
© IMAGO/Markus Matzel
Drohende Machtbeteiligung der AfD: Die Spaltung, die es zu überwinden gilt
Statt Verständnis für Rechtsextreme braucht es Verständnis unter Demokraten – und das Wachrütteln jener, die den Ernst der Lage noch immer nicht erkannt haben.

Stand:
Es gibt auf Instagram diese Videos, die Menschen am Strand zeigen. Die filmen mit ihren Smartphones, wie gerade ein Tsunami auf sie zurast. Beobachten in aller Ruhe, wie sich die Welle nähert und haben noch gar nicht begriffen, wie akut sie selbst in Gefahr sind.
Diese Videos kommen mir in den Sinn, wenn ich an die AfD denke.
Dass die Rechtsextremen an die Macht wollen, kommunizieren sie offen. Die Wahrscheinlichkeit, dass es ihnen auf absehbare Zeit gelingen wird, wächst kontinuierlich.
Das Schweigen nach dem Alarm
Vor drei Monaten schlug eine Bundesbehörde Alarm. Ihre Experten legten Tausende Beweise vor, doch wenig passierte. Die Gefahr einer Machtbeteiligung Rechtsextremer, auch auf Bundesebene, ist seitdem bloß realer geworden.
Vor ein paar Jahren hätte ich es noch absurd gefunden, einen Text wie diesen zu schreiben. Unsere Demokratie ist so gefestigt und unser Rechtsstaat so wehrhaft, hätte ich argumentiert. Das reicht ganz sicher, um Rechtsextreme von der Macht fernzuhalten. Inzwischen finde ich die Vorstellung unrealistisch, 2029 könnte noch eine Brandmauer existieren.
Es frustriert, Menschen dabei zuzusehen, wie sie die Gefährlichkeit der AfD weiterhin unterschätzen. Besonders verbreitet scheint das bei Menschen zu sein, die keine Kenntnis von den realen Zuständen in Teilen des deutschen Ostens haben. Also dort, wo Rechtsextreme bereits die Oberhand haben und Fakten schaffen. Ich bewundere Demokraten, die in solchen Gegenden immer noch ausharren und dagegenhalten.
Immerhin gab es zwei bundesweite, riesige Protestwellen: Anfang 2024 nach den Correctiv-Enthüllungen und ein Jahr später, als der damalige Kanzlerkandidat Friedrich Merz im Parlament auf Stimmen der AfD setzte. Dabei zeigte sich jeweils sehr eindrucksvoll, dass Deutschland zumindest über eine wehrhafte Zivilgesellschaft verfügt.
Angesichts des Tempos, mit dem aus verschiedenen Richtungen am Niederreißen der Brandmauer gearbeitet wird, und angesichts drohender weiterer Wahlerfolge der AfD – zum Beispiel kommendes Jahr in Sachsen-Anhalt – ist die dritte Protestwelle absehbar. Ich frage mich, was sie konkret auslösen wird, wie diese Proteste dann aussehen werden, ob sie noch größer ausfallen und was sie bewirken können.
Das Wissen darum, dass sich die Zivilgesellschaft unsere Demokratie nicht einfach wegnehmen lassen wird, ist einer der wenigen Hoffnungsschimmer in diesen Tagen.
Die Rechtsextremisten der AfD sind genau die Personen, vor denen mich meine Lehrer früher gewarnt haben. Meine Schule war nach Konrad Adenauer benannt, die CDU lag in meiner Heimatstadt bei über 50 Prozent. Einige Lehrer waren also recht konservativ, doch auch die Konservativsten unter ihnen vermittelten ihren Schülern, dass man die Gefahr von rechts unbedingt ernst nehmen sollte, würde sie jemals wiederkehren. Und dass so etwas nie wieder geschehen darf.
Heute sitzt in unseren Parlamenten eine rechtsextreme Partei, in der ein Faschist wesentlich den Ton angibt. Der deutsche Inlandsgeheimdienst hat offiziell festgestellt, dass diese Partei verfassungsfeindlich ist.
In Umfragen liegt die AfD mittlerweile bei 25 Prozent. Das ist noch einmal deutlich mehr als bei der jüngsten Bundestagswahl. Drei von vier Wahlberechtigten haben weiterhin nicht vor, der AfD ihre Stimme zu geben. Und zwei von drei Deutschen halten die Partei für eine existenzielle Bedrohung.
Die Strategie der AfD ist bekannt
Die Rechtsextremen machen kein Geheimnis daraus, wie sie dennoch an die Macht gelangen wollen: indem sie die Spaltung des demokratischen Lagers weiter verstärken und die Union schließlich auf ihre Seite ziehen. Spätestens 2029 soll es so weit sein, vielleicht schon früher.
Es entsetzt mich zu sehen, wie manche Christdemokraten versuchen, Antifaschismus zu dämonisieren. Und wie sie Parteifreunde einfach gewähren lassen, die mit der AfD kuscheln. Was hätten meine Lehrer damals zu solchem Verhalten gesagt?
Die Spaltung, die es in diesem Land zu überwinden gilt, ist nicht die zwischen AfD und Demokraten. Sondern die zwischen allen Demokraten, die Rechtsextremismus entschieden ablehnen, jedoch unterschiedliche Vorstellungen davon haben, wie sich deren Griff nach der Macht abwehren lässt.
Dafür braucht es Geduld, gegenseitige Empathie und immer wieder den Versuch, die Perspektive des Anderen nachzuempfinden. Dazu gehört auch, beim nächsten Mal gemeinsam auf die Straße zu gehen. Gelegenheit dazu wird es noch geben.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: