Ratingagenturen: Deutsche Politiker wollen europäischen Anbieter
Nach der Herabstufung der Kreditwürdigkeit mehrerer Euro-Länder und des EU- Rettungsschirms durch die US-Ratingagentur Standard & Poor’s werden wieder Forderungen nach einer europäischen Ratingagentur laut.
Nach der Herabstufung der Kreditwürdigkeit mehrerer Euro-Länder und des EU- Rettungsschirms durch die US-Ratingagentur Standard & Poor’s (S&P) werden in Deutschland die Forderungen nach einer europäischen Ratingagentur wieder lauter. Derzeit dominieren die drei großen US-amerikanischen Anbieter S&P, Moody’s und Fitch den Markt für Bonitätsbewertungen. Deutsche Politiker werfen diesen vor, Europa nicht mit neutralem Blick zu beurteilen. So drastisch wie Linken-Fraktionschef Gregor Gysi, der von einem „Krieg der Banken und der amerikanischen Ratingagenturen gegen die europäischen Völker“ spricht, formuliert es zwar sonst keiner. Aber auch der bayerische Finanzminister Markus Söder (CSU) sieht in der Abwertung „eine ganz bewusste, gegen Europa gezielte Aktion“. Für „mehr Unaufgeregtheit“ bei der Bewertung von EU-Ländern, so formuliert es Unions-Fraktionsgeschäftsführer Peter Altmaier, soll daher die Gründung einer europäischen Ratingagentur sorgen.
Als Vorbild bringt Außenminister Guido Westerwelle (FDP) erneut die „Stiftung Warentest“ ins Gespräch, die eine große Glaubwürdigkeit genieße. Für eine solche Lösung, die die Stiftung am Dienstag erwartungsgemäß begrüßte, machen sich auch Unionspolitiker stark, aber auch die Opposition. Eine solche Konstruktion soll dafür sorgen, dass die Agentur ihre Bewertungen möglichst unabhängig von Politik und Finanzindustrie vornehmen kann. An einer solchen privat finanzierten Stiftung arbeitet auch die Unternehmensberatung Roland Berger. Träger sollen mehrere europäische Finanzdienstleister sein, darunter Banken, Fondsgesellschaften und Börsen.
Kritiker der Idee wenden ein, dass auch eine europäische Ratingagentur ein Glaubwürdigkeitsproblem hätte: Fördern Europas Regierungen deren Gründung, weil sie ein Gegengewicht zur Dominanz der US-Anbieter wünschen, stünde die europäische Institution an den Märkten unter dem Verdacht, europäische Interessen stärker zu berücksichtigen. Außerdem müsste sich die neue Agentur erst einmal gegen den Mainstream der großen Ratinghäuser durchsetzen, um von Investoren ernst genommen zu werden. Schon heute sind bei der europäischen Finanzaufsicht ESMA außer S&P, Moody’s und Fitch 13 Ratingagenturen registriert, von denen die Öffentlichkeit kaum Notiz nimmt. Die Kosten einer neu geschaffenen europäischen Ratingagentur würden den Nutzen vermutlich übersteigen, gab am Dienstag der ehemalige Chef der Bundesfinanzagentur Gerhard Schleif zu bedenken. Aus seiner Sicht hat sich aber das amerikanische Modell der Ratingagenturen überlebt. Investoren müssten in Zukunft mehr selbst prüfen. Die Berenberg Bank formulierte es kürzlich so: „Kreditratings können das eigene Denken beflügeln, sie können es aber nicht ersetzen.“