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Ein Fahrzeug der Polizei steht in der Nähe des Hauses von Minister Van Quickenborne in Kortrijk. Van Quickenborne steht seit diesem Wochenende unter verstärktem Polizeischutz. Vier Personen, von denen bekannt ist, dass sie mit Drogendelikten in Verbindung stehen, wurden in den Niederlanden festgenommen, weil sie ihn und seine Familie bedroht hatten und möglicherweise eine Entführung planten. Foto: dpa/Kurt Desplenter

© dpa / dpa/Kurt Desplenter

Drogenkrieg in Belgien: Entführung von Justizminister vereitelt

Beinahe hätte die Mafia ein Kabinettsmitglied entführt. Der Fall zeigt die gigantischen Probleme des Landes mit dem internationalen Rauschgifthandel.

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Man stelle sich vor, Bundesjustizminister Marco Buschmann sollte von der Drogenmafia gekidnappt werden. In der Nähe seines Wohnhauses würde ein Auto mit Kalaschnikows und anderen Waffen entdeckt. Ermittler könnten die Entführung noch verhindern, doch der Schock sitzt tief. So ist es gerade im Nachbarland Belgien geschehen.

Dort hatten Kriminelle aus dem Drogenmilieu einen Angriff auf den Staat geplant. Die Behörden sprechen von einer „ernsten Bedrohung“ des Justizministers Vincent Van Quickenborne, der der wuchernden Drogenkriminalität zuletzt den Kampf angesagt hatte.

Die belgische Staatsanwaltschaft gibt sich in der Sache zugeknöpft. Sie gibt nur so viel Preis, dass sie Mitte vergangener Woche „über eine mögliche Bedrohung“ Van Quickenbornes informiert worden sei. „Die ersten Ermittlungen zeigten schnell, dass diese Bedrohung ernst genommen werden musste“, heißt es weiter.

27,64
So viele Tonnen Kokain stellte der belgische Zoll allein im Februar 2021 im Hafen von Antwerpen sicher.

Bei einer Kontrolle wurde schließlich nahe des Wohnhauses des Ministers ein Auto mit niederländischem Kennzeichen durchsucht. Im Kofferraum wurden Kalaschnikows und Benzinflaschen entdeckt. Überraschend schnell kamen die Ermittler auf die Spur der Verdächtigen, die in den Niederlanden festgenommen werden konnten.

Die Häfen sind das Tor zu Europa
Die Männer haben nach Angaben der Polizei Verbindungen ins Drogenmilieu, was für die Ermittler keine Überraschung war. Belgien ist mit seinen gerade mal 11,5 Millionen Einwohnern zu einem der wichtigsten Umschlagplätze für Drogen in Europa geworden. Diese kommen am Hafen von Antwerpen an und werden von dort aus über den Kontinent, nach Asien, in den Nahen Osten oder auch nach Australien verteilt. Der zweitgrößte Einfuhrhafen für Kokain ist Rotterdam. Die Häfen sind für die internationale Drogenbanden sehr attraktiv.

Der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht zufolge lag der Verkaufswert des Kokains in der EU 2020 bei mindestens 10,5 Milliarden Euro. Seit 2017 seien in jedem Jahr Rekordmengen in Europa konfisziert worden. Allein im Frühjahr 2021 stellte der belgische Zoll innerhalb von sechs Wochen 27,64 Tonnen Kokain im Hafen von Antwerpen sicher. Dieser Erfolg war vor allem auf die Entschlüsselung des Messengerdienstes Sky ECC zurückzuführen. Mehr als 1200 Verdächtige wurden dadurch in Belgien festgenommen.

Vincent Van Quickenborne, belgischer Justizminister. Foto: dpa/Olivier Matthys

© dpa / Olivier Matthys

Solche Funde sind allerdings nur ein kleiner Teil des Problems – ärgerlich für die Drogenbanden, aber ohne große Auswirkungen auf den Markt. Möglich macht all das auch Korruption in großem Stil, wie die EU-Beobachtungsstelle schreibt. Hafenarbeiter, private Wirtschaft, Regierungsangestellte – alle hängen zum Teil mit drin.

