Politik: Ein Buh der Demokraten
In der Rede zur Lage der Nation spricht Bush über die Rentenreform – und die Opposition bricht ein Tabu
Es soll die Rede zur Lage der Nation sein, doch wenn George W. Bush redet, geht es auch immer um die Lage der Welt. Und die Welt hört aufmerksam zu, wenn der umstrittenste amerikanische Präsident seit Jahrzehnten über seine Zukunftspläne spricht. Hier im Kapitol hat er die „Achse des Bösen“ beschworen und den Irakkrieg angekündigt. Diesmal ist er moderater im Ton und vorsichtiger in den Formulierungen. Doch alle vertrauten Feindbilder und Denkmuster schimmern durch, wenn Bush seine Agenda erklärt: Drohungen gegen Syrien, Iran und Nordkorea, Optimismus für die Irakmission, konservative Werte für Amerika.
Seit Nixon hat kein amerikanischer Präsident die zweite Amtszeit mit so schlechten Umfragewerten begonnen. Doch das lässt Bush nicht defensiver oder unsicherer auftreten, im Gegenteil. Es spricht ein Mann, der sichtlich von der Bürde befreit ist, die die meisten Politiker bedrückt: Die Sorge um die nächste Wahl. So tritt er selbstsicher auf und gelassener als früher. Er legt für die nächsten vier Jahre ehrgeizige Pläne auf den Tisch. Nicht alles davon muss man wörtlich nehmen, denn die jährliche Rede zur Lage der Nation ist immer auch ein großer Rundumschlag, eine Übung in politischer Poesie, die eine bessere Welt für alle verspricht.
Innenpolitisch will er vor allem die überfällige Reform der Rentenversicherung in Angriff nehmen. Er rechnet vor, was in den USA wie in den meisten Industriestaaten gilt: Immer weniger Einzahler stehen immer mehr Empfängern gegenüber, der Bankrott des Systems ist absehbar. Wie brisant das Thema ist, zeigt der Umstand, dass die oppositionellen Demokraten bei Bushs Vorschlägen laut buhen – ein einmaliger Vorfall bei einer Rede, die, wie es sich bei diesem Anlass gehört, 67 Mal von Beifall unterbrochen wird. Bush will einen Teil der Rentenversicherung privatisieren, indem Arbeitnehmer Rentenbeiträge in Wertpapierdepots anlegen können. „Das Beste daran ist, dass dieses Geld immer Ihnen gehören wird und der Staat es Ihnen niemals wegnehmen kann“, sagt Bush. Doch die Demokraten sehen darin eine Aufkündigung der Solidargemeinschaft. Und auch manchem Republikaner ist bei dem Thema unwohl. Denn die Parlamentarier sind schon im nächsten Jahr wieder im Wahlkampf.
Nicht zuletzt deshalb wiederholt Bush an diesem Abend das Erfolgsrezept seiner eigenen Wiederwahl und predigt konservative Werte. Er fordert einen Verfassungszusatz, der die Ehe von Homosexuellen verbieten würde. Das hat ihm viele Stimmen gebracht und sichert auch jetzt den Beifall der Parteifreunde, wenngleich Vizepräsident Dick Cheney, Vater einer lesbischen Tochter, den Applaus verweigert und betreten ins Leere schaut.
Wenig überraschend ist der außenpolitische Teil der Rede. Bush verspricht, im Kampf gegen den Terror „in der Offensive“ zu bleiben und die Irakmission ohne vorzeitigen Truppenrückzug abzuschließen: „Ein Zeitplan würde nur den Terroristen die Chance geben, unseren Abzug abzuwarten.“ Von einer „Achse des Bösen“ spricht Bush nicht, wohl aber vom „ultimativen Ziel, die Tyrannei überall in der Welt zu beenden“. Namentlich droht Bush Syrien, Nordkorea und Iran, wobei die Drohungen gegen Teheran am schärfsten ausfallen: „Iran ist immer noch der weltweit wichtigste Förderer des Terrors.“ Von den regierungsinternen Debatten über mögliche Angriffe redet Bush nicht, sondern verspricht, mit den Europäern zusammenzuarbeiten, um Iran zur Aufgabe seiner Nuklearambitionen zu bewegen.
Bushs Rede endet mit der Präsentation von zwei Frauen, die er ins Kapitol eingeladen hat: Die Mutter eines im Irak gefallenen US-Soldaten und die Tochter eines von Saddam Husseins Geheimdienst ermordeten Mannes. Ronald Reagan, der Altmeister der politischen Inszenierung, hat das Ritual erfunden, bei der Rede „Helden“ zu präsentieren. Auch diesmal verfehlt es die gewünschte Wirkung nicht: Die beiden Frauen liegen sich weinend in den Armen, die Abgeordneten applaudieren fünf Minuten lang, und Millionen an den Fernsehbildschirmen weinen mit.
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