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Politik: Die Ostler regieren

Von Antje Sirleschtov

Huch, wie konnte das passieren? Noch keine zehn Wochen sind vergangen, seitdem er aus Bayern herübergedröhnt ist, der Vorwurf vom Dauerfrust der Ostdeutschen. Alles nur Kälber, irgendwie immer noch dumpf, diese ExDDRler, PDS wählende Erneuerungsverweigerer auf jeden Fall und also überhaupt nicht akzeptabel, dass die über Regierungsgeschicke im ganzen Land bestimmen. War das ein west-östliches Gemetzel, uiuiui!

Und nun: Ausgerechnet aus der Uckermark stammt die Frau, die drauf und dran ist, erste Bundeskanzlerin der vereinigten Republik zu werden. Und ihr wichtigster politischer Partner in der großen Koalition, der neue SPD-Parteichef Matthias Platzeck: ein Kind Potsdams. Zwei Brandenburger stehen an der Spitze der deutschen Volksparteien. Und das bedeutet – ja man traut es sich fast gar nicht in dieser Klarheit aufzuschreiben: Zwei Ossis werden jetzt Deutschland regieren.

Das fühlt sich komisch an im ersten Moment, ungewohnt und beinahe auch ein bisschen unbehaglich. Für uns und euch trifft das wahrscheinlich gleichermaßen zu. 15 Jahre sind keine besonders lange Zeit, um den Pulsschlag einer Partei, eines ganzen Volkes, zu erfühlen. Selbstverständlich für das wiedervereinigte Deutschland ist die nahende Regentschaft des Ost-Paares deshalb noch lange nicht. Ein Zufall, mehr nicht, spült jetzt Platzeck an die Spitze seiner Partei. Auch wenn dieser Zufall gedeutet werden kann, weil Merkel nämlich seinerzeit unter ganz ähnlichen Umständen an die Spitze der Union gekommen ist: hier wie da erschütterte Parteitanker ohne im Westen aufgewachsenes Führungspersonal, das quasi auf natürliche Weise die Steuerung übernehmen kann. Ossis kamen in beiden Fällen also an die Parteimacht, als Altbewährtes den Stürmen der Zeit nicht mehr gewachsen zu sein schien. Und weil es dem ganzen Land mit der Globalisierung und dem Generationenrisiko und all den anderen so gewaltigen Problemen irgendwie ähnlich geht, ist es vielleicht sogar ganz gut, zwei solche Politiker an der Spitze zu haben: Das sind zwei ohne klare Lagerzugehörigkeit, die doch allzu oft in der Politik den Blick nach vorn verstellt.

Was folgt nun daraus? Wird Deutschland jetzt ostdeutsch regiert, ein solidarpaktfinanziertes Jammertal überall? Unsinn, natürlich. Merkel und Platzeck sind so unterschiedlich, wie Ostdeutsche eben unterschiedlich sind. Westdeutsche übrigens auch. CDU- und SPD-Mitglieder sowieso. Selbst mit ihrer Herkunft, ihren Lebenserfahrungen in der DDR, gehen sie auf ganz verschiedene Weise um: Merkel eher gar nicht und wenn, dann seltsam verschämt, Platzeck dafür ziemlich offensiv.

Was sie allerdings auf merkwürdige Weise eint, ist der politische Pragmatismus, den die Christdemokratin und der Sozialdemokrat verströmen. Mancher nennt es sogar Gesichtslosigkeit und meint damit etwas Kaltes, das Fehlen eines tiefen Verständnisses für die Traditionen des Westens. Vielleicht kann man das auch in noch so intensiven 15 Lebensjahren nicht bekommen. Platzecks für viele Sozialdemokraten neoliberaler Reformton zum Beispiel gehört in diese Abteilung. Der wird noch so manchem Bochumer Alt-Sozi bitter aufstoßen.

Auch das katastrophale Wahlergebnis der Union kann man ein Stück weit diesem Phänomen zuschieben. Aufmerksamen Zuhörern in Merkels Wahlkampf sind dann und wann die kleinen Misstöne der historischen Unsicherheit nicht entgangen, wenn sich die CDU-Chefin zur Enkelin der großen sozialen Marktwirtschaft Ludwig Erhards aufschwang. Ausgerechnet Merkel singt das Hohelied des Wettbewerbs? Woher will so eine aus dem Osten wissen, wie und warum aus Erhards reiner Lehre das Land der steuerlichen Pendlerpauschalen wurde, die sie jetzt abschaffen will?

Vorerst letzte Erkenntnis zum östlichen Regierungsdoppel: Geht doch, die West-Karriere mit Ost-Abitur. Von wegen Duckmäuser ohne Durchsetzungskraft. Und das Beste daran ist: Merkel und Platzeck, beide 51 Jahre alt, schicken sie nun endgültig in Rente, die Berufs-Ostdeutschen, die ewig Betroffenen, die Quotenossis.

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