Die Polizei beklagt immer häufiger, dass ihnen die Bandenmitglieder regelrecht auf der Nase herumtanzen würden. Diese agieren längst nicht mehr im Verborgenen und in manchen Vierteln von Antwerpen werden die Auseinandersetzungen zwischen den rivalisierenden Gruppen auf offener Straße ausgetragen. Immer wieder kommt es zu Schießereien, Sprengsätze explodieren, Beobachter sprechen von einem regelrechten Drogenkrieg.

Oft kommen die Täter aus den Niederlanden, die direkt an Antwerpen grenzen. Junge Männer, die im Auftrag einer organisierten Bande handeln. Auch die vier Hauptverdächtigen für die vereitelte Entführung des Justizministers sind Niederländer. Sie wurden in der Region Den Haag festgenommen und sollen ausgeliefert werden.

Die Mafia nimmt das Land in Besitz.

Ignacio de la Serna, oberster Generalstaatsanwalt Belgiens

Die kriminellen Netzwerke von Belgien und den Niederlanden seien eng miteinander verzahnt, sagte der niederländische Kriminologe Professor Cyrille Fijnaut der Tageszeitung „De Volkskrant“. „Niederländische Kriminelle gehen nach Belgien und umgekehrt, sie missbrauchen die Grenze, um der eigenen Polizei und Justiz zu entgehen.“ Fijnaut sieht mafiaähnliche Strukturen in beiden Ländern. „Wir sehen, dass die Grundzüge der Mafia übernommen werden bis zur höchsten Ebene, wie Gewalt gegen den Staat.“

Auch die Niederlande haben arge Probleme
In Amsterdam wurde Mitte 2021 der Kriminalreporter Peter de Vries auf offener Straße erschossen. Die Ermittler gehen davon aus, dass eine berüchtigte Drogenbande für den Mord verantwortlich ist. Der oberste Generalstaatsanwalt Belgiens, Ignacio de la Serna, schlug im Februar Alarm. Er beklagte in einem Interview, dass die Behörden dramatisch unterbesetzt seien. „Die Mafia nimmt das Land in Besitz.“

Auch der Generalstaatsanwalt von Brüssel, Johan Delmulle, sieht die Gefahr, dass Belgien ein „Narco-Staat“ wird. Er sagte kürzlich, dass die organisierte Kriminalität eine immer größere Rolle im Kokainhandel spiele. Dies führe zu einem „immer gewalttätigeren Wettbewerb zwischen diesen Clans und zu schweren Konflikten mit hauptsächlich niederländischen kriminellen Organisationen“.

Dadurch nehme die drogenbezogene Gewalt zu. Delmulle sprach von Angriffen mit Granaten, Einschüchterung und Morden. Zudem lege der Kokainhandel den Keim für andere Formen der Kriminalität wie Geldwäsche, Korruption und Immobilienbetrug.

Der belgische Justizminister Van Quickenborne versuchte, den Kampf in seinem Land mit der organisierten Kriminalität aufzunehmen. Er stattete etwa die Behörden mit mehr Personal aus, schuf eine neue Ermittlungsbehörde für den Hafen und schloss einen Auslieferungsvertrag mit den Vereinigten Arabischen Emiraten ab. Dafür sollte er nun offenbar büßen. Die Bundesstaatsanwaltschaft erklärte nach den ersten Ermittlungen zur vereitelten Entführung, dass „diese Bedrohung ernst genommen werden musste“.

Vincent Van Quickenborne, der immer wieder die öffentlichen Auftritte gesucht hat, ist vorerst untergetaucht. Zusammen mit seiner Frau und seinen Kindern steht der Politiker an einem unbekannten Ort unter Polizeischutz. „In unserem Rechtsstaat werden wir uns niemals der Gewalt beugen, niemals“, sagte er aus seinem Versteck heraus. (mit dpa)

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