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Kämpferinnen und Kämpfer der "Kurdischen Volksverteidigungseinheiten" (YPG) in Syrien.

© AFP

Deutsche Dschihadisten: Ehemalige IS-Kämpfer stecken in kurdischer Haft fest

Die Kurdenmiliz YPG hält in Syrien mindestens 40 deutsche IS-Kämpfer gefangen. Berlin zögert mit der Rücknahme. Ein Kämpfer hat zwei Frauen und eine Sklavin.

Von Frank Jansen

Vergangene Woche gelang den Kämpfern der Kurdenmiliz YPG ein beachtlicher Fang. Im syrischen Dorf Baghus, nahe der Grenze zum Irak, nahmen sie den deutschen Dschihadisten Martin L. in Gewahrsam – zusammen mit seinen beiden deutschen Frauen, die er nach islamischen Recht geheiratet hatte, und zwei Kindern. Der Mann aus Sachsen-Anhalt war mutmaßlich nicht nur Mitglied der Terrormiliz „Islamischer Staat“, sondern auch in deren Geheimdienst tätig, in höherer Position. Er soll zudem eine jesidische Sklavin gekauft haben. Die Bundesanwaltschaft ermittelt gegen Martin L., in Deutschland würde er sich in einem Prozess verantworten müssen. Seine Begleiterinnen womöglich auch. Doch ob und wann es dazu kommt, ist offen. Die Bundesrepublik zögert, Martin L. und die weiteren deutschen Dschihadisten, die sich in der Gewalt der YPG befinden, heimzuholen. Obwohl die Kurden drängeln. Und nun gerät Deutschland auch durch die Politik eines Nato-Partners unter Druck.

Ende Januar wurde bekannt, Frankreich wolle mehr als 100 gefangene französische Dschihadisten heimholen und vor Gericht stellen. Deutsche Sicherheitskreise sind irritiert. Die Sorge ist groß, das Terrorpotenzial in Westeuropa könnte schlagartig wachsen. Doch die Kurden wollten, sagt ein hochrangiger Experte, „dass auch wir unsere Leute zurücknehmen“. Die YPG drohe, „wir lassen die einfach laufen“.

Die kurdische Miliz, ein Ableger der Terrororganisation PKK, aber im Kampf gegen den „IS“ mit den USA verbündet, hält in ihrem Territorium „Rojava“ im Norden und Osten Syriens ungefähr 1000 IS-Leute und deren Angehörige gefangen. Etwa 40 Männer und Frauen, dazu einige Minderjährige, seien aus Deutschland, sagen Sicherheitskreise. Die Zahlen steigen, kurdische Quellen sprechen schon von 60 Deutschen. Die meisten erwachsenen Gefangenen gelten als Mitglieder oder zumindest Unterstützer des IS. Die Kurden sind genervt, Bewachung und Versorgung der Gefangenen kosten Geld und binden Personal.

Würden die Dschihadisten in Deutschland freigelassen?

Die Bundesrepublik setzt auf kleine Schritte. Das Auswärtige Amt antwortet auf Anfrage des Tagesspiegels nur vage, es habe „Kenntnis von Fällen“ deutscher Staatsangehöriger, die sich in Nordsyrien in Gewahrsam befinden sollen, doch „eigene Erkenntnisse“ lägen nicht vor. Eine konsularische Betreuung sei nach der Schließung der deutschen Botschaft in Damaskus – sie erfolgte 2012 – nicht möglich. Hinzu kommt, dass „Rojava“ kein anerkannter Staat ist, auch wenn das die Kurden gerne hätten. Sicherheitskreise sagen, mit der YPG verhandele das Bundeskriminalamt und der Bundesnachrichtendienst befrage deutsche Dschihadisten. „Die Gefangenen aus Deutschland sind uns bekannt“, heißt es. Zumindest die Männer seien Ex-Kämpfer des „IS“.

Als weiterer typischer Fall gilt Fared S., ein Dschihadist aus Bonn. Vergangenen Sonntag war der Deutschalgerier in der ARD-Sendung „Weltspiegel“ zu sehen, ein Reporter hatte ihn in einem kurdischen Gefängnis interviewt. Fared S. sagte, er wolle nach Deutschland zurück. Auch weil er dort in der zu erwartenden Haft mehr Rechte hätte. Beim „IS“ hatte Fared S. sich vermutlich an Hinrichtungen beteiligt. In einem Video der Terrormiliz posiert er vor aufgeschichteten Leichen.

Sollte Fared S. wieder deutschen Boden betreten, wäre auch ihm die Festnahme sicher. Gegen Fared S., Martin L. und mindestens ein Dutzend weitere deutsche Dschihadisten in kurdischem Gewahrsam sind bei der Bundesanwaltschaft Verfahren anhängig.

Die deutschen Sicherheitsbehörden sind auch vorsichtig, weil sie eine unangenehme Erfahrung gemacht haben. Im April 2018 kamen die 31-jährige Sabine S. und ihre zwei Kinder aus kurdischem Gewahrsam frei und nach Deutschland. Die Frau gilt als Mitglied des „IS“, sie hat mutmaßlich in Rakka gelebt, einst IS-Hauptstadt im Norden Syriens. Sie soll einen hochrangigen Kämpfer geheiratet haben, an Waffen ausgebildet worden sein, im Internet für die Terrormiliz geworben und Morde gerechtfertigt haben. Als die YPG Sabine S. im September 2017 in Nordsyrien festnahm, war die Frau mit einer Pistole bewaffnet.

Trotz der „IS“-Biografie blieb Sabine S. in Deutschland erstmal auf freiem Fuß. Die Bundesanwaltschaft hatte im März 2018 einen Haftbefehl beantragt, aber dem Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof reichten die Indizien nicht. Die Bundesanwaltschaft hatte erst mit einer Beschwerde Erfolg. Im Juli erfolgte in Baden-Baden die Festnahme, die drei Monate bis dahin musste S. engmaschig überwacht werden, um zu verhindern, dass die radikalisierte Frau in Deutschland einen Anschlag verübt.

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