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Politik: Ein Kopf für das Amt

PRÄSIDENT SCHÄUBLE?

Von Hermann Rudolph

Es gehört zu den unbestreitbar positiven Ergebnissen der Hamburg Wahl, dass sie ein Thema, mit dem die Politik die Öffentlichkeit inzwischen bis an die Schmerzgrenze strapaziert hat, an den Dollpunkt der Entscheidung gebracht hat. Die Union – und auf sie kommt es jetzt an – muss nun in der Bundespräsidentenfrage Farbe bekennen. Die Wahlniederlage der FDP hat den Weg frei gemacht; beharrte sie nun noch darauf, den Unionskandidaten zu bestimmen, lieferte sie sich jener Lächerlichkeit aus, die am Ende vielleicht doch tötet. Aber hoffentlich gibt sich die Union – oder sagen wir einfacher: Angela Merkel – nicht dem Glauben hin, sie habe nun sozusagen freie Herren- oder Damenwahl. So, wie die Debatte gelaufen ist, so wie das herauf- und herunterdiskutierte Tableau der Kandidaten aussieht, geht es nur noch darum, ob sie Wolfgang Schäuble nominiert – oder vor dieser Entscheidung zurückschreckt.

Das heißt, dass Merkel (und mit ihr Guido Westerwelle, ohne den bei der Präsidentenwahl nichts geht) vor einer harten Probe steht. Selbst die Zustimmung der FDP ist ja nicht sicher, obwohl klar ist, dass es für die Partei ein Desaster bedeuten würde, wenn sie sie nicht beibrächte – ältere Zeitgenossen erinnern sich daran, wie Walter Scheel bei der Heinemann-Wahl 1969 die Delegierten zur Geschlossenheit prügeln musste, jüngere denken an ihr Auseinanderbrechen im zweiten Wahlgang der Rau-Wahl 1999. Aber schwierig ist die Kandidatenfrage vor allem deshalb, weil Schäuble selbst ein schwieriger Fall ist. Und das beileibe nicht nur wegen der 100000-Mark-Spende, die ihm anhängt. So wie Schäuble seit bald 30 Jahren seine Spur durch die deutsche Politik zieht, kann man sich schon fragen, ob diese scharf profilierte Gestalt denn wirklich in den Rahmen dieses Amtes passt.

Gewiss, Bundespräsidenten müssen nicht über den Dingen schweben oder jederman wohl tun. Fast alle Amtsinhaber waren politische Gewächse eigener Prägung. Doch kein Kandidat vor ihm kam so tief aus dem Innern des politischen Betriebs wie er. Schäuble war alles, was man werden kann –Strippenzieher, Kohls Kronprinz, Fraktionschef, CDU-Vorsitzender –, und er hat fast alles im politischen Nahkampf auch wieder verloren. An keinem Politiker sonst hat die Politik so unbarmherzig Maß genommen; bis hin zu der Behinderung, die er lebenslang zu tragen hat. Er hat der deutschen Politik immer wieder Anstöße gegeben, als Innenpolitiker wie, zunehmend, als Außenpolitiker; und ist kräftig angestoßen, nicht nur bei den Gegnern, sondern, nicht viel weniger, bei den Gesinnungsgenossen und Partnern.

Kann ein solcher eigenwilliger Kopf der Aufgabe gerecht werden, politisch zu integrieren, das Gegengewicht zu Routine und bloßer Taktik zu bilden? Andererseits: Ein Kopf ist er, nehmen wir nur alles in allem. Wolfgang Schäuble ist der vermutlich intelligenteste Redner und Schreiber, der gegenwärtig auf dem politischen Feld agiert. Er hat der deutschen Politik an ihren Scheitelpunkten Richtung gegeben: im Wiedervereinigungsprozess mit dem Aushandeln des Einigungsvertrages, in der Hauptstadt-Debatte mit seinem Plädoyer für Berlin, in der Europapolitik mit dem Kerneuropa-Konzept. Der Visionär und Pragmatiker, der er in einem ist, würde das Amt vielleicht in unbequemer, fordernder Weise führen – aber mit dem Mut zu Perspektiven, mit der Vermittlung weiter Horizonte. Im Rollstuhl? Ja, im Rollstuhl. Wer sich daran stößt, der beschädigt das Amt wirklich, indem er es für Staatstheater hält.

Kein Zweifel: Das Amt des Bundespräsidenten wäre für Wolfgang Schäuble eine große Herausforderung. Es forderte von dem Mann der harten Wahrheiten und scharfsinnigen Analysen die Fähigkeit zur Integration, zum Konsens und zur Verbindlichkeit. Eine Herausforderung wäre eine solche Präsidentschaft aber auch für die Republik. Sie bekäme einen ersten Mann im Staate, der sie hartnäckig und fantasievoll mit den Problemlagen der Umbruchsituation konfrontierte, in der wir uns befinden. Er würde ihr helfen, auf die Höhe ihrer Aufgaben zu gelangen. Man kann es auch einfacher sagen: Es ist der beste Mann, den die Union der Republik anbieten kann. Schreckt sie davor zurück, geht sie unter ihr Niveau.

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