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Drei Koalitionspartner- drei Blicke auf die Welt: Eine Außenpolitik aus einem Guss wird in einer Dreierkoalition nicht einfacher. (Archivbild von Demontranten bei den Sondierungsverhandlungen)

© imago images/Mike Schmidt

Was gegen einen nationalen Sicherheitsrat spricht: Eine Dreierkoalition ist inkompatibel mit einer zentralen Instanz

FDP und Grüne könnten "Vizekanzlerämter" schaffen, um sich außenpolitisch stärker gegen die Richtlinienkompetenz des Kanzleramts zu behaupten. Ein Gastbeitrag.

Stand:

Hans-Peter Bartels ist ehemaliger Wehrbeauftragter des Deutschen Bundestages (2015-20). Eckhard Lübkemeier ist Botschafter a.D. Beide sind SPD-Mitglieder.

Deutschland wird wahrscheinlich zum ersten Mal von einer Drei-Parteien-Koalition regiert werden, von denen Grüne und FDP auf Bundesebene noch nie zusammen auf der Regierungsbank saßen. Schon diese beiden Umstände stellen eine Herausforderung dar. Noch größer wird sie dadurch, dass ein „Weiter wie bisher“ auch außenpolitisch nicht geht.

Deutschlands Umfeld wird ungemütlicher: eine Europäische Union, deren Rechtsstaatlichkeit erodiert und außenpolitische Handlungsfähigkeit unterentwickelt ist; ein Putin-Russland, das nach innen repressiver und nach außen aggressiver auftritt; ein selbstherrliches China, das sich im weltpolitischen Aufwind sieht; ein amerikanisch-chinesischer Globalkonflikt und ein US-amerikanischer Partner, dessen Verlässlichkeit abnimmt und der von seinen europäischen Verbündeten, allen voran Deutschland, mehr Selbstverantwortlichkeit erwartet. Nimmt man Klimawandel, Migrationsdruck und Terrorgefahren hinzu, ergibt sich eine außenpolitische Agenda, die der nächsten Bundesregierung viel abverlangen wird. 

Auch wenn die Ampel-Parteien es nicht so ungeschminkt darstellen und statt von deutschen Interessen lieber von „Deutschlands Verantwortung für Europa und die Welt“ sprechen – ihr Sondierungspapier signalisiert, dass der von ihnen angestrebte Aufbruch auch die deutsche Außenpolitik erfassen soll. Diese soll „künftig aus einem Guss agieren und ressortübergreifend gemeinsame Strategien erarbeiten.“ Das bedeutet: Bisher war es nicht so, und so darf es nicht bleiben.

Was will Deutschland eigentlich in der Welt?

Doch wie wird in einem Dreier-Bündnis aus dem richtig Erkannten eine außenpolitische Praxis, die deutschen Kerninteressen an Frieden, Sicherheit und nachhaltiger Wohlfahrt dient? Dazu müssen zwei Schritte in der richtigen Reihenfolge unternommen werden.

Zuerst und vor allem braucht es einen substantiellen Konsens: über die Welt wie sie ist, Deutschlands Interessen und seine Möglichkeiten, sie zu verwirklichen. Daraus ergeben sich vier außenpolitische Leitziele: ein Europa mit globaler Gestaltungsmacht schaffen, das von einer deutsch-französischen Achse zusammengehalten und vorangebracht wird; die transatlantische Partnerschaft durch mehr europäische Eigenständigkeit auch und gerade in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik festigen; mit China kooperieren wo möglich und ihm die Stirn bieten wo nötig (dito Putin-Russland); eine globale Ordnung mitgestalten, die faire und nachhaltige Entwicklung ermöglicht, Gewalt eindämmt und friedliche Konfliktregelung fördert.

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Erst dann folgt der zweite Schritt: Wie können diese Leitziele umgesetzt werden? Dazu braucht es Institutionen und Instrumente. Auch und gerade in einer Drei-Parteien-Regierung, die als Koalitionäre auf Zeit politische Konkurrenten bleiben.

