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Applaus für die Kanzlerin: Angela Merkel breitet die Arme aus und stellt sich den Fragen.

© Fabrizio Bensch/REUTERS

Die Kanzlerin im Bürgerdialog: 90 Minuten Merkel-Pragmatismus

Sie kennt alle Instrumente der Politik, alle Zahlen. Aber kann sie Menschen auch mitreißen? Beobachtungen bei einem Treffen der Kanzlerin mit Bürgern.

Von Hans Monath

Eine Stunde lang hat die Kanzlerin im Bürgerdialog in Jena Auskunft gegeben, dann erst kommt eine Frage nach der AfD. "Mir ist aufgefallen, dass in Deutschland eine große Unzufriedenheit herrscht", sagt eine Medizinstudentin, deshalb hätten bei der Bundestagswahl viele AfD gewählt: "Was machen Sie, um die Menschen wieder von sich zu überzeugen und zufriedener zu machen?"

Angela Merkel kommt aus dem Urlaub, zum ersten Mal seit der Eskalation des Unionsstreits um die Grenzen stellt sie sich den Bürgern. Eigentlich soll es in dem Forum mit rund 70 Teilnehmern um Europa gehen. Doch den Bürger, von denen keiner aggressiv auftritt, liegen auch viele andere Themen am Herzen: die Pflege, der Fachkräftemangel, der Umweltschutz, aber auch Kindergeldzahlungen an EU-Ausländer oder der Umgang mit Flüchtlingen.

Auf die Menschen will sie hören

Auf die Frage, wie sie der Unzufriedenheit im Land begegnen wird, wird die Kanzlerin grundsätzlich. Protestparteien würden immer dann entstehen, wenn Probleme nicht gelöst werden. "Für mich bedeutet das, Menschen zu überzeugen, Probleme zu lösen und nicht den ganzen Tage darüber zu reden, was nicht getan wird." Es klingt wie ein indirekter Kommentar zur Schwesterpartei CSU, die ihr im ersten Halbjahr das Leben schwer gemacht hat. Aber so ist es womöglich gar nicht gemeint. Merkel fährt fort: "Das is

jetzt meine Antwort: Auf die Menschen zu hören und zu sagen, wo müssen wir besser werden."

Ein junger Mann beklagt, er sehe auf bundes- und europapolitischer Ebene wenig Beiträge zur Integration von Flüchtlingen. Merkel schüttelt den Kopf. Deutschland habe da schon große Fortschritte gemacht. Aber es werde fast nur noch über das gesprochen, was nicht gut sei: "Die vielen Sachen, die klappen, müssen wir gleichberechtigt in den Vordergrund stellen." Merkel spricht über Afrika und asiatische Länder, aus denen Menschen aus wirtschaftlichen Gründen nach Europa kämen. "Hier muss die Antwort wiede

sein, eine Situation zu schaffen, in der beide Seiten gewinnen."
Nach fast 90 Minuten ist nur noch Zeit für drei Fragen. Eine rothaarige Frau gibt ein flammendes Bekenntnis ab, in dem auch ein Vorwurf an Merkels Politikstil steckt. Mit ihrem Verstand sei sie ganz bei Merkels rationalem, unaufgeregtem Pragmatismus, bekennt sie und fährt fort: "Mit meinem Herzen und meinen Gefühlen bin ich bei den Leidenschaften eines Herrn Macron." Davon brauche es mehr. Zwei der drei letzten Fragen beantwortet Merkel, auf die nach der Leidenschaft geht sie nicht ein. Die Bürger nehmen es ihr nicht übel. Es gibt Applaus.

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