellen die beiden Forscher fest. Sie fordern, dass sich das ändert. Sonst sei das Risiko hoch, dass die Techniken für die CO2-Entfernung nicht in dem Ausmaß bereitgestellt werden können, in dem sie benötigt werden.

Wissenschaftler sollten sich von der Politik unabhängig machen

Die Herausforderung ist in der Tat gigantisch. Zwei Forscherinnen, Naomi Vaughan und Claire Gough vom britischen Tyndall Centre for Climate Change Research, haben die benötigten Kapazitäten von BECCS unter die Lupe genommen (Environmental Research Letters 11, 2016). In den meisten Modellszenarien wird der Einsatz von BECCS ab dem Jahr 2020 veranschlagt. Mitte des 21. Jahrhunderts sollen pro Jahr zwischen zwei und zehn Milliarden Tonnen CO2 gespeichert werden. Diese Rate soll bis 2070 auf 20 Milliarden Tonnen pro Jahr steigen.

Das Problem bei einer Installation von BECCS-Anlagen in dieser Größenordnung, schreiben Vaughan und Gough, liege weniger in der Speicherung von CO2, sondern im Anbau der Energiepflanzen. Schätzungen zufolge müssten diesem Zweck hunderte Millionen Hektar Land gewidmet werden. Das wäre weit mehr als die Fläche der Bundesrepublik (36 Millionen Hektar). Nicht nur die Autorinnen dieser Studie halten es für unrealistisch, eine so riesige Fläche mit Energiepflanzen zu bestücken.

Es ist nicht gerade leicht, konstruktiv mit den Inkonsistenzen zwischen Anspruch und Wirklichkeit der Klimapolitik umzugehen. Zunächst einmal muss außerhalb enger Fachkreise ein Bewusstsein für die bestehenden Unstimmigkeiten geschaffen werden. Oliver Geden fordert, dass sich Wissenschaftler nicht länger vor den Karren der Politik spannen lassen. Diese Forderung könnte aber leicht als gut gemeinter, etwas akademischer Appell versanden.

Lieber kleine Ziele, die dann aber auch umsetzen

Wahrscheinlich müssten sich auch die Anreizstrukturen für beratende Wissenschaftler ändern. Das liegt nicht allein in der Hand der Fachwelt, sondern ist eine gesellschaftliche Herausforderung. Wer über unbequeme, aber nachweisbare Inkonsistenzen in der Klimapolitik berichtet, sollte dafür von Kollegen anerkannt, von der Öffentlichkeit wahrgenommen und von Politikern und Vertretern relevanter Organisationen unvoreingenommen angehört werden. Erst dann können überhaupt die Diskussionen beginnen, um Inkonsistenzen vielleicht in Zukunft zu überbrücken.

Brigitte Knopf sieht immerhin erste Anzeichen für eine Besserung: Seit das Abkommen von Paris verabschiedet worden sei, laufe die Debatte über konsequenten Klimaschutz offener, sagt sie. Der Widerspruch zwischen ambitionierter Klimapolitik und den bisher unzureichenden Maßnahmen werde nun in der Öffentlichkeit stärker diskutiert.

Möglicherweise würde eine realistischere Debatte über die Klimapolitik darauf hinauslaufen, dass man sich weniger ambitionierte, aber dafür konkretere Ziele setzt – deren Einhaltung dann auch überprüft wird. Zum Beispiel liegt im Bereich Heizung noch großes Potenzial brach, die Energieeffizienz zu steigern, doch das Vorhaben stockt. Wer aus Angst vor vermeintlich demotivierenden Botschaften Inkonsistenzen verschweigt, läuft Gefahr, Illusionen zu nähren – und dem ursprünglichen Anliegen einen Bärendienst zu erweisen.

- Der Autor ist freier Wissenschaftsjournalist. Der Text erschien zuerst in "Internationale Politik 01/2017"

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