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"Und erlöse uns von allen Üblen" #24: Die Witwe legt einen Schwur ab

Die Partei des erschossenen Rechtsnationalen will dessen Tod nutzen. Die Ermittler kommen voran. Ein Fortsetzungsroman, Teil 24.

Was bisher geschah: Die Polizei sucht im Mordfall Freypen nach Spuren. Die Witwe des Parteichefs übernimmt dessen Rolle.

In 100 Teilen bis zur Bundestagswahl 2017 erscheint der Politkrimi "Und erlöse uns von allen Üblen" online als Fortsetzungsroman im Tagesspiegel. Hier Folge 24 vom 9. Juli.

Dass sie nicht mehr ihre echte Flagge zeigen konnten bei der Kundgebung, haben die PR-Strategen der Partei dann aber doch geschickt überspielt. "Der erste Schuss des Mörders traf Deutschland", schluchzte Karl Mulder ins Mikrophon und hob dann eine schwarz-rot­goldene Fahne hoch, die er sich besorgt hatte und die etwa an der Stelle ein Loch aufwies wie das Original, "der zweite Schuss traf dann die Hoffnung Deutschlands: Joachim Freypen."

Danach hatten die versammelten Anhänger - so viele wie erhofft waren es aber nicht - die Nationalhymne gesungen und darauf gewartet, dass wie angekündigt die Witwe ihres Vorsitzenden zu ihnen sprechen würde. Das verzögerte sich. Also gab es bis dahin eine Ansprache Freypens vom Band, die er in Sachen Innere Sicherheit vor ein paar Wochen gehalten hatte. Manche der uniformierten Polizisten, die dafür sorgten, dass die Demonstranten von der anderen Seite nicht handgreiflich werden konnten, stimmten zu, als sie unfreiwillig der Rede des Toten lauschten. Zeigten aber keine Regung.

Helga Freypens Flug aus der Türkei hatte sich wegen schlechten Wetters vor Ort verspätet, sie landete gerade erst in Fuhlsbüttel, als der letzte Ton vom Vaterland verklang, das blühen sollte und die angebliche Fahne von Freypens Wand schon wieder unauffällig in einem Karton verstaut war. Ebenfalls im Kofferraum eines Autos.

Als sie auf der Moorweide ankam, hörte auch sie die Stimme ihres Mannes und erschrak ein wenig. Auf dem Weg zum Rednerpult allerdings hatte sie sich wieder gefasst und die Fotografen, die sie ins Visier nahmen, sahen nichts als eine offensichtlich in Trauer erstarrte Frau, die sich am Mikrophon festzuhalten schien, als sie sprach:

"Ich kann nicht viel sagen, weil ich noch immer nach Worten suche. Worte für das Unsagbare, das geschehen ist. Ein ruchloser Killer hat meinen Mann getötet, Joachim Freypen. Den Mann, auf den so viele von Ihnen ihre Hoffnungen gesetzt haben. Den Mann, der wie kein anderer die wahren Probleme der kleinen Leute verstanden hat, die plötzlich Fremde sind im eigenen Land, umgeben von Schwarzen und von Zigeunern und Muslimen. Den Mann, den viele der etablierten Herren in Berlin so fürchten gelernt haben in den vergangenen Jahren. Wissen die vielleicht insgeheim, wer ihn ermordet hat? Wer sie von ihrem härtesten Gegner rechtzeitig vor den kommenden Wahlen befreit hat? Wer den Auftrag zum Mord gegeben hat? Wir werden denen auf die Finger klopfen, mit Wotans Wut und Thors Hammer, falls sie versuchen sollten etwas zu vertuschen.

Ach, armes Vaterland. Einer deiner Besten ist von uns gegangen. Ein Mörder hat ihn uns entrissen, mir den Mann, uns allen den Vater. Ja, uns allen. Denn wir sind eine Familie. Aber Joachim Freypens Ideen kann keiner töten, keiner. Die werden weiter in uns und mit uns leben. Hiermit schwöre ich vor Gott und Deutschland: Ich werde in seinem Sinne weitermachen."

Weil sich das zwar alles schwachsinnig anhörte und deshalb die letzte Rede, die Helga Freypen selbst formulieren durfte, aber irgendwie doch tiefsinnig deutsch klang, sangen alle gleich die Nationalhymne noch einmal.

Die Schusswinkel stellten die BKA- Experten mit einer Art Laserstrahl nach, solche Geräte hatten sie immer in ihrem Equipment, wenn sie nach Anschlägen eingesetzt wurden. Gingen damit eher unauffällig um, seit es bei der Rekonstruktion nach der Ermordung Detlev Rohwedders 1991 einem Fotografen gelungen war, ihre Methode optisch festzuhalten. Sie maßen einmal von dem Loch in der Wand aus, einmal vom Kopf einer Puppe, die sie so an den Schreibtisch gesetzt hatten wie laut Tatortfoto Freypen gefunden worden war.

Es blieben aufgrund der Messungen als möglicher Standort für den Schützen nur die Fenster in den oberen Wohnungen des ehemaligen IDUNA-Hochhauses jenseits der Straße übrig, andere Möglichkeiten, also zum Beispiel Schüsse von einem der Bürogebäude daneben, konnten ausgeschlossen werden. Das erleichterte die Spurensuche. Falls es dort überhaupt Spuren geben sollte. Welches Fenster es genau war, aus welcher Wohnung die Schüsse gefallen waren, ließ sich auf diese Art nicht mit letzter Bestimmtheit sagen. Aber Höhe und Richtung stimmten.

Wie vor ihr der Mörder benutzt Susanne Hornstein das PIOS-System, um die Bewohner der in Frage kommenden Wohnungen zu ermitteln. Vier Namen erscheinen auf dem Bildschirm, darun­ter auch , wie von Krucht vermutet, der von Andrea Hofwieser.

"Ist das nicht die Reporterin , von der das berühmte Foto stammt?", fragt sie mehr rhetorisch, denn natürlich weiß sie es. Noch immer sieht man ihr nicht an, dass sie die ganze Nacht nicht geschlafen hat. Im Hotel hat sie nur kurz geduscht und etwas anderes angezogen, wieder ein dunkles Kostüm, von dem sie mehrere haben muss, aber das hat allenfalls eine halbe Stunde gedauert. Der Fahrer, der unten auf sie gewartet hat, war noch nicht mal beim Sportteil seiner Zeitung angekommen, als sie wieder einstieg.

Georg Krucht ist nach Hause gefahren, um ein bisschen auszuruhen, nachdem er während einer Einsatzbesprechung plötzlich weggesackt war und geweckt werden musste.

Drei aus ihrer Gruppe sitzen um Susanne Hornstein herum, die anderen haben sich im Bereitschaftsraum des Polizeipräsidiums hingelegt und sollen in vier Stunden wieder übernehmen. Die Entscheidung, wer bei solchen Untersuchungen wie jetzt, wo es auf jede Minute ankommen konnte, anfangen muss und wer zunächst schlafen darf, fiel wie üblich unter ihnen per Los.

Und morgen lesen Sie: Die Polizei befragt die Nachbarn der Reporterin.

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