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Der russische Raketenkreuzer Moskwa ist untergegangen.

© Zhang Jiye/XinHua/dpa

„Der Untergang war eine Demütigung“: Putin war offenbar verhandlungsbereit – doch dann kam das „Moskwa“-Debakel

Der Verlust des Kampfschiffes soll Russlands Staatschef erzürnt haben. Insidern zufolge habe er danach sein Kriegsziel in der Ukraine neu ausgerichtet.

Der russische Präsident Wladimir Putin soll einem Medienbericht zufolge verzerrt auf die Entwicklungen im Ukraine-Krieg blicken und offenbar kein Interesse an einer diplomatischen Lösung des Konflikts haben. Stattdessen gehe es ihm darum, so viel Territorium wie möglich im Nachbarland zu gewinnen, berichtet die britische „Financial Times“ (FT) unter Berufung auf mehrere Insider.

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„Putin glaubt ernsthaft an den Unsinn, den er im Fernsehen hört, und will einen großen Sieg erringen“, zitiert die FT eine ihrer insgesamt drei Quellen aus Russland. Diese sind dem Bericht zufolge über Gespräche des russischen Staatschefs informiert.

Demnach vertraut Putin auf die Darlegungen seiner Generäle sowie Medienberichten zu Kriegsgeschehnissen. So sei er überzeugt, dass das russische Militär im Kampf um das Stahlwerk Azovstal in Mariupol keine Zivilisten angreife. Augenzeugen und westlichen Medien zufolge ist dies allerdings der Fall.

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Putin selbst hatte im März mehrere Gesetze unterzeichnet, die die Verbreitung „falscher“ Berichte über die russischen Streitkräfte unter Strafe stellen – so auch unvorteilhafte Entwicklungen im am 24. Februar begonnenen Ukraine-Krieg, den russische Staatsmedien als „militärische Spezialoperation“ titulieren.

Argumentation der diplomatischen „Sackgasse“

Pikant ist die Schilderung eines FT-Informanten, wonach Putin infolge ihm bekannter militärischer Rückschläge zwischenzeitlich ernsthaft ein Friedensabkommen mit der Ukraine erwogen habe. Ausdruck dessen seien Ende März die Verhandlungen beider Seiten in Istanbul gewesen. Damals hatten der Westen sowie die ukrainische Führung erhebliche Zweifel an der Aufrichtigkeit Russlands bei den Gesprächen geäußert.

Doch nachdem der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj die russische Armee schwerer Kriegsverbrechen gegen Zivilisten in Butscha und Mariupol beschuldigt hatte und die „Moskwa“, das Flaggschiff der russischen Schwarzmeerflotte, durch ukrainischen Beschuss versenkt worden war, sei Putin dem Bericht zufolge wütend geworden und habe seine Ukraine-Strategie geändert.

Das russische Kriegsschiff „Moskwa“ (Archivbild).
Das russische Kriegsschiff „Moskwa“ (Archivbild).

© REUTERS/Alexey Pavlishak/File Photo

Es habe die Hoffnung auf eine Einigung bestanden, zitiert die Zeitung einen ihrer Informanten. „Putin hat sich hin und her bewegt.“ Doch seit dem „Moskwa“-Debakel sehe der Kreml-Chef keine Aussichten auf eine Einigung und sei dagegen, „irgendetwas zu unterschreiben“, heißt es. Putin habe von einer „Sackgasse“ bei den Verhandlungen gesprochen. „Nach dem Untergang der ‚Moskwa‘ sieht er nicht wie ein Gewinner aus, denn es war eine Demütigung.“

„Aus dieser Sache als Gewinner hervorgehen“

Stattdessen sehe sich Putin der nicht namentlich genannten Quelle zufolge nun genötigt, „aus dieser Sache als Gewinner hervorzugehen“. Konkret stehe zu befürchten, dass Putin den gesamten Südosten des Nachbarlandes einzunehmen und die Ukraine vom Meer abzuschneiden versuche, heißt es den Insidern zufolge aus Verhandlungskreisen. Bisher hatte es offiziell aus Moskau geheißen, das Ziel der Invasion sei die volle Kontrolle über den Donbass.