Vielfach wird vorgeschlagen, einen Nationalen Sicherheitsrat einzurichten oder den bestehenden Bundessicherheitsrat aufzuwerten. In dem beim Bundeskanzleramt angegliederten Gremium sollen die für Außenpolitik relevanten Ministerien vertreten sein, sein Arbeitsunterbau könnte aus Abgesandten der Ministerien bestehen. Der Rat soll alle Akteure dazu anhalten, ihre außenpolitischen Aktivitäten aufeinander abzustimmen und sich an die übergeordneten Leitziele zu halten.

Vorbild für solche Vorschläge sind der US-amerikanische National Security Council oder der Nationale Sicherheitsberater beim britischen Premierminister. Doch offenbart das bereits ihre Schwachstelle: In Washington gibt es nie, in London fast nie Mehr-Parteien-Regierungen, Präsident und Premierminister führen (fast) unumschränkt.

Eine zentrale Führungsinstanz ist schwer vereinbar mit dem deutschen Koalitionssystem

Anders in Deutschland. Kanzlerin oder Kanzler haben zwar nach dem Grundgesetz eine Richtlinienkompetenz, de facto reicht sie aber nicht weit, weil er oder sie auf einen Koalitionspartner angewiesen ist und das Ressortprinzip gilt: ein Minister oder eine Ministerin führen ihre Ressorts weitgehend selbständig. 

Deshalb lässt sich eine zentrale Führungsinstanz schwerlich vereinbaren mit dem deutschen Regierungs- und Koalitionssystem. Gleichwohl sollten alle beteiligten Akteure an einem Strang ziehen. Das gilt erst recht für eine Dreiparteien-Regierung, in der die Kanzlerpartei nicht stärker ist als die beiden kleineren Parteien zusammen.

Unter solchen Gegebenheiten könnten nicht ein Nationaler Sicherheitsrat, wohl aber zwei andere Vorkehrungen helfen, die deutsche Außenpolitik institutionell besser aufzustellen.

Die erste knüpft an eine Einrichtung an, die es zwar nicht im Grundgesetz, wohl aber in der Regierungspraxis gibt. Der kleinere Koalitionspartner schafft sich in einem Ministerium ein „Vizekanzleramt“, um seine Ministerien zu koordinieren und sich gegenüber dem Kanzleramt besser zu behaupten. In der nächsten Regierung könnte es zwei Vizekanzlerämter geben – für die Grünen und die FDP. Wenn alle drei Zentralen (Bundeskanzleramt und Vizekanzlerämter) mit der entsprechenden Autorität und außenpolitischem Sachverstand ausgestattet wären und zusammenwirken würden, könnte ein solches operatives Dreieck die deutsche Außenpolitik kohärenter und schlagkräftiger machen.

Einen zweiten Ansatzpunkt könnte der Koalitionsausschuss bieten. Ihm gehören die Schwergewichte der Parteien an, und zwar nicht nur ihre Regierungsmitglieder, sondern auch jene aus Fraktion und Parteiführung. Auf seiner Agenda sollten regelmäßig auch außenpolitische Fragen stehen. Nicht Alltägliches, sondern Fragen von grundsätzlicher Tragweite und mit Konfliktpotential. Außenpolitik kann nur erfolgreich sein, wenn sie in Parteien, Öffentlichkeit und der Bevölkerung Rückendeckung hat. Eine Mittel dazu könnte der Koalitionsausschuss mit seiner breiteren Repräsentanz als nur Regierungsmitglieder sein.

Das Ampel-Trio hat sich eine Außenpolitik aus einem Guss vorgenommen. Damit nicht zu viele Köche den Brei verderben, braucht es zuvorderst eine Verständigung darauf, dass eine Welt im Umbruch auch einen außenpolitischen Aufbruch erfordert. Wo ein solcher Wille ist, findet sich ein Weg, wie ein Aufbruch in der Regierungspraxis organisiert werden kann. Das wird eher gelingen, wenn deutschen Besonderheiten Rechnung getragen wird statt vermeintlichen Vorbildern wie dem US-amerikanischen Nationalen Sicherheitsrat zu folgen.     

Hans-Peter Bartels, Eckhard Lübkemeier

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