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Jugendämter müssen einen Blick auf Familien haben. Ihre Maßnahmen können aber von Gerichten überprüft werden.

© Arno Burgi/dpa-Zentralbild/dpa

Streit um Gefahren durch Missbrauch: Ein Jugendamt kann keine Kindergrundrechte einklagen

Das Bundesverfassungsgericht hat die Beschwerde eines Landkreises zurückgewiesen, der den Lebensgefährten einer Mutter als Risiko für die Tochter ansah.

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Ein Jugendamt kann nicht ohne Weiteres vor Gericht die Grundrechte eines Kindes beanspruchen, um es vor Missbrauch in der Familie zu schützen. Das hat das Bundesverfassungsgericht in einem am Dienstag veröffentlichten Beschluss entschieden. Das Gericht wies damit die Beschwerde eines Landkreises zurück, der sich gegen familiengerichtliche Entscheidungen in einem das Sorgerecht für ein 13-jähriges Mädchen betreffenden Verfahren wendete (Az.: 1 BvR 1395/19). Der Landkreis hatte als Träger des Jugendamts sowohl die Verletzung von Grundrechten des Kindes wie von eigenen Grundrechten geltend gemacht.
Der Vorgang könnte der Diskussion um die aktuell geplante Grundgesetzänderung zur Stärkung von Kinderrechten Auftrieb geben. Tatsächlich sind Schutzlücken jedoch nicht erkennbar, worauf auch das Verfassungsgericht hinweist, das die staatliche Schutzpflicht für Kinder ausdrücklich betont.

Der Mann war zuvor wegen Sexualstraftaten an Kindern zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden

Dabei klingt das dem Fall zugrunde liegende Geschehen einigermaßen dramatisch: Eine alleinerziehende Mutter aus dem Raum Freiburg zog mit ihrer damals 9-jährigen Tochter im Jahr 2016 in den Haushalt ihres Lebensgefährten. Der Mann war zuvor wegen Sexualstraftaten an Kindern zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden. Nachdem das Jugendamt davon erfahren hatte, nahm es das Kind in Obhut und regte weitere Schutzmaßnahmen an. In der Folge entzog das Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe der Mutter unter anderem das Aufenthaltsbestimmungsrecht für die Tochter. Auf Antrag der Mutter hob der Bundesgerichtshof (BGH) diese Entscheidung jedoch wieder auf und verwies den Fall zurück an das OLG, das sich daraufhin mit milderen Maßnahmen begnügte; unter anderem sollte die Mutter akzeptieren, dass Familienberater zu ihr nach Hause kommen. Gegen diesen OLG-Beschluss ging nun der Landkreis mit einer eigenen Beschwerde beim Verfassungsgericht vor.

Der Staat müsse ohnehin sein Wächteramt ausüben, hieß es

Eine Kammer des Ersten Senats entschied jetzt, der Landkreis sei nicht berechtigt, Rechte des Kindes im Wege der so genannten Prozessstandschaft vor dem Verfassungsgericht zu verfolgen. Grundsätzlich könnten mit einer Verfassungsbeschwerde nur eigene Rechte geltend gemacht werden. Eine notwendige Ausnahme sei davon nicht zu machen. Das Kind könne in dem Verfahren durch einen so genannten Ergänzungspfleger vertreten werden. Dem Landkreis hätte die Möglichkeit offen gestanden, beim zuständigen Familiengericht eine solche Ergänzungspflegschaft anzuregen. Außerdem habe das Kind zuvor schon eine Verfahrensbeiständin gehabt, die nach eigenständiger Prüfung Rechte des Kindes als nicht verletzt ansah und deshalb auf eine Verfassungsbeschwerde verzichtet habe. Eigene Rechte aus Artikel sechs des Grundgesetzes, dem Schutz von Ehe und Familie, stünden dem Jugendamt nicht zu - es habe ohnehin das staatliche Wächteramt über Pflege und Erziehung der Kinder durch die Eltern auszuüben.

Der Bundesgerichtshof hatte Übergriffe als unwahrscheinlich beurteilt

Im Ergebnis werden damit die gerichtlichen Entscheidungen respektiert, der Mutter ihre Rechte über ihre Tochter zu belassen - trotz nicht auszuschließender Gefahren durch den Lebensgefährten. Für diese Bewertung dürfte auch eine Rolle gespielt haben, dass der Mann sich bereit erklärt hatte, aus der gemeinsamen Wohnung auszuziehen. Seine Straftaten lagen zudem einige Jahre zurück und bezogen sich auf Handlungen im Internet. Der BGH hatte, ähnlich wie Gutachter, Übergriffe auf das Kind als eher unwahrscheinlich beurteilt. Zudem seien die Nachteile zu gewichten, die entstünden, wenn das Kind seiner Mutter entzogen werde, zu der es eine stabile Beziehung habe.

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