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Lächeln für bessere Koalitionsstimmung – die Fraktionschefs Jens Spahn (li.) und Matthias Miersch mit ihrem Würzburger Gastgeber, CSU-Gruppenchef Alexander Hoffmann (re.).

© REUTERS/Heiko Becker

Die Achillesferse der Koalition: Spahn und Miersch – eine instabile Achse

Die Fraktionschefs von Union und SPD harmonieren bisher weniger gut als die schwarz-rote Ministerriege im Kabinett. Zwei Klausurtage in Würzburg sollen das ändern helfen.

Stand:

Der Regen kommt der Inszenierung nur vorübergehend in die Quere. Irgendwann klart es auf, sodass die Spitzen der schwarz-roten Regierungsfraktionen an diesem Donnerstagvormittag ihr kleines Sightseeing-Programm auf der alten Würzbürger Mainbrücke doch noch durchziehen können.

Das Duo, auf das es in der Berliner Koalition maßgeblich ankommt, entsteigt einem Transporter und grüßt die wartende Journalistenschar, während sich manche Zufallspassanten nicht ganz sicher sind, auf wen sie da eigentlich treffen.

Unionsfraktionschef Jens Spahn und sein SPD-Amtskollege Matthias Miersch bekommen von Gastgeber Alexander Hoffmann ein wenig von seiner Geburtsstadt gezeigt, in der das Klausurtreffen der Fraktionsvorstände stattfindet.

Von realen und symbolischen Brücken

Der CSU-Landesgruppenchef erklärt ihnen kurz, was es mit der Festung über dem Fluss auf sich hat. Vor allem aber die Brücke schlachtet er kommunikativ aus, soll die Koalition doch nicht nur eine in die Zukunft bauen, sondern auch eine über gesellschaftlich-politische Gräben spannen.

Die liegen auch zwischen Miersch und Spahn: Hier der SPD-Linke, der sich im Parlament viele Jahre lang einen Namen als Klima- und Umweltpolitiker gemacht hat. Dort der ehrgeizige Christdemokrat und ehemalige Gesundheitsminister, der in der Migrationspolitik stets eher rechtskonservative Positionen vertreten hat.

Obwohl beide in der Zeit des Ampelbündnisses stellvertretende Vorsitzende ihrer jeweiligen Fraktion waren, hatten sie kaum etwas miteinander zu tun. Zwischen Opposition und Regierung gab es nur wenig Austausch, auf dem nun in der gemeinsamen Verantwortung hätte aufgebaut werden können. Jens Spahn und Matthias Miersch fingen miteinander quasi bei null an.

Die Achse der Fraktionschefs ist zentral für den Erfolg eines Regierungsbündnisses. In der ersten großen Koalition führten Rainer Barzel (CDU) und Helmut Schmidt (SPD) die jeweiligen Abgeordneten an. Später arbeitete der Christdemokrat Volker Kauder gleich mit mehreren Sozialdemokraten als schwarz-rotes Pärchen zusammen – Peter Struck, Thomas Oppermann und Andrea Nahles. Nachfolger Ralph Brinkhaus hatte es mit Rolf Mützenich zu tun. Jenseits der politischen Differenzen war oft von guten, verlässlichen Arbeitsbeziehungen die Rede.

Als Spahn und Miersch gerade erst damit begonnen hatten, eine solche aufzubauen, kam es zum großen Eklat. Die Nicht-Wahl der von der SPD nominierten Verfassungsgerichtskandidatin Frauke Brosius-Gersdorf war auch für das politische Verhältnis der Fraktionschefs ein schwerer Schlag. Schließlich konnte Spahn seine Wahlzusage gegenüber Miersch nicht einhalten, weil er die Dynamik in seiner Truppe völlig unterschätzt hatte.

Spahns erste Krisenbewältigungsstrategien gefielen Miersch ebenso wenig. Wohl räumte der Unionsmann Fehler ein, die Kraft aber, Brosius-Gersdorf einzuladen und mit ihr einen zweiten Anlauf zu starten, fand er zu Mierschs Missfallen nicht. Eine wertschätzende Geste ihr gegenüber, etwa ein Brief, blieb ebenso aus. Das wird auch in der CDU kritisiert: „Spahn hätte der SPD offensiver sagen müssen, dass es unsere Schuld war, wie das gelaufen ist.“

Noch ein weiter Weg zu den großen Vorbildern

Im Ergebnis nimmt der CDU-Abgeordnete Georg Günther die Stimmung zwischen den Fraktionen weiter „als angespannt wahr“. Sie sind damit zur Schwachstelle der Koalition geworden, zu ihrer Achillesferse, wenn man so will. Gerade im Vergleich zur schwarz-roten Ministerriege fällt auf, dass dort schon mehr Gemeinschaftsgefühl herrscht – das Gesetz zum neuen Wehrdienst etwa stellten der zuständige Minister Boris Pistorius (SPD) und Kanzler Friedrich Merz (CDU) gemeinsam vor.