Die Befürchtungen decken sich mit den jüngsten Äußerungen des russischen Generals Rustam Minnekajew. Bei dem vergangene Woche begonnenen neuen Abschnitt der russischen Offensive gehe es darum, einen Landweg zur Schwarzmeer-Halbinsel Krim zu sichern, sagte der Befehlshaber des zentralen Wehrbezirks am Freitag der Agentur Interfax zufolge. Darüber hinaus würde eine vollständige Kontrolle über den Süden der Ukraine einen Zugang zu Transnistrien verschaffen. Die von der Republik Moldau abtrünnige Region wird von prorussischen Separatisten gehalten.

Treffen mit Selenskyj „mit aller Macht“ vermieden?

Ausdrücklich vermeiden will Putin offenbar einen direkten Austausch mit seinem ukrainischen Gegenüber Selenskyj. Zwar habe er sich einer Kreml-Mitteilung zufolge in einem Telefonat mit EU-Ratschef Charles Michel grundsätzlich zu einem Treffen mit dem ukrainischen Staatschef bereit geäußert. Zugleich forderte er jedoch Vorschläge für konkrete Vereinbarungen.

Diese Verlautbarung wird allerdings dem FT-Bericht zufolge in Verhandlungskreisen als taktisches Manöver interpretiert. Putin fordere, dass sämtliche Konfliktpunkte vor einem persönlichen Treffen mit Selenskyj ausgehandelt sind. Mehr noch: Einen Gipfel mit dem ukrainischen Präsidenten wolle der Kreml-Chef „mit aller Macht“ vermeiden, zitiert die Zeitung einen Unterhändler.

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Doch auch Selenskyj stellte jüngst Bedingungen für Verhandlungen und brachte darüber hinaus einen möglichen Abbruch jeglicher Friedensgespräche ins Spiel. „Wenn unsere Leute in Mariupol vernichtet werden, wenn ein Pseudoreferendum über die Unabhängigkeit in Cherson stattfindet, dann tritt die Ukraine aus allen Verhandlungsprozessen heraus“, sagte er am Samstag. Er sei aber weiter bereit, direkt mit Putin zu verhandeln.

Vision des territorialen Zugewinns im Südosten der Ukraine

Bei den Friedensgesprächen Ende März in Istanbul hatte die ukrainische Delegation den russischen Vertretern im Gegenzug zu Sicherheitsgarantien die Neutralität sowie den Verzicht auf einen Nato-Beitritt angeboten. Russland fordert neben der Neutralität die Abtretung der Donbass-Regionen Donezk und Luhansk sowie die Anerkennung der Halbinsel Krim als russisch. Gebietsverzichte lehnt Kiew jedoch kategorisch ab.

Dem FT-Bericht zufolge hält Putin allerdings an seiner Vision eines territorialen Zugewinns im Südosten der Ukraine fest. Derweil erneuerte sein Außenminister Sergej Lawrow am Dienstag die russische Behauptung, Kiew zögere die Verhandlungen hinaus.

Auch wenn Russland seine Gespräche mit der Ukraine fortsetzen wolle, betonte Lawrow: „Der gute Wille hat seine Grenzen.“ Wenn er nicht auf „Gegenseitigkeit“ beruhe, helfe „dies dem Verhandlungsprozess nicht“. Deshalb „sagen unsere politischen Analysten, warum mit dem Team von Selenskyj sprechen. Man muss mit den Amerikanern reden, mit ihnen verhandeln, eine Art Vereinbarung erzielen“. Eine Reaktion seines Chefs Putin auf diese Aussage ist bislang nicht bekannt.

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