zum Hauptinhalt
Spaniens Wahlergebnis lässt die Zukunft im Dunkeln.

© Jon Nazca/Reuters

Spanien nach der Wahl: Ein veraltetes Lagerdenken reicht in der neuen Gesellschaft nicht mehr

Das Rechts-Links-Denken blockiert die Politik in Spanien - und das gilt auch für die EU im Ganzen. Die Parteien müssen sich darauf einlassen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Nach der Wahl in Spanien gibt es einen klaren Sieger, einen klaren Verlierer und eine neue-alte Gefahr - so wird das Ergebnis gern zusammengefasst. Triumphiert hat der bisherige und wohl auch künftige Regierungschef Pedro Sanchez von den Sozialisten (PSOE) mit dem Sprung von 22,7 auf 28,7 Prozent. Gedemütigt wurde der junge konservative Herausforderer Pablo Casado, unter dem die PP ihren Anteil von 33,10 auf 16,7 Prozent halbierte. Der Schreck, auch mit Blick auf die Europawahl in vier Wochen, ist der Aufstieg der nationalistischen Vox. Sie atmet angeblich den Geist des Faschisten Franco.

Anachronistisches Bild von Lagerspaltung

Damit perpetuiert sich, so geht die Lesart weiter, die seit mehr als 80 Jahren geltende Lagerspaltung der Gesellschaft: Traditionalisten gegen Progressive; Zentralisten gegen Separatisten (oder weicher: national gegen regional); und Rechts gegen Links.

Aber sind Politik und Gesellschaft wirklich so statisch? Auch in Spanien schreitet die Differenzierung des Parteienspektrums voran. Schon lange gibt es die zwei großen, in sich geschlossenen Lager nicht mehr. Rechts ist nicht deckungsgleich mit einem traditionellen Konservatismus sowie mit Zentralismus, geschweige denn der Nähe zum Faschismus. Und Links ist nicht deckungsgleich mit Regionalismus bis zum Separatismus; auch nicht mit immer mehr kultureller Öffnung und sozialstaatlicher Umverteilung, geschweige denn einer Nähe zur kommunistischen Internationalen.

Ja, die konservative PP hat drastisch verloren, aber nicht nur an die weiter rechts stehende Vox, sondern auch an die liberale Bürgerpartei (Ciudadanos). Und, ja, die PSOE, die sich sozialistisch nennt, hat deutlich hinzugewonnen. Aber die linkspopulistische Podemos hat noch stärker verloren.

Wie viel zählen Wähler, die nicht ins Schema passen?

Nur: Wo bleiben in dem Lagerschema, zum Beispiel, die Bürger, die mehr regionale Rechte wollen, aber gesellschaftlich konservativ sind? Wo bleiben die Progressiven, die nicht wollen, dass der spanische Staat an den separatistischen Bewegungen zerbricht? Und wo die Bürger, die zwar schon wünschen, dass sich die Regierung um sozial Schwächere kümmert, sich jedoch derzeit noch mehr Sorgen darum machen, wie Spanien aus der Wirtschaftskrise heraus kommt?

Eine wichtige Rolle für die Niederlage der PP haben Fehler des vormaligen konservativen Regierungschefs Mariano Rajoy gespielt, für die der 38-jährige Pablo Casado wenig kann: die Korruptionsaffären, über die Rajoy 2018 gestürzt war. Und Rajoys sprunghafter Umgang mit den katalanischen Separatisten.

Erst ließ er deren Anführer Carles Puigdemont gewähren, was ihm mit der Zeit als Mangel an klarer Haltung ausgelegt wurde. Um dem Vorwurf zu begegnen, schwenkte er auf einen überharten Kurs um. So verlor er nach beiden Seiten. Casado entschied sich im Wahlkampf für die harte Rhetorik. Damit vermochte auch er die Abwanderung konservativer Wähler, die klare Kante wünschten, zur Vox nicht zu stoppen. Und verärgerte wie zuvor Rajoy Moderate, die dann lieber für Ciudadanos stimmten.

Der Umgang mit den Regionen ist die Kernfrage

Der Umgang mit den regionalen Autonomie- und Separationsbewegungen ist die drängendste Frage. Spanien bräuchte eine Regierung, die die ganz große Mehrheit der Bürger abbildet, die weder harten Zentralismus noch Abspaltungen wollen, sondern einen gelebten liberalen Föderalismus wünschen.

Das Beharren im Wahlkampf auf einer Lagerspaltung, die sich in romantisierender Weise vom Bürgerkrieg vor 80 Jahren herleitet und die Links mit Regionalismus und gesellschaftspolitischem Fortschritt gleichsetzt sowie Rechts mit Zentralismus und Aversion gegen Sozialpolitik, bildet die Differenzierung der spanischen Gesellschaft im Jahr 2019 nicht ab. Schlimmer noch, sie verhindert die Koalitionen, die das Land voranbringen können: zum Beispiel ein Bündnis aus Sozialisten und Liberalen. Was spricht dafür, dass eine Koalition aus PSOE, Podemos und Autonomisten, die im ersten Anlauf nur wenige Monate gehalten hatte, nun verlässlich regiert?

Das anachronistische Festhalten an einem Links-Rechts-Lagerdenken ist nicht nur für Spanien ein Problem. Andere Trennungslinien werden wichtiger, voran die zwischen Großstädten auf der einen sowie Kleinstädten und ländlichem Raum auf der anderen Seite. Der Brexit war ein Votum von Kleinstädten und Landgemeinden gegen die Finanzmetropole London. Auch in den Wahlen in Österreich, in Frankreich und in den USA war dieses Muster Großstädte gegen Kleinstädte und Dörfer - wichtiger als das klassische Verständnis von Rechts und Links. Die politische Paralyse Großbritanniens rührt daher, dass die zentrale Frage (Brexit) mitten durch die beiden großen Parteien geht und damit nicht durch eine Neuwahl entschieden werden kann.

Lehren für die Europawahl

Auf diese Art von Herausforderung läuft auch die Europawahl zu. Die Warnung, radikalpopulistische Parteien würden das nächste Europaparlament blockieren oder lähmen, geht am wahren Problem vorbei. Die Strömungen am rechten und linken Rand werden in der Summe vielleicht 15, maximal 25 Prozent erzielen, womöglich aber auch weit weniger. In jedem Fall bleibt eine übergroße Mehrheit im Zentrum, die konstruktive Politik machen könnte - sofern diese Abgeordneten und ihre Führungen bereit sind zu pragmatischen Kompromissen bei den drängendsten Problemen der Europäischen Union.

Sie sind es vielmehr, die Europa lähmen könnten: Falls sie darauf beharren, die angeblichen Unterschiede, die sie in anachronistischer Links-Rechts-Rhetorik im Wahlkampf als unveräußerliche Kernmarke anpreisen, zu Hindernissen für Kooperation und Kompromiss zu machen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false