Nun sollen also auch die Regierungsfraktionen und ihre Chefs zueinander finden. Dass es gewissen Aufholbedarf gibt, räumt auch Spahn indirekt ein, wenn er über die vielen Neuen in seiner Fraktion spricht, die erst ihre Pendants kennenlernen müssten. Von „Teambuilding“ ist die Rede, von einer Fußballmannschaft, die sich im Trainingslager – sprich: der Klausurtagung – erst noch einspielen müsse.

Wir haben uns die Karten gelegt.

Matthias Miersch über seine Aussprache mit Jens Spahn

Für das Spitzenduo gilt das auch. Miersch gab Spahn einen Vertrauensvorschuss. Aber der war schnell aufgebraucht: Das Richterwahl-Drama beschädigte das Vertrauensverhältnis, das gerade erst am Wachsen war, massiv. Miersch erinnert auch in Würzburg noch einmal daran, dass das Fiasko kurz vor der parlamentarischen Sommerpause „zu einem sehr schlechten Zeitpunkt“ kam.

Im Sommer wieder zueinander gefunden?

Und doch blieb man den Sommer über kontinuierlich im Austausch. Miersch tat das Seine, um die zwischenmenschliche Beziehung zu reparieren: „Wir haben uns die Karten gelegt“, berichtet er. Auch ein Treffen in kleiner Runde am Vorabend hat es gegeben. Mit Spahn, so scheint es, will Miersch den Neustart wagen, er fordert aber eine ebenso ehrliche Aussprache mit anderen aus dem Vorstand der Unionsfraktion, damit sich so etwas wie mit Brosius-Gersdorf nicht wiederholt: „Das reicht nicht aus, wenn zwei Leute das so empfinden.“

„Da ist eine Basis – und die wird weiter wachsen“, glaubt auch Spahn. Vorerst aber bleibt das Fragezeichen, inwieweit er Absprachen intern durchsetzen kann. Selbst in den eigenen Reihen wird gerätselt, wie groß die Rückendeckung durch Kanzler und Parteichef Merz wirklich ist. Es gibt einerseits die Erzählung vom ehrgeizigen Rivalen, der sich nur pro forma mit dem neuen Vorsitzenden arrangiert hat. Andererseits dementieren Spahns Leute sie immer mit großer Leidenschaft.

Miersch ist ein politischer Vertrauter und persönlicher Freund von SPD-Chef und Vizekanzler Lars Klingbeil. Das spielte eine große Rolle dabei, dass er und kein anderer zum Fraktionschef aufstieg. Die Macht wäre also theoretisch mit ihm.

Richtig genutzt hat er sie bisher aber nicht. Der Vorsitzende sei ein ganz feiner, anständiger Mensch mit einer unaufgeregten, klaren Art, sagt ein Mitglied der Fraktion: „Aber ich habe das Gefühl, dass er uns unter Wert verkauft. Es fehlt Miersch an Durchsetzungsvermögen.“ Die SPD trete auf, als müsse jeder Konflikt in der Koalition vermieden werden, damit nur ja nicht am Ende sie als die Partei gelte, die das Bündnis und damit das Land lähmt. 

Zu wenig klare Kante?

Mit einer Anekdote vom Vorabend bestätigt Miersch diesen Vorwurf indirekt. Zwei Würzbürger Passanten hätten ihm gesagt, dass diese Koalition unbedingt Erfolg haben müsse. Die Erkenntnis, dass Schwarz-Rot vielleicht die letzte Chance zur Stärkung der politischen Mitte ist und deshalb nicht zu erbittert gestritten werden darf, hat auch Miersch aus den Koalitionsverhandlungen mitgenommen.

Trotzdem hat ein anderes Mitglied der SPD-Fraktion „nicht das Gefühl, dass er seine Rolle schon gefunden hat“. Ein Chef müsse auch mal klare Kante zeigen, stattdessen habe Miersch noch am Tag der gescheiterten Richterwahl die Abgeordneten aufgefordert, bloß nicht zu hart gegen die Union auszuteilen.

„In Sachen Masken-Untersuchungsausschuss brodelt es in der Fraktion“, sagt das Mitglied. Aus seiner Sicht ist nicht ausgeschlossen, dass am Ende eine gute Handvoll SPD-Abgeordnete von der Fraktionslinie abweicht und einen Untersuchungsausschuss gegen Spahn ermöglicht – und dass Miersch die Autorität fehlt, das zu verhindern. Es wäre der nächste Koalitions-GAU.

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