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Marco Wanderwitz präsentierte am Mittwoch knapp 300 Seiten Information - die einem ziemlich bekannt vorkamen.

© Christophe Gateau/dpa

Der erste Einheitsbericht des neuen Ostbeauftragten: Der Westen bleibt die Norm, der Osten „das Andere“

Die mentale Ost-Nachrangigkeit ist womöglich die größere Hypothek für Deutschland als unterschiedlich gute Busverbindungen oder Rentenbezüge. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Ariane Bemmer

Wenn kurz bevor der noch relativ neue ostdeutsche Ost-Beauftragte der Bundesregierung seinen ersten Einheitsbericht vorlegt, ein quasi mit Westmitteln geförderter Thinktank alles, was man dazu sagen kann, schon präsentiert, könnte man das für einen gespielten Witz zur Lage der Nation halten: Der Westen bestimmt die Themen, dreht dem Osten das Wort ab und kommt damit auch noch durch.

Ganz so ist es zwar nicht, und dennoch klang, was Marco Wanderwitz am Mittwoch verkündete, weitenteils bekannt, nachdem das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung vorige Woche seine Einheitsstudie präsentiert hatte.

Tenor hier wie da: Es wird weiter zusammengewachsen, ruckelig und langsam, und trotz Fortschritten bleibt Handlungsbedarf. Dazu Zahlen und Grafiken, eine Disziplin, in der Wanderwitz mit seinem dicken Bericht den Sieg davonträgt. Aber die fast 300 Seiten, unterteilt in 18 Kapitel von Arbeitsmarkt, Infrastruktur, soziale Absicherung, Gesundheit bis Landwirtschaft und EU-Integration, bleiben auf eine Art weit weg vom Thema.

Wenn Wanderwitz verkündet, dass sich die Wirtschaftskraft im Osten seit 1990 vervierfacht habe und mit der in vielen französischen Regionen vergleichbar sei, sagt das wenig über das Leben im Einheitsland. Das hängt nicht nur an Zahlen, das hängt auch am Bewusstsein. Das kommt bei Wanderwitz vor allem als Zweifel an der Demokratiefestigkeit der Ostdeutschen vor. Damit ist aber längst nicht alles gesagt.

Die Formel von den gleichwertigen Lebensverhältnissen, die es zu erreichen gelte, schreibt die Unterschiede zwischen Ost und West immer noch und immer nur weiter fort. Denn die West-Verhältnisse bleiben die Norm, von der der Osten abweicht.

Das erinnert in diesen identitätspolitischen Zeiten an die Debatten zwischen den Geschlechtern: Die dort beklagte Heteronormativität findet sich als West-Normativität im Ringen um den Einheitsprozess.

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Das erklärt auch, warum eine ostdeutsche Herkunft mehr Bedeutung für die Menschen hat als eine westdeutsche. Weil die ostdeutsche immer noch „das Andere“ ist.

So empfinden auch Menschen, die erst nach 1990 geboren wurden und gute Gründe haben könnten, die Kategorien Ost und West für gestrig zu halten. Diese mentale Ost-Nachrangigkeit ist womöglich die größere Hypothek für Deutschland als unterschiedlich gute Busverbindungen oder Renten.

Denn sie vor allem ist der Tropf für einen innerdeutschen Konflikt, dessen Nutznießer rechte Parteien sind.

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