
© Robin Van Lonkhuijsen/dpa
Untätigkeit beim Klimaschutz schadet der Landwirtschaft: Die Niederlande sind ein warnendes Beispiel
Weil die nachhaltige Transformation verzögert wurde, sind viele Höfe bedroht. Deutschland muss das besser machen. Ein Kommentar.
Stand:
Den 16-jährigen Bauernsohn Jouke kennt inzwischen fast jeder Niederländer. Der junge Mann wäre beinahe das erste Todesopfer in einem Konflikt geworden, der sich dramatisch zuspitzt.
Seit über zwei Wochen gehen in unserem Nachbarland Landwirte auf die Barrikaden. Sie blockieren Autobahnen und Großlager von Supermärkten, stecken Heuballen in Brand und halten Mahnwachen vor den Häusern von Politikern. Sie sammeln sich mit ihren Treckern zu Protestzügen. Auch Jouke war dabei. Als er aus dem Korso ausscherte, schoss die Polizei. Der Schuss ging knapp daneben.
Das zeigt: Die Sache ist ernst. Viele Bauern fürchten um ihre Existenz. Um das Klima zu retten und das Grundwasser zu schützen, muss die Regierung die Emission von Stickoxid und Ammoniak drastisch senken. Das trifft vor allem die Viehhalter. Etwa 30 Prozent der Tierhalter werden ihren Betrieb aufgeben müssen.
Auch Deutschland hat ein Klima- und Grundwasserproblem
Deutsche Landwirte solidarisieren sich mit ihren niederländischen Berufskollegen. Sie fürchten, dass ihnen dasselbe droht wie den Nachbarn. Denn auch Deutschland hat ein Klima- und Grundwasserproblem. Vor allem dort, wo viele Tiere auf wenig Raum gehalten werden, ist das Grundwasser mit Nitraten belastet. Auf Druck der EU-Kommission schärft die Bundesregierung nach: In deutlich mehr Gebieten gelten jetzt strengere Auflagen für das Düngen.
[Für alle, die Berlin schöner und solidarischer machen, gibt es den Tagesspiegel-Newsletter „Ehrensache“. Er erscheint immer am zweiten Mittwoch im Monat. Hier kostenlos anmelden: ehrensache.tagesspiegel.de.]
So verständlich die Ängste der deutschen Bauern sind: Holland sollte ihnen eine Mahnung sein. Unser Nachbarland zeigt, wohin es führt, wenn Landwirtschaft auf Kosten der Umwelt versucht, große Mengen zu niedrigen Preisen zu produzieren. In den Niederlanden gibt es pro Quadratmeter deutlich mehr Vieh als in Deutschland. Das kleine Land ist einer der größten Exporteure von Agrarprodukten.

© www.imago-images.de
Doch der Preis, den die Allgemeinheit für den Exporterfolg zahlt, ist hoch: Seit Jahrzehnten überschreiten die Niederlande die europäischen Normen für den Stickstoff-Ausstoß. Die Regierungen haben das zugelassen. Ein Gericht zwang die Politik nun zum Handeln. Jetzt werden die Einschnitte umso härter.
Deutschland sollte daraus seine Lehren ziehen: Landwirtschaft muss in Einklang mit der Natur und nicht gegen sie geschehen. Das ist auch im Interesse der Bauern. Denn ohne gesunde Böden, ohne Insekten und ausreichende Niederschläge ist ihre Existenzgrundlage bedroht. Aber das darf nicht passieren.
Wenn wir unsere Ernährung sichern und Einfluss darauf behalten wollen, mit welchen Umwelt- und Tierwohlstandards unser Essen hergestellt wird, muss die Landwirtschaft im eigenen Land bleiben. Dafür braucht sie Zukunft und eine Perspektive. Qualität statt Quantität, mehr Bio, mehr regionale Lebensmittel, nur noch so viele Tiere wie sie das Land um die Mastanlagen herum verträgt.
Der Umbau der Landwirtschaft ist nötig, aber Landwirtschaftsminister Cem Özdemir muss die Bauern mitnehmen: Sie brauchen verlässliche Zusicherungen, wie sie langfristig profitabel arbeiten können.
Die Zeit drängt, auf vielen Höfen steht die Nachfolge an. Das Timing ist schwierig: Schon jetzt sind Lebensmittel so teuer wie nie. Aber vielleicht wäre paradoxerweise genau jetzt die Zeit umzusteuern. Denn die hohen Preise liegen nicht zuletzt daran, dass der Dünger so teuer geworden ist. Stickstoffdünger, für dessen Herstellung man Gas braucht, kostet heute das Vier- bis Fünffache des Vorjahres. Barrikaden zu bauen, ändert daran nichts. Umdenken schon.
Heike Jahberg
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: