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Muslimische Männer beten in der Khadija Moschee zum muslimischen Fest Eid al-Adha. Das Opferfest ist das wichtigste Fest im Islam. Es erinnert an Abrahams Bereitschaft, seinen Sohn auf Gottes Geheiß zu opfern.

© dpa/Annette Riedl

Diskriminierung von Muslimen nimmt massiv zu: Islamverband kritisiert „enthemmte politische Sprache“

Die Zahlen erschrecken. Doch wie umgehen mit Übergriffen auf Muslime in Deutschland? Ein Muslimvertreter hat eine konkrete Forderung.

Stand:

Die Zahl antimuslimischer Übergriffe und Diskriminierungen hat im vergangenen Jahr laut dem Netzwerk „Claim“ mit 3080 dokumentierten Fällen einen Höchststand erreicht. Das sei ein Anstieg um 60 Prozent. In 71 Prozent der Fälle waren Frauen betroffen.

Bei „Claim“ haben sich nach Angaben des Netzwerks derzeit 51 Akteure der Zivilgesellschaft zusammengeschlossen. Gefördert wird es unter anderem vom Familien- und Innenministerium.

Für viele Menschen sei Diskriminierung Alltag, so die Autoren, vielfach im Kontext von Debatten zu Sicherheit, Migration und Asyl, konkret etwa bei der Wohnungssuche, beim Arztbesuch und in der Schule – rund 22 Prozent der Vorfälle ereigneten sich laut Studie im Bildungsbereich, 10 Prozent bei der Arbeit.

Rima Hanano, Co-Geschäftsführerin von Claim, erklärte bei der Vorstellung der Zahlen am Dienstag, dass viele Betroffene Angst hätten und sich isoliert fühlten. „Frauen mit Kopftuch werden bespuckt, Kinder werden auf dem Schulweg beschimpft, Moscheen werden mit Hakenkreuzen beschmiert“, sagte Hanano im Tagungszentrum der Bundespressekonferenz.

Eine aktuelle Erkenntnis zur Motivation der Täter: Im Zuge des Überfalls der Hamas seien Muslime pauschal unter Generalverdacht gestellt worden, Terrorismus und Gewalt zu verherrlichen.

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Die Datenerhebung sei jedoch weiterhin schwierig, weil die Betroffenen staatlichen Institutionen wie auch zivilgesellschaftlichen Stellen gegenüber misstrauisch seien. Es sei von einer hohen Dunkelziffer auszugehen, zumal flächendeckende Beratungs- und Meldestrukturen fehlten. Die Studie stelle daher nur einen Ausschnitt der Realität dar.

Zum Vergleich: Im vergangenen Jahr erfassten die Behörden mehr als 5000 antisemitische Straftaten. In der Claim-Studie wurden dagegen Fälle oberhalb und unterhalb der Strafbarkeit erfasst.

Von den registrierten Fällen bei „Claim“ bezögen sich 1558 auf verbale Angriffe, erfasst worden seien 659 Diskriminierungen sowie 585 Fälle verletzenden Verhaltens, darunter 198 Körperverletzungen und 122 Sachbeschädigungen. Konkret wurden allein 67 Angriffe auf Moscheen erfasst, darunter Hakenkreuz-Schmierereien und Verweise auf die NS-Zeit, außerdem zwei Tötungsdelikte.

Bei den verbalen Angriffen machten laut Studie Volksverhetzungen mit knapp 55 Prozent den größten Anteil aus, gefolgt von Beleidigungen. Auffällig: Aus dem Lagebild gehe wiederholt hervor, dass Erwachsene Kinder angriffen. Auch diese Zahlen nähmen zu. Zudem würden Frauen in Gegenwart von Kindern angegriffen.

Wir brauchen mehr Sensibilisierung – in Schulen, bei der Polizei und in den Behörden insgesamt.

Ali Mete, Generalsekretär der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG)

Was folgt daraus? In der Studie heißt es, der Staat müsse Sorge tragen, dass Betroffene umfassende Unterstützung erhalten und es brauche mehr unabhängige und niedrigschwellige Beschwerdemöglichkeiten. Zudem müsse der nationale Aktionsplan gegen Rassismus endlich überarbeitet werden.

Analog zu Antisemitismus und Antiziganismus brauche es ein breiteres zivilgesellschaftliches Monitoring. Zudem müssten Strafverfolgung und Prävention verbessert werden. Auch eine ständige Bund-Länder-Kommission Rassismus wird gefordert sowie ein Gedenktag gegen antimuslimischen Rassismus.

Der Generalsekretär der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG), Ali Mete, forderte gegenüber dem Tagesspiegel mehr Sensibilisierung in Behörden und einen eigenen Bundesbeauftragten.

Der Generalsekretär der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG), Ali Mete.

© IGMG

IGMG gehört zu den großen Islamverbänden in Deutschland, hat nach eigenen Angaben rund 200.000 Mitglieder in Deutschland und betreibt vielerorts türkischsprachige Moscheen.

Zum Hintergrund: Im aktuellen Verfassungsschutzbericht wird IGMG weiterhin genannt. Zuletzt hieß es jedoch, Extremismusbezüge seien in den vergangenen Jahren schwächer geworden. Mete argumentiert, dass IGMG in 14 von 16 Bundesländern nicht mehr in den Verfassungsschutzberichten erwähnt werde.

Mit Blick auf die Zahlen sagt er: „Der starke Anstieg überrascht mich, gerade im Vergleich zum Vorjahr. Angesichts der Eskalation in Gaza, der Rhetorik der AfD und der zunehmend enthemmten politischen Sprache rund um Migration war eine Zunahme zwar absehbar – doch das Ausmaß ist alarmierend.“ Mete forderte: „Umso dringlicher ist jetzt eine politische Kurskorrektur und verbaler Abbau. Wer Verantwortung trägt, muss sich der Wirkung seiner Worte bewusst sein.“

Enttäuscht von Innenminister Dobrindt

Der IGMG-Generalsekretär forderte: „Wir brauchen mehr Sensibilisierung – in Schulen, bei der Polizei und in den Behörden insgesamt. Noch immer vermitteln Schulbücher ein verzerrtes Bild: Migration wird überwiegend als Problem dargestellt, nicht als Teil unserer gesellschaftlichen Realität.“ Antimuslimischer Rassismus gehöre verbindlich in die Aus- und Fortbildung von Lehrkräften. Das geschehe noch nicht ausreichend, so Mete.

Mit Blick auf die Pläne von Schwarz-Rot sagte Mete: „Von Bundesinnenminister Alexander Dobrindt ist bei uns in den islamischen Gemeinschaften bislang wenig angekommen. Die Zukunft der Deutschen Islamkonferenz ist unklar. Da weiß man offenbar noch nicht, wie es weitergehen soll.“

Gleichzeitig sieht der IGMG-Vertreter die Bundesregierung in der Pflicht: „Auch das Bundesinnenministerium könnte ein klares Zeichen setzen – etwa mit der Berufung eines Beauftragten gegen antimuslimischen Rassismus, analog zum Antisemitismus-Beauftragten.“ Angesichts der hohen Zahl an Übergriffen und der vielen Millionen Musliminnen und Muslime in Deutschland sei dies überfällig. „Das Thema braucht institutionelle Verankerung – auch über zivilgesellschaftliche Initiativen hinaus.“

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