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Polens Regierungschef Mateusz Morawiecki hatte das Verfahren vor dem Warschauer Verfassungsgericht angestrengt.

© Pawel Supernak/picture alliance/dpa

Urteil des polnischen Verfassungsgerichts: Ein Schritt Richtung „Polexit“

Das Urteil in Warschau zeigt: Polens Regierung will die EU-Rechtsordnung zerstören – und steuert auf einen „juristischen Polexit“ zu. Ein Kommentar.

Albrecht Meier
Ein Kommentar von Albrecht Meier

Stand:

Schon vier Mal hatte das Warschauer Verfassungsgericht ein Urteil verschoben, das in Polen und im Rest der EU mit Spannung erwartet wurde. Am Donnerstag nun folgte der juristische Paukenschlag: Das Gericht hat nach zähen Beratungen erklärt, dass die EU kein Recht habe, sich in das polnische Justizwesen einzumischen.

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Man muss dazu wissen, dass das Verfassungsgericht unter dem Einfluss der polnischen Regierung steht. Mit dem Urteil ist damit auch klar, welchen Weg Polens Regierungschef Mateusz Morawiecki beschreiten will. Der Premier steuert einen „juristischen Polexit“ an. Soll heißen: Polen bleibt zwar in der EU und kann weiterhin von den finanziellen Vorteilen der Gemeinschaft profitieren, muss sich aber nicht mehr den Urteilen des Europäischen Gerichtshofs in Luxemburg unterwerfen.

Ein Ausscheiden Polens aus der EU wäre fatal

Ob diese Rechnung für Morawiecki und den Chef der nationalkonservativen Regierungspartei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS), Jaroslaw Kaczynski, aufgeht, muss aber bezweifelt werden. Jüngst hat die Regierungspartei eine Resolution verabschiedet, in der die Mitgliedschaft des Landes in der EU bekräftigt wird. Dies wäre im Interesse der EU auch zu wünschen - die Gemeinschaft kann nach dem Austritt Großbritanniens den Exit eines weiteren großen Mitgliedstaates nicht verkraften. Trotzdem ist für die polnische Regierung eine EU-Mitgliedschaft nicht zum Nulltarif zu haben. Und die EU-Verträge sehen nun einmal den Vorrang des Europarechts vor - auch gegenüber nationalem Verfassungsrecht.

Vorsitzende Richterin Przylebska zündelt an der EU-Rechtsordnung

Die Vorsitzende Richterin am Verfassungsgericht in Warschau, Julia Przylebska, sieht dies zumindest mit Blick auf einige Artikel der Verträge der Europäischen Union anders. Mit ihrem Urteil einen Konflikt auf die Spitze, der schon seit Jahren zwischen der EU und Polen schwelt. Es geht um die Reform des polnischen Justizwesens, das die PiS seit ihrer Machtübernahme 2015 zunehmend unter ihre Kontrolle gebracht hat.

Vor drei Jahren entstand eine umstrittene Disziplinarkammer am Obersten Gericht, die nach Ansicht der Luxemburger Richter gegen die Prinzipien der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit verstößt. Der Grund: Wenn es der Disziplinarkammer - und der PiS - beliebt, können missliebige Richter und Staatsanwälte entlassen werden.

Dauerkonflikt um die Disziplinarkammer

In dem Konflikt um die Disziplinarkammer droht Polen inzwischen ein tägliches Bußgeld. Das Urteil des Verfassungsgerichts verfolgt nun den Zweck, im Streit um Polens Justizreform die Oberhand zu gewinnen und das Band zwischen den Gerichten in Warschau und Luxemburg endgültig zu zerschneiden.

Unterschied zum Bundesverfassungsgericht

Die Entscheidung in Warschau ist vor allem deshalb bedenklich, weil es dabei um mehr geht als ein juristisches Tauziehen. Auch die Regierung hat in dem Streit Partei ergriffen - und das unterscheidet den Fall grundlegend von der Debatte um den Vorrang des  EU-Rechts in Deutschland. Polens Regierungschef Morawiecki mag sich zwar dadurch bestärkt sehen, dass auch das Bundesverfassungsgericht seinerzeit ein Urteil des EuGH zu Anleihekäufen der Europäischen Zentralbank in Frage stellte. Aber während die Bundesregierung in der juristischen Auseinandersetzung zu beschwichtigen versucht, will Polens Regierung die europäische Rechtsordnung mit der Brechstange zerstören.

Sperrung der Corona-Hilfen wäre folgerichtig

In der immer schärfer werdenden Auseinandersetzung setzt die PiS darauf, den juristischen Kampf mit Brüssel und Luxemburg zu einem Kampf um die nationale Souveränität zu stilisieren. Doch die polnische Bevölkerung sollte sich nicht auf die falsche Fährte locken lassen. Denn die Frage, ob ein Rechtssystem den Standards der EU genügt oder nicht, geht die Gemeinschaft sehr wohl etwas an. Deshalb wäre es nur folgerichtig, wenn die EU-Kommission auf das Urteil des Verfassungsgerichts mit einer Sperrung der milliardenschweren Corona-Hilfen für Polen auf unbefristete Zeit reagieren würde.

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